Bauwut in Jogginghosen

Raus aus Dubrovnik – und erstmal auf den nächsten Hang hoch – anders geht das nicht in Kroatien und ich erdulde den Anstieg in Demut und voller Zuneigung an das Land, das ich in wenigen Kilometern verlassen werde. Ich schaue zurück und sehe nochmal und nochmal und nochmal Dubrovnik – kleiner werden und dann schiebt sich eine Landzunge vor die Bucht und das wars. Der Reichtum von Dubrovnik nimmt spürbar ab mit jedem Kilometer, den man Richtung Montenegro vorankommt – nach links geht’s irgendwelche abgefahrenen Straßen endlos die Berge hoch – dahinter ist Bosnien, ich habs gut, mich führt die Straße im Tal bis zu einer abschließenden Hügelkette, da fahr ich hoch und da schlummert ein Grenzübergang, ein verwittertes Restaurant steht rum, ein Parkplatz auf dem nichts und niemand parkt – ich setze mich und telefoniere nochmal – ab jetzt dann Ländergruppe III – also keine Telefonate mehr. Die kroatischen Grenzer stempeln mich grimmig aus – die montenegrinischen sind gut gelaunt, neuer Stempel, neues Land. Es geht bergab und die letzten 10km schiebt mich abwechselnd das Gefälle und der leichte Rückenwind nach Herceg Novi. Und auch Herceg Novi ist ein Hafen, auch Herceg Novi ist geschichtlich da verortet, wo diese ganze Küste geschichtlich liegt – im Spannungsfeld der Slawen, der Venezianer, der Ungarn und der Serben.

 

Montenegro ist der Sandstrand der Russen – und das sieht man auch dem vorherrschenden sozialistischen Baustilbrutalismus an. Aber es gibt die Altstadt Herceg Novis, die ich erkunde sobald ich in meiner Herberge „Mira“ Quartier beziehen konnte. Kurz duschen, kurz ein Pfund Zucker mit Kaffee von der Großmutter des Hauses aufgezwungen bekommen und dann der Spaziergang durch die Gassen um zumindest ein bisschen was gesehen zu haben, bevor man müde in einem neuen Bett für eine Nacht schläft. In einem Restaurant pack ich meinen Rechner aus, um noch ein bisschen Blog zu schreiben, esse Gesundes – und freu mich, weil das nicht so oft vorkommt, Käse aus der Gegend, Oliven und Brot aus dem eigenen Ofen. Der Besitzer kommt an den Tisch und berichtet von seinem Restaurant, den Wirren der 90er Jahre. Von Ökotourismus und dem Potential der Gegend und Montenegro im Allgemeinen. Und es stimmt schon – das Land – so klein es ist – hat schon viel zu bieten: Strände, Berge, eine großartige Küche, wenn man gerne Tiere röstet, die tiefste und längste Schlucht Europas.  Und ob ich auch an Chemtrails glaube, das sei doch sehr erstaunlich. Früher ginge die Kondensstreifen ganz schnell weg – und heute bleiben sie…

 

Herceg Novi hat also einen Altstadtkern, der sich an den Hang schmiegt, eine Hafenanlage und eine Zitadelle – die Zitadelle umfasst, besser: umfasste auch ein hochaufragender Turm, der das Stadtbild uferseitig prägte, bis ein Erdbeben den Turm 1960 ins Wasser schubste – da liegt er jetzt, der Herr Turm, in ein paar Einzelteile zerlegt und schaut auf den Stumpf, der am Ufer erhalten geblieben ist. Die Uferpromenade zieht sich links und rechts aus dem Bereich der alten Stadtbereich in unbarmherzig verbautes Küstenareal und wo sich eine kurze Lücke in der Bebauung auftut, warten bereits die Betonmischer um einen neuen Kasten hinzusetzen. Die Kleiderordnung für den Gang auf der Promenade ist klar strukturiert: Die Dame, sofern unverheiratet trägt eng, kurz oder andersartig knapp, die Brille sei groß und eine Anmutung von Insektenhaftigkeit, die Lippe geschürzt, die Wange gerötet, der Blick gleichgültig. Am Handgelenk die Handtasche oder Hundeleine mit einem Fliegengewichts-Fiffi, der zwar hübsch in ein rotes Westchen gesteckt wird, aber ansonsten achtlos hinterdrein geschleift wird. Daneben der Mann – gekleidet in Trainingshosen. Vom Buben bis zum Greis – die graue ausgebeulte Trainingshose ist der Platzhirsch unter den Beinkleidern. Brille: gerne, Hund auch, dann aber irgendwas Stämmiges aus der Liga Pittbull. So schreiten sie durch den Staub der Presslufthämmer, den Blick im Fernen verortet.

 

Schlafen, Aufwachen, Packen, von Oma Mira einen Kaffee in die Hand gedrückt bekommen, der es in sich hat. Herzrasend sitze ich auf dem Rad – es ist gerade 8 geworden und ich versuche mich Weg-technisch halb auf der Magistrale halb auf der Ufer-Promenade. Die Bauwut verblockt die Straße mit Schwerlastverkehr, die Promenade mit aufgerissenen und unüberwindbaren Baustellen, … so gestaltet sich der erst Abschnitt der nun kommenden Super-Etappe nervig. Dann aber biegt die Straße ab Richtung Bucht von Kotor – ein Nadelöhr trennt eine Bucht mit einem Umfang von 42km ins Landesinnere eben nur knapp nicht ab – es ist wie ein endozytotscher Vesikel, der über eine letzte Plasmabrücke mit dem extrazellulären Medium verbunden ist. An die Bucht reichen von allen Seiten die Berge steil bis ans Ufer heran, im hintersten Bereich hat sich ein Dörfchen festgesetzt – Risan, davor auf einer Insel sind ein paar Mönche sesshaft geworden und haben ein Klösterchen auf die paar Quadratmeter gesetzt. Das alles ist sehr hübsch anzusehen und ich bin nicht der Erste dem die natürliche Schönheit des Ortes auffällt. Sondern alle anderen wissen es auch schon – und wenn sie einen Haufen Geld haben, dann bauen sie sich hier Chalet hin. Sehr ordentlich, gepflegt, kein Fitzelchen Dreck – das ist eher Schweiz als Montenegro. Aber ich werde nicht nörgeln, wenn mal ein Ort vollendeter Schönheit nicht durch nächtlich abgelegte Matratzen und Fernsehgeräte zugemüllt ist, sowie diverse Varianten von Hausmüll, in jeder denkbaren Gebindegröße… so ist es fast überall – aber hier nicht: Schön!

 

So radelt man, und weiß gar nicht wo man überall hinsehen soll. Bäche fallen aus den Steilwänden, die kleinen Bötchen der verbliebenen Fischer liegen in winzigen Hafenbecken, Zitronen an den Bäumen, die letzte Nebelschwaden über dem Wasser hat die Sonne weggeheizt und mit T Shirt radelt es sich sommerlich beschwingt. In den Kaffees an den keinen Piers tankt ich Sprudelwasser und Koffein. Dann kommt Kotor – ein bisschen molochig, dann kommt ein Tunnel und ich betreibe für die nächste 6 Minuten Brixen Tunnel Träume Bewältigungs Radeln.

 

Mein Tagesziel heißt Budva – und ich überrasche meine geneigte Leserschaft nicht, wenn ich verrate, dass es hier einen Stadtkern gibt, der alt ist, aus unverputztem Stein gemauert und auf einer Küstennase zu liegen gekommen ist. Und ja – auch eine Stadtmauer umgibt den Ort. Spüre ich nun doch eine kleine Abstumpfung gegenüber den nicht ganz verleugenbaren Ähnlichkeiten? Oder nervt mich hier die schonungslose Kommerzialisierung dieses kleinen Haufens alter Steine: Es gibt eben schon Großartigeres – selbst das Städtchen Korcula macht mehr her. Gleichwohl benimmt sich Budva, als könnte es mit den Großen mitspielen: In jeder Hütte ein Laden mit Andenken und Trödel und Tand, Abspeisungskantinen und alle erdenklichen touristischen Scheußlichkeiten. Dagegen ist Dubrovnik ein Ort der inneren Einkehr. Auch hier metastasiert die Bespaßung der Gäste in die Periphere und die Uferpromenade ist über Kilometer gesäumt mit Fressbuden, Kneipen, Cafes und Läden mit allen möglichen Strandutensilien. In mehreren Reihen stehen sie, wie die Zahnreihen des Hais. … was denken die denn hier? Dass die paar alten Steinchen am Ufer hier eine Merchandise Offensive rechtfertigen, gegen die sich selbst das Angebot in Dubrovnik und Split bescheiden ausnimmt? Wer bitte soll den schlafen in den Betonburgen? – aber natürlich ist die Altstadt von Budva überhaupt nicht die Attraktion, sondern der Strand, der sich hier braunsandig und fein die Küste herunter zieht. Wasser, Strand, Promenade, Pommes, und protziges Hotel. Das alles bekommt man bequem uf wenigen Quadratmetern – so kann man die Beine in der obligaten Trainingshose unter einem der Biertische ausstrecken, den Bauch an die Tischkante schieben, das Bier in Kübeln ordern, sich ein paar brennende Kippen in Mund, Nase und Ohren schieben und sich so auf das Herannahen der „Grillplatte Budva mit allem und Pommes“ vorfreuen.

 

Mich hält hier wenig, Scheiß auf Budva, und hab viel vor mir auf das ich mich freue: kurz nach Budva werde ich Sveti Stefan erreichen, eine winz-Insel, verbunden durch einen Steg – ein Miniatur Piran – und den Palast von Diokletian könnte man da nicht draudfstellen. Es war wirklich nicht mehr als ein vorgelagerter Felsen im Meer und es erforderte eine bemerkenswerte Kühnheit sich hier sein erstes Haus in die Klippen zu setzen. Doch offenbar wollte dann jeder so eine Hütte auf der Klippe haben – die Kirche, venezianischer Prägung, kam in die Mitte nebst Plätzchen im 15. Jh war Sveti Stefan sogar die Hauptstadt der Provinz. In den 70er waren hier die Stars aus Hollywood und sonstwoher in den 5- Sterne Hotels unterwegs, nach dem Zerfall Jugoslawiens verfiel die Häusergruppe und so kam die montenegrinische Regierung auf die überraschende Idee, das in toto an einer Investor zu verscherbeln – Seit 2007 ist das Ganze eine Hotelanlage für Superreiche – ein Resort für Größen wie den Tennismenschen Djokovic, der auf der Insel seine aktuelle Frau ehelichte – so kann man lesen.

 

Der Weg dahin führt entsprechend über wunderschön in die hügelige Landschaft eingepflegte Gassen und Straßen, die an den herrschaftlichsten Villen und Anwesen vorbeiführen, Zypressen und Zitronen im morgendlichen Sonnenschein, Karstgestein und uralte Olivenbäume, der Fleck ist sinnbildhaft für den Wohlstand einiger weniger, die sich – so wie in Kotor – die hässliche Welt der Armen vom Leib halten wollen und können. An jeder Biegung sitzen Security Menschen in kleinen Wachhäuschen und beäugen die Besucher – heute beschränkt auf mich – und so radel ich für mich alleine und Verkehr-unbehelligt auf den Wegen des Reichtums über Serpentinen hinunter in die sorgsam gepflegte Auffahrt zum dünnen Steg, den man zu Fuss aber nie mit dem Auto überqueren könnte. Hier werde ich tief in die Hosentaschen greifen müssen um mir einen Cappuchino leisten zu können – aber das ist es mir wert, denke ich – doch mein Voranschreiten wird jäh eingebremst, der Zugang auf den Steg ist für den Normalsterblichen nicht gestattet. Freundlich aber sehr bestimmt wird mir mitgeteilt, dass ich hier, im Vorgarten mich noch ein wenig aufhalten dürfte, beispielsweise um ein Photo zu machen, aber in das Hotel darf ich nicht. Warum erinnert mich das an die USA, wo auch alles was schön ist, schnell mal private property ist und der Besitzer einen Zaun drum macht? Montenegro hat so viel Schönes, ein unberührtes Hinterland, ausgedehnte Küsten, sogar ein paar ganz schnuckelige Städtchen wurden in der Sovjet geprägten Ära nicht unrettbar verschandelt. Aber das Land scheint – zumindest küstenseitig – schon verkauft und aufgeteilt zu sein. Auf irgendeiner der vielen Serpentinen in irgendeinem der vielen Dörfer sehe ich eine Wandmalerei, die diese Entwicklung ganz treffend zusammenfasst – ich hab das Foto von dem Bild unten angehängt. An sich muss man gar nichts mehr schreiben.

 

An der Küste entlang fahr ich auf der Bundesstraße nach Bar – eine Stadt die außer einem coolen Namen wenig Charme entwickelt – und dann führt mich die Straße den Hang hoch, weg von der Küste und schon bin ich versöhnt. So ein netter Weg, der sich sobald man sich die Höhenmeter raufgeschunden hat über diese Anhöhe windet und jetzt ändert sich auch die Bevölkerung. Immer mal wieder sehe ich Kopftücher und irgendwann erscheint hinter Bar dann auch das erste Minarett. Eine Schule in einem Bergdorf, abenteuerliche Busse, die auf den abenteuerlichen Straßen. Ziegen, Schafe, Weinberge, …es kann so schön sein und die Balkanlandschaft beginnt zu blühen. Die letzten 10 km geht es bergab und mich schiebt ein freundlicher Rückenwind Richtung albanischer Grenze. Ich bin kaum reingefahren nach Montenegro – und bin schon wieder draußen – Montenegro ist auch nicht groß, aber das Hinterland ist noch verschneit und liegt hoch in den Bergen und ich muss weiter nach Süden. Das Land verlasse ich mit ein bisschen gemischten Gefühlen.  

 

streetart irgendwo in Montenegro... nix als Häuser im Kopf, Hauptsache ein Hotel gebaut - alles andere ist wurscht. Und so wirkt das schon auch wirklich, wenn man die Küste entlag radelt!

Herceg novi - durchaus ganz hübsch - auf alle Fälle im Bereich der älteren Bauabschnitte

Bucht von Kotor - sehr idyllisch - Kotor selber nict ganz so idyllisch und angstvolle Grimasse im Angesicht des Tunnels Vrmac

gleich das erste Bild: Sveti Stefan - da sieht an wininzig das im Meer liegt, In Bar gibt es eine ziemlich imposante orthodoxe Kirche und zwischendrin ist es immer dann am schönsten zum Radeln, wenn das Meer verschwindet und die Berge auftauchen.

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Kommentare: 2
  • #1

    Gigi (Donnerstag, 21 Februar 2019 10:13)

    Sveti Stefan, mein lieber (fast heiliger) Stef, sieht wirklich hübsch aus. Ich habe mal gegoogelt - Suiten zwischen 300 und mehreren Tausend Euro die Nacht. Also über AirB&B wird das da nix.
    Die Führung um 14 Uhr über die Insel ist im Vergleich dazu eine Okkasion - nur 20 Euro! Dafür bekommst du fast drei Flaschen warmes Bier in Durbrovnik - aber wer will schon drei Flaschen warmes Bier??
    Also: gut, dass du weitergeradelt bist.
    *gg
    G.

  • #2

    Lips (Montag, 25 Februar 2019 15:24)

    Sag mal Stefan, was ist denn das für ein schwarzer Müllsack, der hinten auf deinem Gepäckträger so eindrucksvoll Platz wegnimmt? Hast Du dir vorgenommen die adriatische Küste zu säubern...?
    Sieht irgendwie schwer aus.
    Ahnungslose Grüße.
    L.