Frösche und Störche

19.03.   Izmir – Ephesos:                             80km, ↑↓: 650m

 

20.03.   Ephesos – Kusadasi:                      20km, ↑↓: 200m

 

21.03.   Kusadasi – Bafa Gölü (Heraklia): 83km (100), ↑↓: 950m

 

 

So richtig passt es noch nicht mit mir und der Türkei. Nicht, dass es mir nicht gefallen würde, die Menschen nicht nett wären oder die Natur nicht ihre großen Momente und die Monster-Geschichte nicht ihre Spuren hinterlassen hätte. Ich hab immer wieder interessante Begegnungen und nette Erlebnisse. Aber ich fahre und fahre es bleibt ein Gefühl der Ziellosigkeit – vielleicht – oder, …irgendwie einer Beliebigkeit. Es fällt mir schwer den Grund für diese unterschwelligen, latenten Unzufriedeneit zu benennen, obwohl ich viel darüber nachdenke.

 

Vielleicht ist es das:
Die gesamte türkische Ägäis von Izmir bis Antalya ist eine Fundgrube für alles was die Griechen und Römer und Ottomanen und was weiß ich wer noch alles aus dem Boden gestampft und wieder eingeebnet haben. Wenn hier gegraben wird, kann man darauf wetten, dass ein Mosaik, eine historische Therme, ein Apoll geweihter Tempel oder eine Massenlatrine aus dem Staub gebeselt wird. Vielerorts ist sowas erfolgreich ausgegraben und man kann das ansehen und anhand dessen sich die geschichtlichen Zusammenhänge vergegenwärtigen.

 

Wie in Griechenland sind die sehenswürdigen Stätten nicht auch gleichzeitig die Anlaufziele der Tagesetappen, sondern gerne mal 20km im Landesinneren, oder sonstwie verlassen in der Landschaft. Die historischen Siedlungen wurden entvölkert, die Menschen haben woanders gesiedelt und die Mauern, Fundamente und Säulen stehen jetzt einsam in der Gegend und die Schafe blöken auf dem Amphitheater. Es ist – so auf dem Weg von A nach B – nicht immer zeitlich drinnen, schnell noch einen Abstecher von insgesamt 40km einzubauen. Also fährt man vorbei.

 

In diesem Fall wüsste man ja wenigstens was man gerade verpasst – aber ich weiß oft noch nicht mal, was da an den Bildrändern meines Navigationshorizonts vorbeizieht. Weil ich keinen Reiseführer mit mir führe, weil hier in der Türkei tatsächlich Wikipedia blockiert ist und weil ich abends oft zu KO bin noch lange zu recherchieren, was sich in meiner Spuck-distanz alles für Weltkulturgüter befinden, die ich in meiner Plan- und Ahnungslosigkeit leider nicht kenne. Damit ich wenigstens die Weltwunder des Altertums nicht mit derselben Gleichgültigkeit behandele wie Tankstellen, habe ich das Glück mit meinen Eltern ausgewiesene Türkeifreaks als Back-Office und Ground Control nutzen zu können. Sonst wäre ich vielleicht auch an Ephesos vorbei gefahren.

 

Ephesos:

 

Das stellt alles in den Schatten, was ich bisher an historischen Säulen bewundern durfte. Besiedlungsgeschichtlich geht das zurück bis ins 5. JT vor unserer Zeitrechnung und die Völker, die sich da getummelt haben, sind möglicherweise nicht Gegenstand des Geschichtsunterrichts gewesen (Na gut – Hethiter und Mykener kennt man irgendwie, aber ist sich nicht sicher ob das nicht doch eher aus Asterix als aus der Schule stammt. Die waren so 2000 v. Chr vor Ort) Dann kamen die Griechen und Spartaner und Perser bis es um die Zeitwende herum römisch wurde; mit 200.000 Einwohnern war das eine Großstadt und Sitz des Konsuls über die Provinz Asia. Unter anderem durch Umsiedelungs-Programme wurde Ephesus zunächst bevölkert, heute kann man noch eine überdachte Ausgrabungsstätte bewundern, in denen die Wohnkomplexe inklusive Wandmalerei und Mosaike freigelegt werden konnten.

 

Möglicherweise hat Maria hier ihr Leben zu Ende geführt bis sie in den Himmel aufgefahren ist, und Ephesos war ein absolutes Zentrum frühchristlichen Lebens – Seit dem ersten Jh gab es Bischöfe und irgendein Apostel hat sich hier zum Briefeschreiben niedergelassen und an die Römer und Korinther getextet – dass das bis heute in den Kirchen verlesen wird, hat er sich möglicherweise auch nicht erträumt. Paulus war das.

 

Im Laufe der Jahrhunderte gaben sich weiter die unterschiedlichen aufstrebenden Völker die Ehre – Perser, Seldschuken, Araber, Sassaniden. Bis in 6Jh nach Chr. war es byzantinisch – dann kam die Pest, diverse Einfälle und Eroberungen und Feldzüge. Zudem verlandete der Hafen – Ephesos lag mal am Meer, nun ist es ein paar Kilometer von der Küstenlinie entfernt. Durch das Schwemmland, das sich in den Jahrhunderten ins Meer vorgeschoben hat mäanderte der Mäander (heute Mendres) dessen Muster wir von den ewigen braunen Scherben kennen – ausgestellt in den langweiligsten Museen mit ausgebudelten antiken Töpferwaren die wir an der Hand kunst- und kultursinniger Eltern durchlitten haben. Dieses Delta jedenfalls ist absolutes Vogelparadies – flaches Wasser durchzogen von Millionen von Rinnsalen in denen die Frösche ihrer Zügellosigkeit nachgeben und Orgien feiern. Darüber freuen sich die Vögel, wenn so ein fetter Frosch-Kerl komplett außer sich vor Begattungsvorfreuden grunzt und quakt, bis er sich im Schnabel wiederfindet. Arme Jungs.

 

Ephesos ist heute natürlich verlassen – ein Erdbeben hat der eh schon angezählten Stadt den Rest gegeben und die Bevölkerung ist ab dem 13 Jhd.  in das benachbarte Selcuk abgewandert. Selcuk ist ein absolut malerisches nettes Dörfchen – die meisten Touris bleiben nicht über Nacht sondern ziehen weiter nach Antalya oder Bodrum. Für die Wenigen rentieren sich keine Hotelburgen und die Herbergen sind klein und nett und es gibt Straßencafes und es ist saugemütlich. Mit dem Rad sind es 10 Minuten zu den Ruinen und ich habe großes Glück: Denn die Busse mit den Heeresscharen von Besuchern sind schon im Abziehen und zurückbleibt eine verträumte weitläufige Anlage, die man in den Stunden bis zur Schließung niemals komplett ablaufen kann. Es gibt so viel zu sehen: Mit viel Geld wurde punktuell ein Tempel oder die Celsus Bibliothek wieder fast original aufgebaut, das ist schon ein Phänomen, was die architektonisch schon damals so zustanden gebracht haben. Weltkulturerbe! Aber echt. Die Agora, das Theater, der Säulenweg bis zum damaligen Hafen – all das ist freigelegt und aus dem bestehenden historischen Steinen aufgebaut aber nicht restauriert. So ist es ein eindrucksvolles Nebeneinander aus aktiver forschender Ausgrabungsarbeit, Restauration und Wiederherstellung und endlich bekomme ich einen Eindruck, wie das mal ausgesehen haben könnte. Die Abendsonne leuchtet das alles warm aus – ein Hochzeitspärchen macht Photos vor den Bögen eines Tempels, die Katzen sonnen sich auf den Steinen, ein Storchenpaar hat auf einer der Säule sein Nest gebaut und klappert und hat einen Frosch-vollen Bauch.

 

Die nächste Etappe ist kurz, so kann ich am nächsten Morgen noch die byzantinische Basilika in Selcuk ansehen und die Burg und ab Mittag Richtung Kusadasi weiterfahren – Hafenstadt. Marina. Hochglanzcafes. Da wo die Reichen unter sich sein wollen, mit ihren Yachten und BMW SUVs ist es immer ein bisschen langweilig – was will man da machen? In einem der 1000 Bars sitzen und den 10. Tee trinken und gelangweilt durch Gucci Sonnengläser die Bläue des Himmels auf sich wirken lassen? In Kusadasi tobt wie derzeit in jeder Stadt der Wahlkampf um die Komunalparlamente und Bürgermeisterämter. Die CHP hat hier scheinbar die Nase vorn, aber der Herr Staatspräsident Erdogan macht ungeniert Werbung für seine AKP. Beide Parteien schicken Reisebusse mit Lautsprechern durch die überfüllten Straßen und beschallen das Wahlvolk mit folkloristischer Musik und Sprachbotschaften. In Izmir konnte ich einen Aufmarsch Schwarzmeer-stämmiger Erdoganisten bewundern, die Kreistänze zu traditioneller Volksmusik nach Sonnenuntergang aufführten. Quasi Schuh-Bladdln für Seehofer. Das wäre schon auch eine Aufwertung des bundesdeutschen Wahlkämpfens.

 

Für die nächste Station – den Bafasee – habe ich einen Zeltplatz entdeckt. Der Weg dahin führt wie so oft auf einer 4 spurigen Bundesstraße aus Kusadasi zunächst nach Söke – da wurde mir von 2 türkischen Radlern ein Radlladen empfohlen, und ich möchte gerne ein paar diagnostische Handlungen am Troll vollziehen. Die Mechaniker sind super nett, verpassen dem Gefährt eine Öldusche und ich kauf endlich einen Rückspiegel, nebst Brille (verspiegelt) damit ich verwegen und cool aussehe. Und Handschuhen. Von Söke aus bläst mich ein Rückensturm in den Süden. Ich fahre auf der Ebene ohne Mühe über 40km/h – aber ich bin abergläubisch was den Wind von hinten anbelangt. Irgendwann bekommst Du das aufs Brot geschmiert, denke ich mir, von irgendeinem Wettergott, der sich nicht bescheißen lassen will. Aber grad ist es wie E Bike fahren, die Gegend ist flaches Schwemmland, ähnlich dem Ephesos-Delta. Eine Ente fliegt mir entgegen – wie ich unter ihr durchfahre, sehe ich dass sie in der Luft steht – so sehr bläst der Wind. In den Wassergräben feiern die Frösche den Frühling und panschen sorglos im Schlick - Reiher und Störche staken durch die Landschaft wie Touris vor dem all you can eat Buffet. Später wird die Straße schlechter, der Wind dreht und der Bafasee liegt neben mir. So rolle ich auf meinen Zeltplatz zu. Leider offenbar irgendwo auf den 20 Metern zwischen Ufer und Autobahn…

 

Turgut Bey hat wie so viele andere Türken eine Zeitlang in Deutschland gearbeitet und gespart was ging – dann kam er zurück und hat sich eine Farm am Bafa See gekauft, weil hier ist so schön wie sonst nirgends auf der Welt, sagt er! (Nicht zu vergessen die günstige Anbindung an die Autobahn, denk ich mir) – einen Kasten an Haus hat er sich hingestellt: das ist das Hotel! Zwei Wohncontainer auf Rädern: das sind die Bungalows – dazwischen im knöcheltiefen Schlamm wäre doch Platz für mein Zelt..., sagt er. Die Kühe stehen am Kiesstrand und scheißen vor sich hin, im Hintergrund geht die Melkmaschine, ein Gehilfe versucht mit dem Traktor eine Umzäunung aus dem Fundament zu hebeln, Turgut Bey bearbeitet den Betonsockel mit einem Presslufthammer. In einem 3. Container ist der Sanitärbereich untergebracht. Das einzig unbenützt und sauber aussehende ist die Klobürste. Ein echtes Idyll – aber ich darf auf einem der Balkone der beiden bunt angepinselten Wohncontainer meine Isomatte ausrollen – das Wasser im Sanitärgebäude wird sogar warm. Auf den weitläufigen Gestaden, die Turgut Bey bewirtschaftet gibt es auch eine Küche und das Restaurant ist auf Pfählen in den Bafasee hineingebaut. Das hat schon auch was.

 

Am Ende des Sees haben mal Griechen gesiedelt und die Überreste der Stadt Heraklia sind mit den Wehranlagen und den obligaten Überresten der Sakralbauten zu besichtigen. Vor allem aber ist der Ort landschaftlich einmalig schön gelegen. Leider sind es nochmal 20k nach Heraklia. Aber manchmal muss man sich das Schöne und Sehenswerte eben auch erarbeiten und ohne das elendige Gepäck radelt es sich bedeutend schneller und leichter. Und tatsächlich ist der Ort, vor allem aber die Landschaft alle Anstrengungen wert. Wieder ist es schon abendlich, das Licht entsprechend weich auf den runden rötlichen Felsen, die sich zu dem Gebirgszug türmen, an dessen Fuss der Bafasee und Heraklia liegen.  Dieser Gebirgsstock, die Latmos Berge, haben schon etwas sehr Erhabenes und seit jeher werden hier irgendwelche Götter verortet: Felsmalereien aus den 5. JT vor Christus gehen auf die Karer (?) zurück, von denen man noch nie etwas gehört hat – die verehrten hier einen anatolischen Wettergott – es folgten die Hethiter mit mir unbekannten Gottheiten, die einwandernden Griechen verehrten dann Zeus und die Mondgöttin Selene. Ein Feldherr von Alexander baute sich das Dorf zur Hauptstadt gewaltig aus mit allem was dazugehört: Staatsagora und Zeusstempel. Auf der Agora steht heute die Schule und die Jungs ballern ihre Fussbälle gegen die umgefallenen Säulen. Mir gefällt sowas sehr. Ich würde gerne die Landschaft treffend beschreiben – aber es gibt in unserem bayerischen Voralpinen nichts Vergleichbares – am ehesten sieht es aus wie eine imposante Kulisse in einem Western, da wo die Indianer lauern: Rund erodierte Felsblöcke, rötlich, zwischen den Blöcken wachsen knorrige Kiefern und Eichen. Auf den Hängen leuchten die Olivenbäume silbrig im Abendlicht. Jetzt blüht alles – unglaublich schön und HIER!!!! möchte man bleiben – hier, an den Ufern des Bafasee, fernab jeder Strasse, zwischen alten Gemäuern und versorgt von einem der kleinen Lokale der Ortschaft Kapikiri, die die ehrenvolle Nachfolge von Heraklia im Latmos angetreten hat. Und tatsächlich KANN man hier zelten – tatsächlich ist die Frau, die das Restaurant betreibt super nett und was würde ich jetzt gerne hier mein Zelt aufbauen. Ihr Mann nimmt Fische aus, der Tee kocht auf einer Feuerstelle auf der Terrasse – der Zeltplatz ist ein Flecken Wiese unter einem alten Olivenbaum. Für 20 Lira gibt es Zeltplatz, ein bisschen Internetz und Frühstück! Aber das Zelt ist bei Turgut Bey und seinen Kühen. Und drum kann ich nicht bleiben, sondern muss zurück – ein letztes Mal 20 Kilometer für den Tag.

 

Am Ende war es auch bei Turgut Bey gut: Ich hab mit Ihm zusammen noch die Kälber gefüttert, und abends in den letzten Sonnenstrahlen die Bierflasche in Szene gesetzt und photografiert.  Die Nacht war schön, mit dem gleichmäßigen Geplätscher des Sees -direkt vor meinem Balkon. Ich hab auf dem Weg zurück zu Turgut Bey den Wirt eines Trucker-Imbiss Tee Shacks kennengelernt. Hier in der Türkei kannst du, egal wo, dich hinsetzen und was zu Essen bestellen: immer super, immer lustig immer freundlich, immer gut und immer viel. Am nächsten Morgen werde ich auf dem Weg nach Bodrum zum Frühstücken vorbeikommen und begrüßt werden wie ein alter Freund. Wenn ich auch manchmal das Gefühl habe blind und enthirnt wie ein Grottenolm durch die Gegend zu radeln – ich mag die Türkei und ich bin mir sicher, dass solche Momente genauso wichtig sind wie die Säulen, Agoren und Ruinen ehemaliger prachtvoller Tempel.

 

hier zur Vervollständigug der unendlichen Bilderserien, die zu Ephesos existieren nochmal ein paar 1000-fach fotografierte Motive. Es ist auch die Ausdehnung der Anlage, das Nebeneinander von Sakral (Tempel), Sozial (Agora) Sportiv (Gymnasion, Stadion) und Profan (Latrinen)-Bauten, die die Ruinen so ein wenig zum Leben erwecken.

Der Tag war traumhaft schön und der Himmel viel klarer und weniger dunstig als es auf den Fotos erscheint. Vermutlich müsste ich einfch besser fotografierern und bräuchte aufwendigere Ausrüstung um das so einzufangen - aber es vermittelt schon einen Eindruck: Sattgrüne Wiesen mit sehr zufriedenen Kühen, eine Insel im See, ein einfaches sehr nettes kleines Lokal und der coole Platz zum Zeltaufstellen, Felsen, Säulen, ... es gäbe hier auch verlassenen Klöster, die man in stundenlangen Hikes erwandern könnte. Nichtmal zu den Felsmalereien habe ich es geschafft - aber die findet an auch nur mit der Hilfe von Einheimischen. Und ich musste ja zurück. Zu Turgut Bey und seinem Freizeit-Imperium mit Kuh: Odelcamping statt Edelcamping. Warm dank RAB und Tee in der ersten Morgensonne.

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Kommentare: 2
  • #1

    Lao Ha (Donnerstag, 28 März 2019 21:52)

    Der, der dir den Rückenwind beschert hat, das war der Wettergott aus dem Latmosgebitrge, weil du zum Bafa See gefahren bist. Nächstes mal machst Du eine Wallfahrt zu den Gipfeln, den Höhlen, den prähistorischen Bildern und was es sonst noch dort gibt, Der Bafa-See war und ist einer der Lieblingsorte!!

  • #2

    Gigi (Freitag, 29 März 2019 11:35)

    Tolle Fotos,
    darf ich mir bitte wünschen, dass du den einen oder anderen Hund so liebevoll ablichtest, wie die (vierbeinigen) Miezen? ;-)
    Neue Schuhe??
    Kuss
    G