Island Hopping Teil 1 - quer durch Istrien

Doch! Der Tag war schön, ich bin früh aus Rovinj und meinem dann doch ganz lieb gewonnenen Roundabout Hostel aufgebrochen, bin überraschend leicht die Steigung vor Rovinj hochgekommen, die Stassen waren so leer und verlassen, dass ich die fahrradfreundlichen Umwege ignoriert habe und fröhlich und ungestört in früh-frühlingshaftem Sonnenschein ohne große Eile vor mich hinstrampeln konnte. Was vor zwei Tagen zwischen Regenschleiern bestenfalls zu erahnen war, konnte man jetzt genießen: Niedrige Wäldchen, kleinräumige Landwirtschaft und Grill-tod-geweihte Schweinchen. Mäandrierende Straßen … und dann eine Straßensperrung – die ich brav ignoriere und mir so 15 km absolut autofreie zu renovierende Landstraße unter sonntäglicher Arbeitspause erschleiche. Die Ortschaften liegen auf Hügelkuppen und sehen aus wie aus der Römerzeit, gepflasterte Wege verschwinden zwischen kurzen geduckten Häuserzeilen, die Mauern aus dunklem Stein gemauert, später haben irgendwelche venezianische Prinzen ihre Kirchen in der Ortsmitte aufgepflanzt und nachfolgende Kriegsherren, Diktatoren und Weltkriegsgeneräle hielten es glücklicherweise für unnötig, die Siedlungen wegzubomben. Und so liegen sie idyllisch und verträumt auf den Hügeln, das Gras ist noch gelb und braun, die Erde dampft in der Mittagssonne. Unbemerkt bin ich auf fast 400 Höhenmeter geklettert, die Abfahrt am Ende der Etappe ist imposant – mit dem ganzen Monstergepäck geht es über ein paar Kilometer auf breitem, sauberen Asphalt zwischen 5% und 10% ins Tal und das GPS vermeldet 65km/h. So ein bisschen bänglich macht einen die Vorstellung ja schon, was passiert, wenn nun doch die Gabel einknickt, irgendein Bandl in die Speichen gerät, ….

 

Unten läuft der Weg langsam aus und ich lass mich vom Gewicht in die Gerade schieben, bis ich wieder treten muss und mit (den eh schon rasanten) 20kmh Reisegeschwindigkeit die letzten 10km bis Plomin Luka, romantischer Fjord und Abschiedsnacht aus Istrien zurücklege. Ich seh´ sie noch, die Gleise und denk mir, wie – was – hier? Gleise? In ganz Kroatien gibt es keinen Zug, aber wo geht der nun hin, wo kommt er her – aber gefahren ist da auch schon lang einer mehr, komplett vermost und zugewachsen, alles hier, wie lange hier wohl schon kein Zug…. Lauter schlaue Gedanken also: kein Wunder deshalb, dass ich für Überlegungen wie: „Vorsicht, nasse Gleise sind schlüpfrige Scheiße, oder: Gleise möglichst nicht in stumpfem Winkel überfahren, etc etc etc… „ keine Kapazitäten hatte: Und dann geht’s plötzlich so schnell und so einen Lastenpanzer wie meinen bekommst du jetzt auch nicht schnell mal so aufgefangen. Kleines Aua, großes Fluchen, dickes Handgelenk, offenes Knie, aber Rad OK. Taschen unbeschädigt, und ich ein bisschen erleichtert, dass die Gleise die Straße nicht einen haben Kilometer früher gekreuzt haben.

 

Es geht dann tatsächlich nochmal hoch, und dann kommt die letzte Abfahrt nach Plomin Luka: Ich bin ein bisschen gespannt was mich erwartet: Ich hab das gebucht, ich finds teuer und die Vermieter haben bislang keinen Mux gemacht…. Wenn ich jetzt da unten vor verschlossener Haustür stehe ists auch blöd, .. aber egal – jetzt erstmal runter. Zumindest die Bilder sahen super aus. Und es ist noch früh, es ist warm. Eine Stunde am Strand wäre doch super!

 

Ich stell mir vor, ich hätte meinen Kindern Urlaub am Meer versprochen, Istrien mit seinem kristalligen türkisglasklaren Wasser, Kieselstrände und Wellen. Ein mediterraner Fjord, weiße Boote, eine Unterkunft mit kleinem Vorgarten in einem malerischen Fischerdörfchen, links und rechts steigen imposant die Berghänge auf, die Straße windet sich durch Olivenhaine hinunter zu Meer: Gleich, Kinder, dürft ihr raus und zum Strand rennen. Jahressommerurlaub – AirBnB – alles sieht so schön und einladend aus auf den Bildern. Bestimmt gibt es ein paar gute Restaurants, oder wir machen Salat und Brote und gehen mit einer Flasche Wein ans Wasser. Plomin Luka? Noch nie gehört, … vielleicht irgendwas noch Unbekanntes, ein bisschen abseits der Touristenströme, die auf die Inseln drängen wie die Lemminge.

 

Und dann fällt die Strasse ab und es sind nur noch wenige Kilometer und das schmale Tal öffnet sich und zentral ragt ein Industrieschornstein auf, mindestens 100 Meter muss der hoch sein, er wächst aus einem Betonblock hervor und ist umwoben von knisternden Hochspannungsleitungen und Masten – so nah habe ich Industrie überhaupt noch nie gesehen. Blechcontainer stapeln sich auf den Fussballfeld-großen Parkplätzen, da wohnen die Arbeiter, denk ich – und ich hoffe auf eine letzte Kurve, Blick aufs Meer, Fischerdörfchen, etc… hallo… das hier darf einfach nicht Plomin Luka sein. Ist es aber.

 

Ich stell mir vor wie es still wird im Auto.

 

Dann finde ich das Häuschen, das ist es tatsächlich – ich erkenne es vom Bild aus der AirBnB Anzeige  – Im Nachbarhaus kläfft sich ein Hund an der Kette die Lungenbläschen wund. Der Köter lebt in einem Verschlag aus zusammengezimmerten Eisengittern. Im angrenzenden Industriehafen dümpeln schmucklose Rostkähne im trüben Schmodderwasser, dass von der hereinkommenden Flut aus dem Fjord in das Hafenbecken gedrückt wird. Zwischen Ölschlieren tanzen Styroporkisten. Vor der Haustür ein weiterer Parkplatz – wenn wir wenigstens die Inlineskater ins Auto geworfen hätten. Über den Häusern liegt schwefliger Dunst aus der Kohleverstromung.  Plomin Luka liegt nicht irgendwie an einem Industriegebiet;  Plomin Luka ist das Industriegebiet, sowie Eschweiler nicht in der Nähe eines Kohlekraftwerks liegt – sondern das Kohlekraftwerk ist. Auch wenn daneben die Eifel beginnt und es in Aachen irgendwelche Kirchen zu bestaunen gibt. Ein beständiges metallisches Surren begleitet den Schwefelmoder akustisch. Es sind dies die Förderbänder, die an den Hängen entlang Richtung offenes Meer führen und von einem ozeanriesigen Frachtmonster an Schiff unter der Flagge Hongkongs mit Koks beschickt werden.

 

Jetzt erkenne ich auch den Strand. Hier willst du nicht, dass deine Kinder baden und Urlaub machen müssen. Aus der einzigen Gaststube der Industriesiedlung wankt ein Betrunkener und erbricht sich auf den Fussweg. Essen wollen wir hier also auch nicht. Im Haus stinkt es nach Fisch.

 

Für mich ist das alles OK, einerseits hab ich eine kleine Schwäche für wrackig-Industrielles, mich interessieren Förderbänder und ich freu mich auf das Lichterspektakel, wenn es dunkel wird und das Kraftwerk beleuchtet ist  -oder der Monsterfrachter. Zum anderen gehe ich morgen früh aus dem Haus und seh den Scheiß hier nie wieder. Ich hab für dieses Popelzimmer zuviel gezahlt – das ist wirklich unverschämt – aber darauf ist geschissen – eine Nacht, come on!

 

Aber ich stell mir vor, ich hätte diesen Bildern getraut, und hätte das gebucht. 14 Tage! … denn es gibt diesen Kiesstrandabschnitt und aus einer sehr geschickt gewählten Perspektive kann man das Haus tatsächlich in einem netten historischen Städtchen wähnen, und klar gibt es auch ein paar Fischerboote. Aber dominieren tut hier etwas anderes und das ist fieser Betrug. Und auch wenn das alte Pärchen in dem Haus an sich schon ganz nett ist, am Ende des Tages ist das eine monströse Sauerei. Weil es stinkt, weil das Meer eine trübe Plörre ist, weil man seine Kinder nicht neben einem Kohlekraftwerk seine Sommerferien verbringen lässt, weil einem das ständige Sirren wahnsinnig macht, weil man nicht für das nächste annehmbare gastronomische  Minimalangebot 10km die nächste Touristenhochburg ansteuern will, weil es brutal hässlich ist und das eben nur wenige geil finden.

 

Also werde ich morgen, bevor ich fahre, den beiden Alten ein paar Flaschen Wein klauen, ins Waschbecken pissen, in den Geschirrspüler scheißen und den rachitischen Nachbarshund mit einem Prügel erschlagen. Die Kneipe zünde ich an, die Hochspannungsmasten werde ich sprengen und mit einer Stinger Rakete, die ich in meinem Reisegepäck stets bei mir führe, versenke ich den Ozeanriesen im brodelnden Fjord. Während ich mit meinem Fahrrad das Tal verlasse, jagen Detonationen Feuersäulen in den Himmel. Unter einem glutroten Himmel legt meine Fähre ab und bringt mich auf die Insel Cres – doch wo einst Plomin Luka als Touristenfalle auf leichtgläubige Familienväter lauerte, wie eine hintertriebene Gottesanbeterin, klafft jetzt ein schwelender Krater. So soll es sein!

 

Mein Schatten auf gesperrter Bundesstrasse, Natur noch in Winterstrarre, aber schöne Blicke über Hügel und Dörfer. Eine andere Art von schön: Das Badeparadies von Plomin Luka. Wer hier für die ganze Familie 14 Tage Sommer- und Badespass bucht, riskiert seine Ehe.

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Kommentare: 5
  • #1

    Helmut Lao Ha (Montag, 04 Februar 2019 14:13)

    hab Mitleid mit den Alten, sie waren wahrscheinlich schon vor dem Kraftwerk da!
    Sonst: https://www.adriaforum.com/kroatien/threads/das-kohlekraftwerk-plomin-an-der-ostk%C3%BCste-von-istrien.66027/
    Und RWE ist auch dabei!

  • #2

    Gigi (Montag, 04 Februar 2019 14:23)

    Ich wollte mich zurückhalten, aber es geht einfach nicht:
    Ich finde der letzte Absatz hätte eine etwas lyrischere Darbietung verdient. Hmmm....warte, was reimt sich eigentlich auf Rakete...vielleicht Machete??
    *gg

  • #3

    Christian (Montag, 04 Februar 2019 18:11)

    Ja, der letzte Absatz zaubert ein Lächeln auf mein Gesicht - so kenn' ich Dich doch gleich wieder. Danke für das Tagebuch. Schaffe es nicht jeden Tag reinzuschauen - aber bleibe dabei und hoffe Du auch.
    Viele Grüße und bis bald im Blog

  • #4

    Michi (Dienstag, 05 Februar 2019 08:18)

    Hey Stef,
    von diesen retrosozialistischen Kraftwerkstempeln gibt es mindestens noch einen auf Istrien, allerdings mitten drin. Wir waren auch etwas überrascht, als sich das Ding in einem an sich schönen Tal plötzlich vor uns auftat. Man fragt sich was die mit dem ganzen Strom machen. Im Sommer, vermutlich die Aircondition für deutsche Touristen antreiben. Und dann darf man sich als Deutscher eh nicht so echauffieren. Habe gerade gehört, dass man den Hambacher Forst vielleicht schon deshalb abholzen muss, weil die Böschung der Kohlegrube, die RWE gegraben hat so steil und tief ist, dass man drei Milliarden Kubikmeter Erdreich braucht um das Ding zu stabilisieren...und dieses Erdreich läge am bequemsten unter dem Forst. Ich würde gerne wissen wie viele Braunkohlekraftwerke man braucht, um drei Milliarden Kubikmeter Dreck zu transportieren.
    Viel Freude auf deiner energiepolitischen Exkursion. Bin sicher du wirst noch viele Perlen der Stromgewimmung finden. Ich folge in Spannung.
    bis bald,
    Michi

  • #5

    Götz (Samstag, 09 Februar 2019 11:04)

    Hallo Stefan,
    Wir von AdvanceCOR verfolgen alles Deine Reise.
    Also halte durch! Auch wenn es bei uns so viel schöner ist.
    Wenn man zurück kommt weiss man es dann so richtig zu schätzen.
    Bin gespannt auf die nächste Meldung.
    Viele Grüße
    Götz