Perlen Istriens

Der triestenser Berufsverkehr lässt sich mit einer Querung der Bucht auf einem Bötchen nach Muggia elegant umgehen. Die eh schon kurze Etappe von Triest nach Piran wird damit nochmal um 10km beschnitten – am Ende sind es noch knapp 35km. Auf der kleinen Fähre sind wir zu zweit mit unseren Rädern. Alessandro muss nach Koper und das geht mit dem Rad am schnellsten, später will er auf einen Sprung nach Piran und wir verabreden uns für den Nachmittag auf einen Kaffee. Muggia ist der nun wirklich allerletzte Zipfel Italiens – und die Grenze kommt ganz unspektakulär auf einem Radweg nach wenigen Radminuten. Die ehemalige Zugtrasse, die in der Vergangenheit Porec mit Triest verband, als Istrien mal zeitweise wieder Italien war, ist nun zu einem Radfernwanderweg ausgebaut worden – asphaltiert und zweispurig führt der „Parenzana“ als Uferpromenade nach Koper und dann in die Hügel. Die Sonne scheint und vor den Bienenkästen brummt es, die ersten Blüten an den Sträucher sind voller Insekten und erstmals seit ich das bayerische Schneeloch verlassen habe bekomme ich eine Vorstellung vom Radfahren im Frühling. Als wenn die Sonne dopende Wirkung entfalten könnte, fahre ich so zügig wie noch kein einziges Mal seit ich aufgebrochen bin und fresse die wenigen Kilometer an der kurzen Küstenlinie Sloweniens, oder haben die letzten 2 Wochen meine atrophischen Beinchen zu ungeahnter Stärke aufgemuskelt?  – bis ich vor lauter Geschwindigkeitseuphorie  einen kleinen Abzweiger verpasse und die wenigen Hundert Meter zurückradeln muss…. Von wegen Dope, von wegen Muskelwunder – Rückenwind!

 

Aber dann lass ich mich halt weiterschubsen, genieße die Landschaft und segle vor dem Wind bis erstmals zwischen den Hügeln wieder das Meer und der markante Kirchturm von Piran auftaucht und dann ist man schon in Portoroz, einem mondänen Ort der Sommerfrische und der Grandhotels, sorgsam gepflasterter Uferpromenaden und gepflegter Fischrestaurants…, neben den ehrwürdigen Palace Hotels zieren Betonburgen die Gestade – doch dann eine letzte Kurve, ein Schlagbaum reglementiert den Zustrom von Kraftfahrzeugen und da liegt Piran im Meer unter der warmen Mittagssonne und ein paar dramatischen Wolken: Venezianische Türmchen, eng gedrängte Ziegeldächer, Gässchen, die mit dem Rad kaum passierbar sind, so eng und verwinkelt sind sie. Die Kirche thront über dem Städtchen, eine alte Stadtmauer verläuft über den Bergrücken, hinter dem Piran als Halbinsel ins Meer ragt. Das Hostel ist klein und vergleichsweise einfach, vor allem aber das einzige was als als low budget zu haben ist und mein Dormitory teile ich mir mit einer Koreanerin, die den Nachmittag offenbar lieber skypend im Bett verbringt. Alessandro treffe ich dann auf dem zentralen Platz auf einen Kaffee wo er mir von seinem Friedensmarsch-Aktivitäten erzählt. Seit 2008 ziehen irgendwelche versprengten Grüppchen friedensbewegt um den Planeten und er organisiert mit einem Komitee die Etappen um Triest. Den Rest des Tages ziehe ich durch die Gassen und komme erst nach Hause als es schon lange dunkel ist. Meine Zimmergenossin hat den Rechner nun in die Küche verlegt, bellt koreanisch in ihr headset, während sie sich einen Kubikmeter Lasagne in den Hals stopft, dazu gibt es Schweinespeck-Würfel aus der Pfanne. Ich fliehe nochmal in die einzige Bar die offen hat, trinke einen Rotwein auf die Schönheit der Stadt und freue mich über die Musik aus den Lautsprechern…. Pink Floyd und Queen und gut abgehangenes aus der Rockhistorie des Abendlandes. Zuhause schleiche ich mich ins Zimmer und verkrieche mich in mein Bett, meine Zimmergenossin schnarcht wie ein sterbendes Pferd.

 

Über Nacht kommt dann der befürchtete Wetterwechsel mit Regen und Wind aus Süden. Windgeschwindigkeiten von über 40km/h sind angekündigt und die nächste Bleibe ist mit 80km nicht endlos weit entfernt, aber zwischen Piran und Rovinj führt der Parenzana mehrfach auf Hügelketten, … das summiert sich auf insgesamt 950 Höhenmeter und ich bin gespannt wie das so wird und mache mich vorsichtshalber früh auf den Weg … und das ist auch gut so. Hinter Portoroz geht es schnell in die Berge und dann erradel ich mir meine erste echte Grenze, mit Pass und Stempel. In Kroatien geht es auf den ersten Bergrücken und da pfeift der Wind, leck mich am Arsch. 2 Stunden bin ich schon geradelt und gerade mal 20km weit gekommen, ein bisschen hadere ich mit der Streckenführung, denn auch auf den größeren Straßen fährt kaum ein Auto aber die Nebenstraßen lassen keine noch so unbedeutende Ansiedlung von verfallenen Steinhäusern aus, Hauptsache sie sind irgendwo weit oben. Aber trotz aller Unwirtlichkeit ist es immer wieder auch schön, diese langen Serpentinen-Anstiege durch Eichenwälder, kleinräumige Landwirtschaft, verlassenen Dörfer. Zum Fotografieren fehlt mir die Zeit und die Ruhe, sonst hätte man eine schöne Serie von zum Verkauf stehenden Ruinen aufnehmen können. Ich nutze die Zeit, um über die klassischste aller Radfahrerfragen zu sinnieren: Was ist schlimmer? Steigung oder Gegenwind? Oft ist aber der Weg geschützt und ich fahre im Windschatten der Berge, die ich mühsam heraufkurbel oder einem Wäldchen. Ich wäre gern dankbarer für die herben Eindrücke, die mir die Natur ins Gesicht bläst. Die langen Abfahrten sind tatschlich eine Belohnung, aber der Regen am Ende schlimmer als der Gegenwind und an dem wegen seiner atemberaubenden Schönheit über alle Kontinente berühmten Limski Fjord fahre ich achtlos vorbei, weil ich jetzt – 18km vor Rovinj – nicht mehr stehenbleibe wegen einem beschissenen Wasserarm, blaues Wasser unten, links Wald, rechts Wald, jetzt bitte… da interessiert mich eine warme Dusche gerade entschieden mehr. Die letzten 8 km nach Rovinj rolle ich zum Meer runter, das Wasser läuft mir unter der Mütze in den Nacken und aus der Hose in die Schuhe und ich suche mir ein trockenes Plätzchen, um nach der genauen Adresse meiner Unterkunft zu googeln und einen kochend heissen Tee zu trinken. In dem Restaurant wird mir freundlich ein Platz außerhalb der Gaststube zugewiesen und nachdem ich kurz auf der Toilette war wird mir auch klar warum: Ich sehe aus wie der Golem, zum Leben erweckter Lehm und Schlamm.

 

Und dann bin ich da: …. Das Roundabout Hostel, von Reisenden mit Bestnoten bewertet und beschrieben als ein Hort von Freundlich- und Gemütlichkeit: Dampfende Duschen, tiefe Polstermöbel, Heizkörper um das durchweichte Gewand zu trocknen, ein liebenswert besorgter Stab an Rezeptionisten, und dies alles in der romantischen Perle Istriens, oh wunderbares Rovinj…. Ich finde mich vor abgedunkelten Scheiben eines unbesetzten Büros, einsam leuchtet ein Lichtchen, mit dem die Rezeption telefonisch erreicht werden kann. Auch Rovinj hat also eine Industriezone sozialistischer Anmutung und in dem Verschlag würde man eher ein Unternehmen zur Tötung von Straßenhunden vermuten. Und es meldet sich keiner, der Klingelknopf tutet vor sich, ich bibber in der Kälte, verdammt – warum jetzt der Scheiß, … ich rüttel an der Tür, entnervt – und siehe da – die Türe öffnet sich, immerhin raus aus dem Regen. Das Ganze wirkt trotzdem eigentümlich unbelebt und wie irgendwas im Bereich Tourismus und Fremdenverkehr sieht das bestimmt nicht aus. Aber es gibt ein Sofa – exquisiter Sperrmüll-Charme. Heute geh ich nirgends mehr hin. Und wenn ich auf dem Schrott-Sofa pennen muss, mir egal.  Später kommt dann die Rezeptionistin, gibt mir ein Zimmer in das ich auch mein Rad schieben kann, aus irgendwelchen Kammern weit hinten resoniert es maskulin - auch hier werden scheinbar Arbeitskräfte untergebracht. Die Dusche ist in der Tat dampfend heiss und meine Klamotten trocknen nun quer über das Zimmer verteilt. Wo immer ich einziehe, zieht Unordnung mit ein – hier stört das aber bestimmt keinen.

 

Später treffe ich in der Küche den Bautrupp, der sich den Freitagabend mit Rum Cola und Bier schön säuft – ich teile meinen Wein, lass mich auslachen wegen meinem Salatgeschnipsel und bin nach 20 Minuten für den Abend adoptiert. Die Jungs haben glasige Augen, schwielige Hände, singen selig herzerweicht irgendwelche kroatischen Schnulzen und dann kommt die nächste Runde Rum-Cola.

 

Alles ist fast immer besser, wenn man erstmal drinnen ist, und sei es eine fiese Herberge mit Stahlspinden und zugeranzter Küchenzeile. Und auch Rovinj ist schön, selbst bei Regen, der bis zum Abend nicht nachlässt.

 

Piran:  so schön, klein und auch im Januar schon ziemlich gemütlich, wenn die Sonne scheint

Rovinj: Liebe auf den 2. Blick. Radeln muss man auch mal bei echtem Sauwetter ausprobieren, ... war schlimmer als es hier aussieht. Dafür ist das Hostel vielleicht noch cooler als es hier aussieht - Beweis, bitte sehr: Rum Cola mit dem ebenfalls einquarterten Bautrupp. Für Schweine endet das Leben hier gerne bereits im Span- Entwicklungsstadium. Salatschnipsler werden belächet (Zum Beispiel von Bautrupps)

Ansonsten: die bekannten Variationen zum Thema Verputz und Fassade, ebenso wie Gemäuer und Gezeiten. Immer wieder schön.

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Helmut Hannus (Sonntag, 03 Februar 2019 11:10)

    Am Montag - Dienstag - Mittwoch soll es schön werden, 13 Grad, kein Regen, Sonnenschein
    Gehts nach Brestova?
    Viel Glück
    Lao Ha

  • #2

    Michi und Quirin (Sonntag, 03 Februar 2019 22:36)

    Hei Brüderlichen,
    QUirin und ich haben gerade deinen neusten Blog post gelesten und uns sehr gefreut. Du hast mit dem Roundabout wahrlich eine Perle spätsozialistischer Baukunst entdeckt. Preise dich glücklich, zumal du dort sogar die angestammte Proletarierpopulation getroffen hast.
    Gier hat's wieder geschneit, sogar in Dresden. Der Brenner war wieder zu, in Norditalien gibt es Überschwemmungskatastrophen...entfliehe in den Süden.
    Fährst du rübe nach Opatia oder nimmst du eine Fähre nach Süden? Irgendwann muss es doch woarm werden. Wie bei Hatschi Bratschi.
    Blieb dran...die Belohnung wird in wenigen Wochen kommen...
    bis bald,
    Michi