Von Friedensverträgen und Schokoriegeln: Unebene Teil 2

12.04    Yozgat – Bogazkale         50km, 660 m, 1050

 

13.04     Bogazkale – Corum         80km, 750 m, 1000

 

14.04     Corum – Amasya             92km, 860 m, 1250

 

16.04     Amasya – Samsun           10km Rad, 120 km Bus

 

 

 

Hattusa

 

[Stef]     Mitten in Zentralanatolien lag das Großreich der Hethiter, das Anatolien und Teile von Syriens umfasste. Es gibt ein paar spärliche früh-historische Aufzeichnungen über dieses Volk und in der Bibel werden die Hethiter mal kurz erwähnt. Nach ihrem Untergang geraten sie aber komplett in Vergessenheit bis im 18. Jhd erste Ausgrabungen an einem Berghang in der Nähe des Kuh-Kaffs Bogazkale erahnen lassen, was für ein Kulturschatz da begraben liegt.

 

Hattusa war in der Bronzezeit zwischen dem 3. Und dem 2. JT AD die Hauptstadt der Hethiter, dem Volk der 1000 Götter und die Stadt muss imposant ausgesehen haben als es noch mehr zu bestaunen gab als die im Boden freigelegten Grundrisse/Grundmauern der Tempel, Paläste, Villen, Arkaden und groß angelegten Vorratskammern.

 

Anatolien ist kalt und trocken, Flüsse sind nicht zum Transport nutzbar, die Landwirtschaft nicht so effizient wie heute – inzwischen ist Anatolien die Kornkammer der Türkei – aber damals muss es eine ausgeklügelte Infrastruktur gegeben haben, um die Bevölkerung und den Staatsapparat zu ernähren.

 

Neben den Grundmauern der Stadt wurde vor allem ein riesiger Schatz von in Keilschrift abgefassten Dokumenten gefunden, der über das Leben in Hattusa ausführlich Rechenschaft gibt: Verträge, Eheschließungen, Gerichtsurteile, Verpfändungen aber auch Baupläne für die Stadtanlage und die riesige Mauer, die das Stadtgebiet umgab. Die Mauer wurde aus gebrannten Ziegeln gebaut und der Versuch einen Teil mit historischen Methoden nachzubauen ergab, dass 1000 Mann 1 Jahr für einen Kilometer brauchten. Und die Mauer ist lang.

 

Wie alle anderen waren die Hethiter einigermaßen kriegerisch und haben mit den angrenzenden Großmächten in dauerhaftem Konflikt existiert. Da waren die Mesopotamier und vor allem die Ägypter im Süden, die sich auf dem heutigen Staatsgebiet Syriens gerangelt haben um Vorherrschaft und Einfluss – und Reichtümer: Gold und Stoffe gabs im Süden mehr zu holen, von Raubzügen in den Westen kam man bestenfalls mit Schafen und Kühen und Sklaven zurück.

 

Eine berühmte Schlacht zwischen den Hethitern und Ägyptern fand 1285 (v. Chr, offensichtlich) bei Kadesh statt, die historischen Belege, dass die Ägypter diese Schlacht verloren hätten, wie hier in der Türkei gerne behauptet sind wacklig – es gab wohl eher ein Unentschieden. In Folge dieser Pattsituation wurde ein Friedensvertrag ausgehandelt, in Keilschrift niedergelegt und bei den Ausgrabungen wiederentdeckt. Der erste und älteste Friedensvertrag der Menschheitsgeschichte – heute zu bewundern in New York bei der UNO.

 

Das Imperium ist trotzdem zu Grunde gegangen – und zwar nicht kriegerisch, sondern möglicherweise an einem zu großen administrativen Wasserkopf, zu vielen Prachtbauten, zu viel Pomp und zu viele Götterkulte - … das hat das Land und die Arbeit der Menschen in Anatolien einfach nicht hergegeben – das könnte einem aktuellen Autokraten möglicherweise ein warnendes Beispiel sein. Die Hethiter jedenfalls verlassen die Weltbühne ungefähr 1200 v.Chr.

 

Und Bogazkale, das Kaff und die Ausgrabungsstätte liegen erfreulicherweise genau auf unserem Weg in den Norden an die Schwarzmeerküste.

 

Bekanntlich hat der Tourismus in den vergangenen Jahren Einbußen hinnehmen müssen, so wie es aussieht traf es den Kulturtourismus härter als die All Inclusive Bunker an der Südküste. So schlecht das für die ansässigen Hoteliers sein mag, so erfreulich ist es für uns, denn wir haben die riesige Anlage für uns. Außer uns beiden bestaunen ein paar Kühe das Weltkulturerbe in Begleitung einiger weniger Kuh-beaufsichtigenden Dörfler. Und weil sich bei meiner lieben mitradelnden Gülnaz körperliche Erschöpfung gerne auch mal ein emotionales Ventil sucht, werden die Kuhbauern Zeuge westlicher Streitkultur: So angebrüllt werden, dass es die Frisur umscheitelt, die Stirnfalten geradezieht und die obligate Zigarette auspustet. Ja, meine einheimischen Herren, das ist der neue Geist. Wartet noch ein bisschen, dann weht der Wind auch in Euren Schupfen. Den Kuhbauern jedenfalls steht der Mund offen.

 

 

[Gülnaz: Ich erkläre das mal – Emotionen können entstehen, wenn Bedürfnisse ignoriert werden. Ist man hungrig, kann das schon mal schlechte Laune verursachen (das ist übrigens eine Wahrheit, die dem Mars Konzern eine der erfolgreichsten Werbekampagnen der letzten Jahre beschert hat (Snickers: Du bist nicht du, wenn du hungrig bist)).
In diesem Fall war ich nicht hungrig. Es ging um etwas viel Fundamentaleres, entsprechend energisch fiel meine Reaktion aus. Körperliche Müdigkeit mag das verstärken, aber ist sicher NICHT der Grund dafür. Aber Stefans Darstellung hört sich tatsächlich viel lustiger an.  Ich habe mich sehr amüsiert und merke mir, dass ich die Kunst des rhetorischen Scheitelziehens beherrsche.]

 

 

Mal abgesehen von diesen Schleierwölkchen am sonnenverwöhnten anatolischen Himmel, bleiben in Erinnerung die weitläufige Anlage, die so massiv angelegten Fundamente, die Reste der Torgestaltung – ein Löwentor und ein Sphinx-Tor sind „erhalten“… Die Anlage blickt heraus auf eine Ebene in die von links und rechts Hügel auslaufen, und wo die Wolkendecke die Sonnenstrahlen durchlässt, leuchten Felsen und Hügel.

 

Aber schon der Weg nach Bogazkale ist schön – auch weil die Etappe kurz ist. Wir folgen lange Zeit einem Fluss und in der sonst sehr trockenen Landschaft blüht und gedeiht es in der direkten Nähe zum Wasser überraschend üppig. Es ist nicht leicht, die Landschaft zu beschreiben – im Sommer, wenn die Sonne das Land ausgetrocknet hat sind es vermutlich Gelbtöne in flirrender Hitze die das Landschaftsbild prägen, im Frühjahr aber überzieht eine feingefächerte Farbpalette von zurückhaltenden Grün-, Rot- und Braun-Tönen die langgestreckten Höhenzüge. Da wo die Felder bestellt sind, leuchtet es pflanzenpornographisch grün. Überspannt von einem weiten Himmel, mal mit tiefen Wolken, mal klar und blau. Die Luft ist so klar, dass sich selbst auf den entfernten Hügelketten die Silhouetten der Bäume gestochen scharf gegen den Himmel abheben. In dieser kargen pastelligen Landschaft platzen die blühenden Bäume und Sträucher in weiß und seltener rosa. So schwer wie zu beschreiben ist es zu fotografieren. In Wirklichkeit ist es natürlich schöner. Aber es sind diese Streckenabschnitte in Zentralanatolien, die ganz klar einen unerwarteten Höhepunkt der Reise darstellen.

 

 

Bogazkale nach Corum

 

[Gülnaz]: Als wir unsere Räder bepacken und uns auf den Weg machen wollen, kommt der Vater des Hotelbesitzers. Er erzählt uns von alten Zeiten und hat ein kleines Geschenk für mich, eine Kette aus bunten Steinen, die er mir mit den Worten überreicht „ich habe Zuhause sieben wie dich.“. Nein, er meint nicht seinen Harem, sondern seine sieben Töchter – ich fand das rührend und nett und werde die Kette in Ehre halten, versprochen.

 

Als wir losfahren, hat Stefan eine Route über die Nebenstraßen gewählt, die Nebenstraßen verwandeln sich nach kurzer Zeit in unbefestigte Untergründe, so dass die nächsten 10 Kilometer sehr mühsam werden. Macht nichts, das Wetter ist super und wir kommen bald in Alacahöyük an. Hier gibt es eine weitere hethitische Siedlung, die wir uns ansehen wollen. Das tun wir dann auch, allerdings im Schweinsgalopp. Wir haben in Hattuscha viel mehr und Beeindruckenderes gesehen und so können wir Alacahöyük nicht mehr ganz so viel Begeisterung entgegenbringen. Außerdem wollen wir an dem Tag noch bis nach Ҫorum und haben noch gute 50 Kilometer vor uns.

 

 

[Stef]: Die wenigen Minuten, die wir für die Besichtigung dieser Ausgrabungsstelle investieren, würden ausreichen, um alle Schilder zu den Exponaten auswendig zu lernen. Wer vorher nichts wusste ist nachher auch nicht schlauer – man sieht die Gräber und Beigaben, die verstreut in den mit Glas abgedeckten Kammern liegen, Kuhschädel, Haarnadeln, ein paar Amphoren und eine Himmelskarte mit Sternen.

 

Himmelskarte mit Sternen: Die Türkei hat ihre eigene Süßigkeiten-Industrie und das Ülker Imperium versorgt als größter Produzent das Land mit Schokoriegeln, Salzstangen, Keksen und Knabberzeug. Auch bei uns ist das einigermaßen bekannt. Neben sehr eigenen Kreationen im Bereich der gefüllten Doppelkekse wird auch versucht das who-is-who der „westlichen“ TWIX-MARS-SNICKERS-etc. abzukupfern und ein kleines Nebenprojekt beim Durchreisen der Türkei ist der Vergleich zwischen dem Original und dem türkischen Homolog. Aber Ülker ist nicht der einzige Spieler auf dem Schokomarkt: Es gibt auch die Firma ETi, deren Produktpalette den „Canga“ Bar umfasst: Oh Canga – Schokoriegel, vollnussigst mit ganzen Erdnüssen, Klebekaramel mit Bröselschokolade in dunkel (leider selten) und vollmilchig (der Standard), kostengünstigste Alterative, die das Snickersoriginal spielerisch hinter sich lässt.

 

Meine Empfehlung an die geneigte Leserschaft ist beim nächsten Besuch des örtlichen türkischen Gemüse- und Gemischtwarenhändlers die Augen offen zu halten nach der Schoko-Linie von Eti zu suchen und im Idealfall dringend den Canga-Bar zu kaufen und sofort zu essen. Dabei vorsichtig die Verpackung öffnen und sorgfältig das Label des sagenhaften Eti Konzerns studieren. Im Eti-Logo nämlich ist eben diese Sternenkarte der Hethiter als Wahrzeichen abgebildet. Suchet!

 

 

[Gülnaz] Und wieder radeln wir an wunderschönen Landschaften vorbei, ich bin immer wieder erstaunt, wie oft man an einem Tag „wahnsinn, ist das schön“ denken kann. Die letzten 20 Kilometer in die Stadt sind dann nicht mehr so schön, denn wir müssen entlang der Hauptstraße fahren. In der Türkei sind das oft autobahnähnliche, in jede Richtung doppelspurige Straßen mit einem breiten Seitenstreifen. Dennoch – als Radfahrer spürt man jeden LKW, der an uns vorbeidonnert. Die letzten 10 Kilometer ziehen sich, es gibt weniger zu sehen, dafür mehr Rasthöfe und Restaurants unterwegs – und haufenweise „Leblebi“ Verkaufsstellen, denn Ҫorum ist bekannt für Leblebi (das ist typisch türkisch -  in heißer Luft geröstete Kichererbsen).

 

Wir haben ein Hotel in der Nähe des Museums gebucht, diesmal 2 Nächte. Das ist unser erster Pausentag, den wir vor allem für den Besuch des archäologischen Museums in Ҫorum einlegen. Wir wollen Hattuscha und Alacahöyük etwas besser verstehen und sind gespannt auf weitere Hintergrundinformationen.

 

So verbringen wir am nächsten Tag einige Stunden in diesem Museum. Die Ausstellung ist sehr interessant, es wird viel erklärt und es gibt viel zu sehen. Stefan entdeckt hier seine Bewunderung für die Keilschrift und für unpraktische Trinkgefäße, ich bin vom alten Schmuck angetan.

 

Der Rest des Tages verbleibt, um die Stadt zu erkunden. Ҫorum wird mir im Gedächtnis bleiben, als die Stadt der Fleischliebhaber. Wir laufen am zweiten Abend ewig, bis wir ein Restaurant finden, das wenigstens einige fleischlose Gerichte anbietet. Das ist wirklich verwunderlich, denn die türkische Küche ist so reich an Gemüsegerichten…schade.

 

 

Corum nach Amasya

 

 

Als wir Ҫorum verlassen regnet es, nicht nur einige Tröpfchen, sondern so richtig. Na was solls…wir wollen weiter. Haben an dem Tag eine lange Tour vor uns – 92 Kilometer bis nach Amasya.

 

Die Strecke, die Stefan ausgesucht hat, führt auf eher unbefahrenen Straßen aus der Stadt raus, an einem Steinbruch vorbei. Es regnet immer noch und die einzigen Lebewesen, die wir sehen sind (zu meiner Freude) Hunde. Diesmal wertet uns das kleine Dorf-Hunderudel als Eindringling bellt mich warnend an (wenn man dann langsam weiterfährt und nicht panisch wird, geht das immer ganz gut). Aber irgendwann sind es wirklich viele – ich schätze 7 oder 8 Hunde und ich bleibe stehen. Stefan ist schon vorgefahren und ist außer Hör- und Sehweite. Offenbar hat er sich irgendwann mal umgedreht und bemerkt, dass ich nicht da bin – er kommt angeradelt und als er sieht, dass ich vor dem Rudel stehe und angebellt werde, zückt er sein Hundeschwert (aus Holz) – die Hunde verstehen recht schnell „mit dem legen wir uns besser nicht an“ und schon kann ich weiter.  

 

 

[Stef]: Ich bereise das Land bis zu den Zähnen bewaffnet mit einer Auswahl an nicht waffenscheinpflichtigen Gerätschaften zur Hundeabwehr: Pfefferspray, Stöcke, eine Mega-Metallmutter an einem Stück Seil, eine Steinschleuder. Dies ist meiner irrationalen Angst vor diesen furchtbaren Kötern geschuldet und in meiner Phantasie sehe ich mich einsam auf einem staubigen anatolischen Feldweg von kälbergroßen Kangal-Hunden knurrend umzingelt. Kein Schäfer weit und breit, die Hunde tragen tatsächlich Stachelhalsbänder um im Kampf gegen Wölfe – dafür sind die abgerichtet – maximalen Schaden anrichten zu können…. Es gibt nicht nur freundliche Berichte von dem Zusammentreffen mit halbverwilderten Hundemeuten. Das geht vom Balkan bis nach Armenien so.

 

Fairerweise aber muss man sagen, dass bislang gerade in der Türkei mich die Tiere immer in Frieden gelassen haben und es reicht an sich immer langsam zu fahren, notfalls abzusteigen und so zu tun als hebe man einen Stein von der Strasse auf – das verstehen sie meistens und dann trollen sie sich. Die hier sehr überwiegend lieben Hundchen lassen mein Arsenal schon etwas lächerlich aussehen – viele der Viecher sind abgemagert, zerzaust, dreckig und vor allem auf der Suche nach Futter und nicht nach Streit.

 

 

Hier aber der große Einsatz: Ich höre das Kläffen, offensichtlich ist Gülnaz ein paar Meter zurückgefallen und nun verstrickt in einen der gefürchteten Hundekonflikte. Nun also meine Chance auf heldenhaften Rettungsfeldzug und der einmalige Einsatz des einen (von 3!) Knüppeln, mit dem schwingend ich die wenigen Meter zurückradel, ein bisschen herumbrülle, dem Hauptkläffer ein bisschen auf die Pelle rücke: Schon trollen sich die Viecher in ihre Schmutzecken zurück, kläffen noch ein bisschen unsympathisch hinter uns her. Dies also der sagenhafte Heldeneinsatz und die einmalige Nutzung von meiner Hundebekämpfungswaffensammlung.

 

[Gülnaz: Nicht Nutzung, eher in Aussichtstellung der Nutzung! ]

 

Kurze Zeit später treffen wir weitere Hunde, das sind aber Straßenhunde und sie sind sehr freundlich. Wir werden eskortiert – am Ende bleiben nur noch eine Hundemama und ihr Welpe als Eskorte übrig. Wir geben ihnen, was wir zu viel haben – ein Ei, unsere Käsetoasts und als Dank eskortiert uns die Mama (das Kleine bleibt irgendwann müde zurück) gute 10 Kilometer. Irgendwann dreht auch sie dann um und trabt wieder zurück. Ich bin ja immer glücklich, wenn ich Hunde in meiner Nähe habe, so auch hier. Die 10 Kilometer in  Regen und Graupel vergehen mit dieser netten Ablenkung sehr schnell.

Tatsächlich sind wir in der Türkei mit vielen, sehr liebenswürdigen Hunden in Kontakt gekommen. Anders als früher, sind aber viele von ihnen inzwischen behandelt (Bapperl am Ohr heißt idR Sterilisierung und wichtigste Impfungen) und werden nicht mehr so schlecht behandelt, wie ich das aus der Zeit meiner Famiienurlaube als Kind kenne. Viele Menschen füttern die Hunde, im Gegenzug sind die Hunde zwar freundlich  aber nicht mehr panisch. Man muss keine Hundefreundin sein (bin ich, bin ich), um  die Straßenhunde der Türkei zu mögen -  auch Stefan hat das schon festgestellt.
 

[Stef]: was wir ZUVIEL haben? Eher so ALLES WAS wir haben: Liebevoll geschmierte Pausebrote und aus dem Frühstücksraum geschmuggelte hartgekochte Eier – alles wird dem räudigen Elend geopfert, das sich nicht abschütteln lassen will. Gülnaz erwägt den Gang zum Metzger um der Hundemutter mitsamt dem Welpen Filetstücke aus dem Schaf anbieten zu können.

 

 

Irgendwann hört es auf zu regnen und wir radeln nach Amasya rein. Schon die ersten Kilometer sind hübsch, aber als wir in die Stadt kommen, bin ich ganz verliebt – das ist eine der schönsten türkischen Städte, die ich gesehen habe. Alte osmanische Holzhäuser sind wie Perlen entlang des Yeșilırmaks (Grüner Fluß) aneinandergereiht und schmiegen sich an einen Felshang. Weiter oben in der Felswand sieht man pontische Gräber und ganz oben eine Burg. Wir wollen hier zwei Nächte bleiben und entscheiden uns für die hübsche kleine Ilk-Pension. Das Zimmer ist riesig, das Bad betritt man lustig durch den Wandschrank.
Ҫorum war nicht besonders hübsch oder charmant (auch wenn das Museum den Besuch wert war). Jetzt in einer so hübschen Stadt zu sein, begeistert uns sehr. Wir duschen und laufen los in ein Restaurant auf der anderen Seite des Flusses – abends sieht alles atemberaubend schön aus – die Bilder sprechen für sich.

 

Später fallen wir selig (weil fantastisches Abendessen und fantastische Stadt) in unserem fantastischen Zimmer ins gemütliche Bett. Wie schön alles sein kann…

 

Am nächsten Tag wollen wir Burg und pontische Felsengräber besichtigen und laufen los. Ich frage unterwegs mehrere Passanten nach dem Weg zur Burg und immer werde ich gefragt: „Wie? Ihr wollt da zu Fuß hoch? Nehmt doch ein Taxi, das ist viel zu anstrengend.“. So ganz habe ich das immer noch nicht verstanden, denn eine gute dreiviertel Stunde später sind wir oben. Tatsächlich sind wir die einzigen, die laufen. Die Burg – so lese ich später – hat hellenistische Anteile ist aber größtenteils byzantinisch. Der Blick von der Burg auf die Stadt ist toll und der spätere Weg zurück (andere Route) bringt uns schnell wieder in die Altstadt.

 

 

[Stef]: Als Pontus Euxeinos wurde das schwarze Meer im Zeitraum von 300 – 100 v. Chr bezeichnet und die Mithridaten (Mithridaes I – VI plus dazwischen noch ein paar andere Könige) herrschten über ein Reich, das zum Zeitpunkt der maximalen Ausdehnung die heutige Türkei, Teile Georgiens und einen dünnen Streifen der gesamten östlichen Schwarzmeerküste incl. Krim umfasst. 63. v. Chr fällt das Reich wie so vieles an die Römer, die es zu einer Provinz, genannt Bythnia machen. Vieles aus der Zeit ist geschichtlich nicht gesichert – die Felsengräber erinnern offensichtlich an die in Kaunos bei Dalyan an der Westküste der Türkei, die von den Kariern 400v. Chr in den Fels geschlagen wurden. Die sind zwar älter, aber sehr viel kunstvoller. Dafür kann man in Amasya zu den Gräber raufhatschen und den Blick über die Stadt und den Fluss genießen. Nachts verwandelt sich der Fluss und die angrenzenden historischen Häuserzeilen in ein bunt ausgeleuchtetes Kitschspektakel in gelb rot und grün.  

 

 

Wir finden heraus, dass Amasya die Residenz vieler osmanischen Prinzen war, einige der Namen kenne ich sogar noch. Hier wurden die Prinzen ausgebildet und sie bescherten der Stadt im 14. Jahrhundert ihre Blütezeit. Das erklärt vermutlich auch, die Schönheit dieser Stadt. Viel später, 1919 spielt die Stadt ) im türkischen Befreiungskrieg dann nochmal eine wichtige Rolle, als Atatürk (damals noch Mustafa Kemal Pașa) von hier zum Widerstand aufruft.

 

 

 

zuletzt nach Samsun am schwarzen Meer

 

 

Herrschaftliche 10 km mit dem Rad im Regen zum Busbahnhof – von dort aus die verbleibenden 120km nach Samsun mit dem Bus.

 

Der Abschied aus Amasya fällt aus zwei Gründen schwer. Erstens ist es hier einfach wirklich schön und die Pension so gemütlich und zweitens ist es unser letzter gemeinsamer Radltag.

 

Das Wetter hat umgeschlagen, niedrige Temperaturen und Regen sind angesagt. Zudem soll es auf dem Weg nach Samsun sogar schneien. Eigentlich wollen wir die letzten 120 Kilometer noch fahren, aber die wirklich schlechte Wetterprognose bringt uns schließlich dazu, unsere Pläne zu ändern. Wir fahren ca 10 Kilometer aus der Stadt raus, zum Otogar (Busbahnhof). Ich gebe mein Leihfahrrad dem Bus nach Kayseri mit und wir steigen in unseren Bus nach Samsun. Knapp 1,5 Stunden später kommen wir dann dort an und es regnet in Strömen.

 

 

[Stef]: Diese Abschiede sind immer eklig – so schnell gewöhnt man sich daran, die Entscheidungen zu zweit zu treffen, das Erlebte zu besprechen, die Informationen gemeinsam zusammen zu tragen. Ich weiß schon, warum ich alleine unterwegs bin – aber ich weiß auch, dass mir das an sich gar nicht so sehr entspricht, dieses solitäre Eigenbröteln, die einsamen Abende, das Schweigen und das Essen ohne ein Gegenüber. Entsprechend traurig ist es, dass sich in Samsun unsere Wege trennen. Flugzeug nach Hause für Gülnaz, Radfahren entlang der Karadeniz-Küste Richtung Osten und Georgien bei mir. Lustig ist noch das große Programm bei Murat, dem Friseur. Das Gesicht war zuletzt so eingepelzt, dass der Gang zum Coiffeur sehr angezeigt war: In der Türkei bekommt man den Haarschnitt mit Rasur, Nasenaußenhaarepilatur, Naseninnenhaar-Rupfung, Ohrenhaarausbrennung, Kopf-, Nacken und Gesichtsmassage, Wässerchen und Tinkturen und natürlich dem obligaten Schwätzchen. Murat, so erzählt er, kannte in der Jugend ein deutsches Mädchen aus Berlin, dass er sehr verehrte und 2 Jahre schrieben sie sich Briefe. Letztendlich aber war das sprachlich und lebenstechnisch nicht belastbar und das Leben suchte sich einen anderen Weg: Hochzeit, Kinder, Friseurladen in Samsun: Alles gut und Murat ist glücklich. Trotzdem würde er gerne seiner Jugendfreundin schöne Grüße ausrichten.

 

Ariane Wernicke hieß die Dame – ich werde mal versuchen zu googeln und sehen ob unter dem Namen jemand mit Jugend in Berlin noch auffindbar ist. Und sollte ich diese Ariane irgendwie aufstöbern, dann werde ich ihr genau das sagen: „Hallo Ariane, dem Murat geht es gut, er ist Friseur in Samsun und er richtet dir schöne Grüße aus.“

 

Landschaften auf dem Weg nach Hatuscha. Es ist trocken, aber wo ein Fluß fließt oder bewässert wird, wächst und gedeiht es - jetzt im Frühjahr noch zurückhaltend aber um so schöner kommen die blühenden Bäume zur Geltung

Hattuscha - gerne hätten wir erfahren, was es mit dem grünen Stein auf sich hat. Viel ist nicht übrig - es sind vor allem die massiven Kalkstein Blöcke, in der die Holzkonstruktion eingesetzt wurde - dazwischen dann Ziegel. Davon ist nichts mehr übri - aber auf den Tontafeln ware Baupläne und Materiallisten. So hat man ein ziemlich konkretes Bild von der Ansicht der Stadt. Aufgrund der Hanglage soll die Stadt von weit her sichtbar und eindrucksvoll gewesen sein.

Knochen und Grabbeigaben - wer findet die Sternenkarte?

Bilder vom Weg nach Corum - die Schmetterlinge schlummerten zu 100en an eine Hauswand gekauert - an einer Tankstelle.

Regenradeln mit Hund, erste unglückliche Bemühungen um die Entwicklung von selbststehenden Trinkgefäßen, dafür aber hübsche Tiermotive als Trost für den verschütteten Kaffee.  Schrifttafeln aus Hattusche und Rollsiegel, Chaos im Schrottladen und Verfall an Häusern, die von den ärmeren Bürgern bewohnt werden.

Amasya mit osmanischen Häusern entlang des Flusses, Blicken von der Burg, den Felsengräbern und der Kitschausbruch, sobald es dunkel wird. Am Ende kämpfe ich mit einem Kilogramm geschmolzene Helva in Butter und Zucker

Besuch bei Murat

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Kommentare: 5
  • #1

    Helmut Lao Ha (Montag, 06 Mai 2019 15:35)

    was für ein schöner Beitrag! Und: tapfere Gülnaz!!
    Zu den Hethitern in der Bibel vgl: https://de.wikipedia.org/wiki/Urija. Kein Ruhmesblatt für König David. Das heth. Großreich war zur Zeit von David (8 Jhr. v.Ch) schon lange vorbei. Kein Krieger aus der Hattusas - Zeit hätte sich bei so einem Kleinkönig als Söldner verdingt. Hat ja auch böds geendet.
    Dass man in Alacahüyük nichts sieht: das ist alles nach Ankara ins "Hethiter" Museum gewandert, überaus sehenswert!!
    Türkei samt Friseuren und Hunden und Feuerholzlieferanten ist schon ein tolles Land!

  • #2

    Buki (Dienstag, 07 Mai 2019 10:11)

    Köstlich eure gemeinsamen Blog-Eintraege. Ich habe echt viel und laut gelacht (auch im vorigen Eintrag). Von mir aus könnte das immer so weiter gehen. Ich amüsiere mich und vertiefe mich in eure Erlebnisse so sehr, dass ich manchmal das Gefühl habe ich fahre mit euch mit und erlebe das vor Ort mit euch zusammen. Spitze. Weiter so...

    Übrigens, der heilige grüne Stein in Hattuşa ist so eine art Altar oder auch 'Wunschstein'. Seit 3600 legen die Menschen ihre linke Hand darauf und wünschen sich etwas. Gleichzeitig ist es der grösste grüne Stein auf der Welt und man glaubt, dass er in Aegpyten gefunden und von Ramses den II verschenkt worden ist.

  • #3

    Lips (Dienstag, 07 Mai 2019 17:58)

    Nachdem der schöne Bio- Hans dieses Mal sein Wissen zurückhält, fühle ich mich, als dein ehemaliger Betreuer des Bestimmungskurses verpflichtet, kund zu tun, dass es sich bei dem wunderschönen Schmetterling (wahrscheinlich) um den Braunen Bär handelt.
    Freu mich schon auf weiteres Kultur- und Naturhistorisches!

  • #4

    Hans (Mittwoch, 08 Mai 2019 06:52)

    Und ich dachte, das sei ein Eis... Vielleicht findet der Stefan davon ja auch noch eine kopierte (georgische) Variante, die das Original aussticht.

    (Lips, ich hab schon auch auf Brauner Bär getippt. Im Gegensatz zum Wiener Nachtpfauenauge allerdings spontan und ohne Hilfe einer Suchmaschine).

  • #5

    Quirin (Dienstag, 28 Mai 2019 12:30)

    Ihr macht wirklich die schönsten Selfies!