So ähnlich sind sich die beiden Länder: Das Essen, die Musik, die Natur aber so richtige Liebe will nicht aufkommen zwischen der Türkei und Griechenland. Den Griechen gehören Inseln, die liegen so nahe vor der türkischen Küste, dass man denkt man steht quasi schon auf der Fußmatte vor der Wohnungstür – die Fußmatte gehört aber der Frau Nachbarin aus Griechenland. In Izmir steht ein Heldendenkmal, das einen Journalisten ehrt, der den ersten Griechen im türkischen Befreiungskrieg erschossen hat. Liebesgeturtel klingt schon anders.
Entsprechend ist es gar nicht mal so leicht von Griechenland über den von mir sehr geschätzten Seeweg in die Türkei zu gelangen – aber man kommt mit einer Fähre von Piräus nach Chios – von Chios setzt man dann mit einem eher kleinen Kahn die letzten Seemeilen nach Cesme über und ist in der Türkei. Solche Verbindungen sind erstaunlich rar und fahren auch nicht täglich – eine direkte Linie von Piräus nach Izmir gibt es nicht mehr.
4 Tage Athen und Erholung vom Radfahren, ständig wechselnden Unterkünften und dem Alleinsein. Gülnaz hat ein Apartment ausgesucht, von dessen Tennisplatz-großer Terrasse im 4. Stock man Tag und Nacht den erhebenden Anblick auf das große Wahrzeichen der Stadt bewundern kann. Gemütlich mit Frühstück in den Tag starten, einen vagen Plan statt Tagesetappen, plaudern und Kaffee trinken. Das ist schon ziemlich gemütlich – und ich freu mich auf die Segnungen der Zivilisation in Form von Jeans und Hemd und Rasierapparat. Zeit dem Rad ein bisschen Pflege zuteilwerden zu lassen. Außerdem habe ich wenig Zeit gehabt auf meiner Tour d´Greece viel links und rechts zu sehen – und weil (so mein Eindruck) die Schätze des Altertums selten in den Herzen der Städte liegen, sondern vor den Toren habe ich wenig gesehen – von Apollos Rumgesäule in Korinth mal abgesehen.
Athen ist bekanntlich auf Hügeln gebaut – auf einer Tafelberg-haften Erhebung thront mittig die Akropolis, einen kleinen Berg haben sie auch, heißt Likavittos, stolze 270 Meter hoch. Von weiter oben sieht man über Athen hinweg, ein endloser Teppich, der sich vom Meer bis in die angrenzenden Hügelketten erstreckt und dort die Hänge hochkriecht. Meerseitig verschmilzt Athen molochig mit dem Hafen Piräus und dem entfernteren Perama. Stadtautobahnen ziehen sich durch die Häuserschluchten. Eine Schönheit ist Athen nicht und architekturpreisverdächtiges wurde hier auch nicht gebaut – zumindest nicht in den letzten 500 Jahren.
Aber im Betonteppich eingewebt sind viele grüne Inseln, Parks, auf denen entweder zugänglich oder eintritts-pflichtig umzäunt (Surprise Surprise) Säulen stehen, bzw die Grundmauern ehemaliger Tempelanlagen. In den Tagen durchwandern wir die Parkanlagen, besuchen die Akropolis am frühen Morgen und haben die Anlage fast für uns und gehen, als die Menschendichte unangenehm wird – aber da haben wir schon in Ruhe alles gesehen. Die Tage beginnen spät in Athen, früh dran ist man auch noch um halb 9. Sehr entgegenkommend. Das Museum ist in einem der wenigen architektonisch einfallsreich entworfenen Gebäuden untergebracht und beherbergt viele Figuren und Reliefs, die aus der Akropolis entfernt wurden. Wir schlendern durch die Stadt und steigen auf den sagenhaften Berg, trödeln durch den Stadtpark, blödeln um die Säulen des Olymps herum, … alles haben wir nicht gesehen aber viel. Gülnaz hadert abendlich mit der Grillfleisch-Versorgungslage, und das in Griechenland, das sich seit Homers Oden nachweislich mit dem Grillieren von Stieren befaßt. Die Stadtteile um die Akropolis sind durchaus fest in der Hand der Wirte, die mit den immer gleichen Best-of-Touri Speisekarten die Besucherströme in ihre Straßenlokale einlotsen. Der Geruch von Bratenfett auf Grillkohle weht durch die Gassen und man muss schon mit einem störrischen Vegetarier unterwegs sein, um es hinzubekommen mit Joghurt, Gurken und Tomaten im Bauch hungrig nach hause zu kommen. Dort nietet dann leider der untrinkbare Retsina den tapfer aufrecht erhaltenen Willen zu Frohsinn um – arme Gülnaz. Ich fand den Wein ja ganz fabelhaft. Die Stadtteile Monastiraki und Kerameikos sind abends irgendwie aufregender als die Tourimeile Plaka. Zuletzt sehen wir sogar noch eine Banksy Repro Ausstellung, ….erfüllte Tage – die dann aber leider auch überraschend schnell vergehen und das Verabschieden ist nicht schön. Um 8 Uhr abends geht meine Fähre und ich roll aufgepackelt Richtung Piräus, Pier E2. Die Fähren, die hier anlegen sind imposant und über den Doppeldecks auf denen die Laster und Autos (und mein Rad) eingewiesen werden, sind mehrere Geschosse mit Kabinen, Restaurants, Salon, bequem ausgestattet mit Sitzen und Bänken, …
Jetzt wäre die Gelegenheit sich mit den Habseligkeiten eine gemütliche Ecke zu sichern, um dann auf den Polstern bis um 5 Uhr morgens gemütlich zu schlafen – um 5 Uhr nämlich werden wir ungemütlich auf den Anleger in Chios ausgespuckt. Aber was ein echter und seefester Reisender ist, der nimmt es mit Deckpassage ernst und wörtlich, an einer windgeschützten Ecke entrolle ich auf dem Deck und an der frischen Seeluft meine Isomatte, verstaue meinen Seesack, bereite meinen Schlafsack vor. Oh Wellengang und rollende Dünung, Salz in der Luft, Mövenschrei und Sternenhimmel… so setzt man über – und nicht in einer geheizten Großraumkabine, miefig zusammengerollt mit 100 anderen Reisenden. Als ich dann später in meinen Schlafsack krieche, als einziger Passagier am Deck unter freiem Himmel auf dem ganzen Riesenschiff, stört mich erstmal der Rauch aus dem Schornstein, der Schiffsdieselabgase in dichten Wolken immer wieder über mich pustet: Das was mich hier so hervorragend vor dem Wind schützt ist die schwerindustrie-dimensionierte Abgasanlage, die eine fette Fahne braunen Rauchs ausstößt - … nebst Teer Partikeln, die als zarter Niederschlag auf das Deck niedergehen. Gesund ist was anderes, denk ich mir – gemütlich auch. Die Lampen brennen taghell und mich nervt dieser Scheiß beißende Rauch. Aber jetzt pack ich auch nicht mehr zusammen – im Salon sind die guten Plätze inzwischen eh alle belegt. Der Wind legt zu und die Fähre schaukelt, regnet es etwa? Aber ich lieg ja unter so einem Dacherl, und dann schaukelt mich das Meer doch in einen unruhigen Schlaf.
Dann wach ich auf mit Salzwassergeschmack im Mund und um mich herum pfeift der Wind – der Regen hat das Deck in einen See verwandelt, aus der Dachabdeckung fließt das Wasser ab wie aus einer Regenrinne, der Seegang schaukelt das zusammenlaufende Regenwasser über das Deck und schon läuft die nächste Welle auf mich zu: Alles, aber auch wirklich alles ist nass. Nass und schwarz – die Russpartikel haben Flecken auf der Isomatte geschmiert wie ausgelaufene Tuschefässer, was für ein verfluchter Scheiß. Ich muss an meinen Bruder Michi denken, der in der Transsibirischen mal komplett besoffen seinen Kopf aus dem Wagonfenster gehalten hat, um der elenden Trunkenheit Herr zu werden – der Russ der Dampflock hat dabei sein Gesicht halbseitig eingeschwärzt. So schaut jetzt die Isomatte aus, der Schlafsack hängt in einer schwarzen Pfütze, in den Seesack hat es reingeregnet, …. Es ist halb zwei und die Zeit bis 5 Uhr und dem unbarmherzigen Rauswurf verbringe ich mit Trocknen, Reinigen, Waschen, Fluchen und Frieren. Es regnet aus Kübeln und der Wind pfeift und alle warmen Klamotten klitschnass. So erreiche ich Chios – und in der Masse der verschlafenen Passagiere, die trocken und wohlbehalten auf den Postergarnituren durch die Nacht genickert haben, steht einer mit nassen Schmutzklamotten, verfroren und übellaunig. Das bin ich.
In Chios haben die ersten Kneipen offen und ich rette mich aus dem Regen in eine Ecke wo ich vor einem Cappucchino die in der Schule langjährig geübten Sitzschlaf Positionen zu reaktivieren versuche. Bis um 7:30 muss ich die Zeit totschlagen, dann öffnet die Grenze, über die ich aus Griechenland ausreise. Das Wetter ist feindselig, so feiner kalter Sprühregen und kalter Wind. Feindselig genug, dass die Fähre nach Cesme im Hafen liegen bleibt, …. Aber ganz im Ernst – soooo wild ist es nicht. Da hab ich anderes gesehen. Blöd ist nur, dass laut Fahrplan und WWW an diesem Tag eine weitere Fähre nicht vorgesehen ist – und … super: Eine unfreiwilliger Tag in fucking Chios. Zwar gibt es eine historische Stadtmauer zu bewundern, zwar ist das Inselgebirge schön, zwar kann man über Chios interessantes Lesen und dann abklappern – aber dazu fehlt mir sehr der Nerv und die Energie. Aber dann fährt doch noch ein Boot, eine türkische Linie trotzt dem Nordwind und soll um 17:00 Uhr nach Cesme ablegen. Ein paar andere mit mir gestrandete Radreisende versuchen dem Tag etwas Substanz abzutrotzen. Die Versuche erschöpfen sich in einem Napf Pommes und anderen Köstlichkeiten griechischer fastfood Künste. Wir radeln immerhin knappe 200 Meter der Stadtmauer ab. 16:00 Uhr! Ausreise-Gebäude offen, der Kahn legt an, Stempel, Rad aufs Boot geschoben, ablegen und inzwischen scheint die Sonne und der Wind treibt die Schaumkrönchen durch die Sonne, während sich die Fähre Cesme nähert. Über Cesme weht eine türkische Fahne. Ich werde erwartet. Buki holt mich ab.
Mit Buki habe ich im Labor von Ed Hurt meinen ersten Promotionsversuch unternommen – es gibt nettere Chefs. Buki hat das irgendwie abgewettert – ich hab nach ein paar Monaten das Handtuch geschmissen. Inzwischen ist sie Prof. an der Uni in Izmir und ich nütze die erste Möglichkeit das Marketing-Schlachtross „selling siPOOLs on the silkroad“ aus dem Stall zu lassen. Der Vortrag an der Ege Universität Izmir kann frühestens am 18. März sattfinden woraus sich 5 volle Tage in Izmir ergeben in denen ich mich um mein Iran-Visum, den Vortrag und einen Antrag kümmern will – außerdem soll mein Rad eine professionelle Wartung erfahren, ich will eine türkische Telefonkarte, ich will Izmir sehen und mit der Buki ratschen, die ich seit 25 Jahren nicht mehr gesehen habe.
Izmir entspricht städtebaulich Kiel, das ebenfalls um eine Bucht herumgebaut ist und aus verschiedenen Gründen seinen Reiz ohne historische Gebäude entfalten muss. Beide Städte binden Boote in den öffentlichen Nahverkehr ein und haben so schon mein Herz gewonnen. Beide Städte sind liberaler als der Landesdurchschnitt und auch der Zugriff auf Halluzinogene ist (laut Buki) leichter. Das liberale äußert sich in einer traditionellen AKP-kritischen Kommunalpolitik und der Existenz von Fahrradwegen. Und Taxifahrern, die auf dem Ringverkehr 130 fahren.
Izmir Highlights in nicht chronologischer Reihenfolge: Kemeralti – ehemaliger Stadtkern mit dem Bazar. Egal wie oft man hingeht – etwas Neues entdeckt man immer: Instrumentenbauer, Fleischhauer, die es noch ernst meinen mit dem Fleischhauen. In blutverspritzten Auslagen hängen die enthäuteten Schafsköpfe neben Gurgeln, Pansen, Füßen; Hirnen und Schafshälften. Jedes denkbare Lebensmittel, Süßigkeiten, jede Form von Kram, Klamotten, Stoffe, Gewürze, Telefone, Schmuck und Gold, Kabel und Rohre, Pflanzen, Schildkröten (leider) und Singvögel (leider), Medizin…. In den Seitenstraßen Teestuben, erstaunlich wie ruhig es Luftlinie 5 Meter von der Straße sein kann. Zentral eine Mosche und eine … tataa: Karawanserei denn auch hier gingen die großen Trecks in den Osten los. Hier beginnt ein Zweig der Seidenstraße, das gefällt mir natürlich sehr gut!
Aus der römischen Periode existieren eine Tempelanlage und eine Agora. Durch das Gassenlabyrinth in Kemeralti gelangt man zu der Ausgrabungsstätte. Unter den Säulen sind im quasi „Souterrain“ Bogengänge angelegt gewesen – sehr vernünftig vor dem Hintergrund der sommerlichen Hitze, ein Brunnen spuckt frisches Wasser in einen Kanal, der dann die Wege in dem Bogengängen begleitet. Sofort will man sich seine Toga umwerfen, Sandalen an die Waden binden und - ille, illa illud - irgendwas lateinisches herausposaunen. Wenn das mal fertig restauriert ist, wird das spektakulär – schon jetzt kann man Stunden in den Gängen und zwischen den Steinen herumtrödeln.
Buki ist eine fürsorgliche Gastgeberin, mit deren Hilfe ich nun eine Telefonkarte für mein zweites Handy habe – ich kann jetzt schon ganz selbstständig mit den Turbofähren über die Bucht setzen - einen Abend verbringen wir in der Stadt, entdecken einen angepunkten Winkel mit Bronx-mässiger Feuertonne und Life-Band, … Turk-Pop ohne Schmalz. Richtig gut – aber wir ziehen weiter und ich bewundere die Gassen in denen abends das Leben der Jugend stattfindet. Ausgelassenes Strassenleben, gemütlich und laut, südländisch, urban, ziemlich runtergerissen – hier kann man schon anständig versumpfen, anders als in München gibt’s an jeder Ecke und in jeder Bar und von diversen Straßenverkäufern etwas zu essen; Schöne Bars sind das … und am Ende fährt uns das Formel-1 Taxi nach Hause. Ich lerne Bukis kleinen Sohn Alpaslan kennen und wir freunden uns an: „Hallo Alpaslan! (gibst du mir das große Telefon?)“
Einen Tag fahren wir ans Meer. Am letzten Tag dann der Vortrag an der Uni: Die Jungs, die in der Gruppe promovieren oder ihre Masterarbeiten machen, sind signifikantest in der Unterzahl – Bio ist offensichtlich eine Mädchendisziplin. Gut für die Jungs, denke ich mir: 5 Herren im Raum und 30 Damen. Mal wieder über Wissenschaft zu reden macht Spaß, ich hoffe meine Zuhörer waren einigermaßen gut unterhalten.
Mir grausts ein bisschen vor dem ersten Radltag nach so langer Radlpause. Izmir ist schon ein guter Einstieg in die Türkei, ein historischer Knotenpunkt der Handelswege. So setzt man sicher auf der Seidenstraße auf und sanft, wenn man von Buki umsorgt, bekocht und beherbergt wird.
Athen: Häusermeer von den Bergen bis zum Meer, dazwischen grüne Hügel mit meistens etwas ziemlich Altem. Katzen lieben alte Steine. Von unserer Terasse aus hat man einen Logensitz für die Akropolis, aber auch für den brausenden und nicht enden wollenden Verkehr. Die Alternative zu den 100 verschiedenen Fleischgerichten sind Salat, Spagetti mit Tomaten und Pizza ohne Schinken, zumindest in der Tourimeile. Nett sitzen tut man trotzdem.
Super Fähre - das Gelbe sind die Schornsteine unter denen ich so wonniglich geschlafen habe. Schlechteres Wetter in Chios als es aussieht und dann Türkei - zu erkennen an der omnipäsenten Fahne. Statt Säulen hier mal Bogengänge; die römische Agora im Zentrum Ismirs. Daneben der Markt mit allem: Unter anderem die historische Karawanserei. Und es gibt Radlwege.
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Gigi (Freitag, 22 März 2019 22:30)
Na ja....das verkohlte Grillgut hat schon wirklich gut gerochen...und der Retsina war schon wirklich gräßlich...und die Mezes waren schon wirklich knoblauchig - so sehr, dass es einen ganz alkoholfrei ausgeknockt hat.
Und der Abschied ist eigentlich immer schwer...egal, ob man hinterherwinkt oder einem hinterhergewunken wird. Aber das ist ja an sich besser, als zu denken "Endlich darf ich nach Hause!". ;-)
G
Norbert (Donnerstag, 28 März 2019 00:27)
Hallo Stefan, vielen Dank für deinen Bericht und diese anschaulichen Eindrücke. Ich wünsche dir schönes Frühlingswetter und interessant Begegnungen auf deiner Route durch die Türkei.
Liebe Grüße aus München!