Trabzon liegt wie ein Stein auf meinem Gemüt. Seit 4 Tagen fahr ich jetzt die Schwarzmeerküste entlang und ich bin unentschlossen, ob ich dem Düsteren der Gegend, dem niedrigen Himmel, der verbaute Küste, den Wolken über den Bergen, dem grauen Horizont, dem Meer, das daherkommt wie eine Platte aus Blei etwas abgewinnen kann, oder ob ich es einfach nur furchtbar finde?
In Trabzon verdichten sich diese Eindrücke – und ich befürchte ich habe einen ausgewachsenen Turk-Koller. Und ich will mich hier nicht lange damit aufhalten langatmig zu erklären, dass mir schon klar ist, wie sehr ich da den Bewohnern dieses Landstriches vielleicht auch Unrecht tue… geschenkt!
Trabzon ist so hässlich, dass man sich zwingen müsste ein Foto zu machen, so trostlos sind hier die Wohnblocks zusammengeschoben. An sich sind ja Städte, die sich vom Meer aus die Hänge nach oben ausdehnen gesegnet. Und hier im Besonderen: Die Hänge sind bewaldet, Haselnusswälder und vereinzelte Teeplantagen überziehen die steilen Kegel, die bis an die Uferlinie des Meeres reichen. Dazwischen steile Felsabbrüche, Flüsse und Wasserfälle, die ein bisschen an die chinesischen Kitschmalereien erinnern – auf Rollbildern in 10.000-fachen Variationen in Chinarestaurants weltweit zu bestaunen.
Aber man kann sowas natürlich auch verhunzen: Und Verhunz-Großmeister sind hier an der Schwarzmeerküste zu Werke gegangen. In jeden Hang sind halbfertige Bauruinen eingestreut - vermehrt auch 20-stöckige Betonwohnblocks, unvollendet, oder schon im Verfall begriffen bevor alle Stockwerke bezugsfertig sind. Drum bestenfalls teilweise bewohnt, sonst verwaist, nichts destotrotz zugemüllt und mit Straßen großzügig beschenkt. Dazwischen Hochspannungsmasten. Die an sich traumhaft aufgefaltete Küstenlinie ist von Samsun bis zum Ende des Universums befestigt. Schwarze Steine, Betonpoller, Hafenanlagen… rostende Industrie. Alle 50 km eine überdimensionierte Hafenanlage. Fragt sich für was, denn ein Schiff liegt da nicht vor Anker. Zwischen den grünen Hügeln und der ausbetonierten Küste verläuft eine Autobahn, 6-spurig. Neben der Autobahn die Bundesstraße : immerhin 4-spurig.
In jeder Siedlung, und sei sie auch noch so popelig, blüht der Bau von Moscheen wie die Akne in der Pubertät. Wohin sollen die armen Seelen dieser dörflichen Ödnis auch gehen? Ins Wohnzimmer? Ins Bett? An den Strand? In die Berge? Nix da. Ab zum Beten! Kakophon jeiert der Chor von 1000 Muezzinen phasenverschoben einen jammernden Kanon. [Streichung!…. Hier stand in wohlgesetzten Worten ein religionskritischer Ausbruch von mir – ich fands toll, aber mir wurde nahegelegt das aus dem Text zu streichen. Und das tu´ ich weil ich einerseits nicht behelligt werden will, weil religiöse Eiferer mir mit Gotteslästerung kommen, andererseits ich ja auch wirklich in der Türkei nur nette Menschen treffen durfte – und ich will nicht deren Gefühle beleidigen. Aber es tut mir leid, weil ich so gern in die Kacke haue, wenn mich was aufregt, und hier hatte ich eine Bombe in der Güllegrube gezündet …. Es ist ein Jammer.]
Da verewigt sich jemand gerade. Gewählt auch von den Menschen, die ihn für selbstherrlich und korrupt halten – weil: er baut Moscheen. Von einem türkischen Freund habe ich gelernt, dass das Budget für den Cami-Bau dem 4-fachen der Ausgaben für Bildung entspricht. Nur das Militär bekommt mehr.
Trabzon ist extrem konservativ – plötzlich sieht man Total-Verschleierung – Frauen stehen zusammen wie schwarze Zeltstädte. Die Stadt selber ist dunkel, sei es, weil die Sonne nicht durch die Wolken kommt, oder durch den Smog – die Stadt hat sich der Produktion von Abgas verschrieben. Schwefelig koksig aus den Kaminen, schwarz rußig aus den Auspuffrohren unzähliger Dolmus-Kleinbusse, die sich hupend verkeilt haben in einer dieser vielen Knotenpunkte – und tabakös aus den Lungen der gesamten männlichen Stadtbevölkerung. Hier raucht tatsächlich jeder, dem das erste Haar am Sack gewachsen ist. Vom pickeligen Pennäler bis zum zahnlosen Tatter. Wer zwei Finger hat, klemmt sich eine Kippe dazwischen.
Ganz Stadtteile verfallen – und wenn man ein bisschen genauer auf den verrußten Leerstand sieht erkennt man viel alte Bausubstanz – eben diese Ottoman-Villen, im Grunde Fachwerkhäuser – dunkle Holzrahmen, weiße Wände, Erker aber ziemlich nüchtern – hohe Fenster und geschnitzte Fensterläden… ab und zu sieht man ein paar verbliebene aber in Stand gesetzte Villen in diesem Baustil zwischen den Betonsilos stehen und ahnt wie schön das mal war und sein könnte.
Trabzon (Trebizond) ist uralt und liegt auf der Seidenstraße, war als Hafenstadt ein Bindeglied und Tor zu den Städten im Kaukasus, nach Persien und dem Südosten. So war und blieb es über Jahrhunderte Schmelztiegel von Sprachen, Religionen und Kulturen.
Gegründet als griechische Kolonie im 8. Jh vor Christus von Händlern aus Sinop, quasi als Handelsaußenposten wurde es Teil des ersten persischen Großreiches unter Cyrus dem Großen, das dann 330 BC von Alexander dem Großen erobert wurde. Nach dessen Tod zerfiel das Reich Alexanders und Trabzon wurde von den pontischen Königen regiert, deren Hauptstadt und Gräber wir ja schon in Amasya gesehen haben. Im Folgenden annexiert von den Römern und in die Provinz Galatia eingegliedert, wurde Trabzon wichtig, nachdem die Handelswege ins Euphrat-Tal und nach Armenien ausgebaut wurden. Im 3. Jhd wurde Trabzon christlich und Diokletian, dessen Palast das Stadtzentrum des heutigen Split bildet, verantwortet ein paar unschöne Hinrichtungen von Christen. Unter anderem ein gewisser Eugenius – der hat aber vorher die Mithras Statue umgeschubst, die wiederum der römischen Staatsmacht nicht egal war, … die Christen verschanzten sich im Landesinneren und das berühmte Kloster Sumela wurde im 4Jh gegründet. 20km südlich, in den Bergen, ein Katzensprung von Trabzon – zurzeit allerdings wegen Renovierung geschlossen. Sumela deshalb ein anderes Mal. Hätte ich gerne gesehen. Auch der Weg als Wanderung muss toll sein – aber halt nicht im Regen. Schade.
Um 1000 rum übernehmen die Seldschuken das Geschäft. Später, in der byzantinischen Periode wird Trebizond wichtiger Handelsposten für die Republik Venedig und Genua – da schiffen sie ihre Güter hin und Karawanen, die aus Osten kommen oder in den Osten ziehen, übernehmen die Waren. Für eine Zeit wird Trebizond unabhängig von Byzanz als kleines Reich – und wird reich durch die Steuern auf den Handel, der über den Hafen abgewickelt wird. Marco Polo verlässt in der Zeit nach seiner Rückkehr aus China Kleinasien Richtung Venedig von Trabzon aus, zeitgleich fällt das damalige Konstantinopel an den Herrscher von Nicea, das in der heutigen Westtürkei liegt. 1346 wird die Pest eingeschleppt. Die Zeiten sind turbulent und 100 Jahre später beginnt die Ära der Herrschaft der Ottomanen. Handelstechnisch bleibt alles erfolgreich bis Ende des 19. Jh der Suez Kanal die Warenströme substanziell umlenkt.
Also: Eine dichte und reiche Geschichte, Einflüsse und Wohlstand für eine lange Zeit – es existieren noch Reste eines Aquädukts und eine Burg und eine Stadtmauer. Es gibt eine Hagia Sophia – Ayasofya, ehemals Kirche, dann Moschee, dann Museum.
Will sagen: Die Stadt müsste nicht so scheiße daherkommen. Tut sie aber.
Das Museum besuche ich – es ist ein 2 Stunden Fußmarsch durch die grindige Stadt. Dann bin ich da: Museum geschlossen, wegen Umbau. Es gibt genau ein einziges Schild auf der gesamten Anlage: Es ist ein Verkehrsschild. Weißer Pfeil auf blauem Grund. Steht vor dem Eingang. Es zeigt nach rechts – da ist Morast, dann eine Mauer mit Stacheldraht, sonst nichts. Will uns das was sagen? Vermutlich nicht.
Ein ganz winziger Teil in der Nähe der historischen Stadtmauer ist in Stand gesetzt: Und siehe da: Großartig: Die Stadtmauer erhebt sich imposant – ein Bach fließt, eine gewaltige Brücke überspannt den Bachlauf, oberhalb der Mauer thronen historische und renovierte Häuser – unten blühen die Bäume in einem gepflegten Park, es gibt die obligatorische Teestuben.
In meinem Bemühen der Stadt etwas abzugewinnen, habe ich versucht die unterschiedlichen Ethnien und Religionen dieser Region, das Nebeneinander von „konservativ“ und „aufgeklärt“ zu dokumentieren, aber ich bin schlecht darin, Menschen unbemerkt ins Gesicht zu fotografieren. Stattdessen beobachte ich aber ein Phänomen seit ich an der Schwarzmeerküste bin – ist hier in Trabzon an jeder Straßenecke zu beobachten: Die Zusammenrottung finster blickender Männer. In Gruppen von 3 bis 10 stehen nachlässig gekleidete Männer beisammen, weißbärtig, rauchend, bemützt und bemantelt als wäre es Winter in Novsibirsk und betrachten ihre Füße. In den Teestuben spielen (viele) Männer Tavla (Backgammon) oder Karten oder Romy oder kucken Fußball. Aber die dunklen Zusammenkünfte im Freien dulden offenbar keine Zerstreuung. Freudlos und streng schweigen sie vor sich hin, die obligatorische Gebetskette klackert. Erstarrt in dumpfer Gläubigkeit. Oder was auch immer.
Je weiter in an der Küste nach Osten fahre, desto abweisender wirkt auf mich diese schweigende Wand – ich find immer seltener eine Teestube, in die ich gerne gehen möchte, um mich an einem oder zwei Tees für ein paar Minuten aufzuwärmen.
Highlights? Gibt’s: Das ist nach wie vor die Türkei und auch wenn es mir an anderen Stellen besser gefallen hat findet man die Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit auch hier immer wieder. Egal an welchem Tisch man sitzt, das Essen ist gut, reichlich und auch der einfachsten Bude gelingt es dir das Gefühl von Willkommen und Gemütlichkeit zu geben. Zwischen den Städten gibt es immer wieder nette Begegnungen: Ein Messermacher, der mir an sich einen Dolch verkaufen will, dann aber meine Messer schleift wie Rasierklingen und partout kein Geld annehmen will. Einen Hotelier, der mich aus dem einsetzenden Regen fischt und mir einen Tee anbietet. Und wo man der armen Natur keine Wohnsilos zugemutet hat, ist der Blick in die Berge traumhaft.
19.04. Samsun – Ünye ↔ 90 km ↑↓ 570m
20.04 Ünye – Ordu ↔ 82 km ↑↓ 700m
21.04 Ordu – Giresun ↔ 50 km ↑↓ 350m
23.04 Trabzon – Rize ↔ 80 km ↑↓ 550m
24.04 Rize – Hopa ↔ 93 km ↑↓ 470m
Ünye
Die Fahrt aus Samsun führt in flächige Industriezonen – zu spät entdecke ich den Nahverkehrszug, der mich durch die regennasse Trostlosigkeit geschmuggelt hätte. Den ganzen Tag radel ich unter tiefen Wolken, aber gnädiger Weise geht der echte Regen erst hernieder, als ich bereits in einer kleinen und wirklich schönen Unterkunft untergekommen bin – das ist eines der renovierten traditionellen Häuser. Ich schlafe in einer Kammer unter dem Dach, aber im Restaurant gibt es eine Gitarre, ich bin der einzige Gast, darf vor mich hinklimpern und der nette Mann von der Rezeption bringt mir ab und zu ein Glas Tee. Abends kommt der Besitzer und spricht in babylonischer Multisprachigkeit in mein Ohr. Ich verstehe, dass dieses Haus eines von sehr vielen traditionellen Bauten war, in der Stadt aber leider eben viel verloren ging und wenig geschützt wird. Die Stadt Ünye muss früher ein wahres Kleinod gewesen sein. Ein Palast soll an Schönheit den weltberühmten Harem am Topkapi in Istanbul in den Schatten gestellt haben. Das Bild ebendieses Palastes ist von einem französischen Maler gepinselt worden und nun im Louvre zu bestaunen, das Original in Ünye leider abgebrannt. Die Stadt ist eng und unter dem tiefen Himmel ist das eher dunkel als heimelig. Am Strand gibt es ein Café und ich schaue aufs Meer.
Ordu
Der Tag verspricht sonnig zu werden, zwischen Ünye und Ordu ragt eine Halbinsel ins Meer. Auf dem Weg erahne ich vor mir Radfahrer und hoffe mal wieder auf Weggefährten und Fernradreisende und trete in die Pedale: Nach einer halben Stunde habe ich die beiden eingeholt – neonbunte Rennradler, der eine spricht ganz gut Deutsch, er war Vorbeiter - … hä??? Vorarbeiter??? in Deutschland, 5 Jahre war er in Duisburg, nun ist er wieder hier – und immer noch Vorbeiter (?) – egal, der andere quält sich ganz schön und so habe ich Zeit ab und zu ein paar Fotos zu machen von der atemberaubenden Küste. Die Halbinsel ist bergig und der Weg schraubt sich an den steilen Felsen immer wieder auf Plateaus – dort laden Restaurants und Teestuben ein, und dann geht es wieder runter in die nächste Bucht. Von oben schaut man auf die Wellen, die an der Felsküste brechen und an jeder Klippe hat sich ein Baum oder Busch festgewurzelt, sehr malerisch alles, die kurzen Abfahrten machen Spaß und weil meine beiden Mitfahrer keine Megakonditionsbomben sind, nehm ich auch die Steigungen locker. In einem dusteren Ort wollen dann meine beiden Rennradler pausieren – oben wäre es doch viel schöner gewesen, hier aber wartet der Freundeskreis und der „Vorbeiter“ wird ehrfürchtig begrüßt, Hand geküsst und an die Stirn geführt, es gibt Tee und immer mehr Männer kommen zusammen, später auch eine echte Radlergranate mit Ironman Historie und deutet auf meinen Mitfahrer: cycling Imam, sagt er und lacht. Nix Vorbeiter: VorBETER! Das war der Imam einer der größten Moscheen im Pott und Vorsteher eines muslimischen Interessenverbands. Jetzt beglückt er seine Gemeinde in Ünye.
Für die beiden ist hier Schluss und ich kann mich auch loseisen – auf dem Weg am äußersten Zipfel der Halbinsel steht eine griechische Kirche, die nun als Photohintergrund für Hochzeitspaare herhalten muss. Das Meer schlägt über den vorgelagerten Felsen zusammen und das ganze sieht aus wie Schottland, sehr rauh und sehr grün, die Kirche ist ein grober Steinklotz.
Bevor die Straße wieder auf die Küstenlinie einschwenkt, holt mich ein Auto ein, der Fahrer packt die Kamera aus und die Kollegin erklärt mit Hilfe von google Translate dass sie Journalisten sind für den Staatssender und mich interviewen wollen – das finde ich lustig, weil ich schon immer ins türkische Frühstücksfernsehen wollte. Das Ganze ist ein bisschen skurril, weil ich natürlich die Fragen nicht versteh und sie nicht die Antworten. Aber ein alter Mann mit seinen Einkäufen taucht am Bildrand auf – und der kann Deutsch, übersetzt die Fragen, meine Antworten, … ich muss noch ein paar Runden drehen, verabschiede mich freudig von Ismail-bey, dem Übersetzer, beide lachen wir über den nun anstehenden Beginn einer großen TV Karriere. Er wohnt in Istanbul und macht hier Urlaub. Mit dem verhunzten Interview bekommen wir vermutlich nicht den Pulitzer-Preis, aber es ist spät geworden und ich hab noch 30km nach Ordu. Immer noch besser als für meinen neuen TV Kumpel Ismail – dem haben die Hunde seine Einkäufe gemopst, als er mit mir im TV Fieber war. Seine Milch ist aufgebissen und die Hunde schlabbern aus der Plastiktüte.
Giresun
Der Weg ist kurz, dafür verregnet – als ich nach einem wenig aufregenden Radeln entlang der monotonen Küste in Giresun ankomme schifft es aus Kübeln – trotzdem mache ich mich auf und versuche noch etwas von der Ortschaft zu sehen. Steil geht es hoch, quasi Strom aufwärts – so regnet es – oben stehen Überreste einer Festung mit Blick über Meer und Küste, auf dem Weg nach oben entdecke ich eine kleine nette Bar mit Musik aus dem Abendland, … irgendwas aus den 90ern – schon fast historisch, aber so viel besser als dieses elende arabeske Kehlsackvibrato, dass in der Türkei aus jedem Lautsprecher tönt. Schnulzige Schlager, schmierige Herren, süßliche Texte, die den einsamen Weg, den unbelaubten Ast, die dürstende Pflanze besingen – als wäre die musikalische Entwicklung irgendwo auf der Stufe von Roland Kaiser und den Helwig Schwestern eingerastet. Im Regen aus dem Fenster in die verregnete Tiefe und das nebelige Hafenbecken zu sehen und dazu Sting zu hören und Salep zu trinken ist irgendwie stimmig und ich will gar nicht mehr weg.
Von Giresun werde ich einen Bus nach Trabzon nehmen, eine Perle unter den Schwarzmeermetropolen, ein Ort zum Träumen, …. Um aber auch dieser Stadt etwas abzugewinnen habe ich in Trabzon die möglicherweise letzte Chance auf eine türkische Dampfbehandlung wahrgenommen und mich im Hamam walken lassen wie ein Kobe-Rind. Man macht das zu selten – auf riesigen heißen Marmorplatten rumhängen, sich aus verzinkten Schalen abwechselnd warmes und kaltes Wasser über den Kopf gießen, in schummrigen Saunen vor sich hintropfen um dann von einem sehnigen Massageknecht recht unsanft eingeseift, gerubbelt, geknetet und verdreht zu werden. Endlich sauber würde ich lieber noch ein bisschen in dem weißen Tuch eingewickelt rumsitzen, einen Badetuchturban auf dem Kopf, … lieber als in meine Klamotten zurücksteigen, die nicht annähernd so sauber sind wie ich mich gerade fühle.
Hinter Trabzon dann finden sich die ersten Teeplantagen und auf dem Weg nach Rize kommen die Berge näher, die Hänge werden steiler und zwischen den Haselnuss-Plantagen ziehen sich die leuchtend grünen Teefelder die Hänge rauf. Und es gibt plötzlich super nette kleine Bauernhäuser – der Tee wird offensichtlich in kleinen, auf Stelzen stehenden kleinen Schuppen gelagert und getrocknet – traditionell und mit schönen Holzschnitzereien versehen.
Später trinke ich Tee im schönsten Haus entlang der von mir abgeradelten Schwarzmeerküste. Siehe Bilder. Der Pächter hat lange in Berlin gelebt und betreibt neben dem Restaurant-Betrieb noch eine kleine Messerschmiede – er zeigt mir das Handwerk, ein kleiner Ofen, ein Blasebalg, ein Amboss, ein Hammer. Später darf ich mich durch die verwinkelten Zimmer im ersten Stock schlängeln. Die Zimmer sind mietbar für Feste und die Verköstigung wird in der Küche im ersten Stock abendfüllend an- und nachgeliefert. Ein wirklich sagenhaftes Ambiente für Feiern mit Familie oder Freunden.
Auch hier kämpfen die Hoteliers mit den Folgen der rückläufigen Entwicklung im Tourismus. Das tut einem besonders leid, wenn man sieht, wieviel Mühe in den Erhalt eines der letzten traditionellen Häuser gesteckt wird. Gerade diesem Betrieb wünsche ich alles Gute
Rize
Rize ist wieder eine dieser so immer gleichen Städte – und ich bin mir nicht sicher ob ich mich an die Stadt oder das Hotel tatsächlich erinnere? Es ist ein bisschen gesichtslos, dieses Rize – so hässlich wie Trabzon aber dazu auch noch belanglos. Es gibt wieder eines der an das Ufer gebaute Cafe auf Stelzen – unter den Heizstrahlern, kann man der Sonne beim untergehen zusehen – unter mir schwimmt ein Teppich aus Plastikmüll im Meer. Das Hotel ist lustig – alles fällt auseinander, die Vorhangschiene hängt herunter, Drähte und Kabel und Metall-Träger stehen aus der Wand – nach dem Spülen läuft das Wasser aus dem Toilettensockel in einen vorsorglich eingebauten Gulli im Bad – auch in der Dusche läuft das Wasser nicht ab sondern über. Das Bett hält nur, weil es in der Ecke steht – bewegt man es knickt es ein wie ein gut erlegtes Reh. Es sind die kleinen Details die aus einem Hotel dein Zuhause machen, denke ich mir. Aber wie immer sind die Leute, die im Hotel arbeiten freundlich und zuvorkommend, da schlafe ich auch gerne bewegungslos in meinem Bett um die fragile Konstruktion nicht zu beanspruchen.
Nach Rize lässt der Wille zur konsequenten Verbauung und Befestigung der Küste türkeiseitig endlich nach, und siehe wie schön alles sein könnte: aus den Bergen fließen gewaltige Schmelzwässer durch breite Täler, im Landesinneren Schneegipfel, die Teeplantagen liegen wie ein sauber geschorener grüner Teppich auf den Hängen und leuchten in der Sonne. Endlich ist auch die Schlechtwetterphase ausgestanden und die Türkei zeigt sich sonniglich zum Abschied.
Hopa
Hopa ist die letzte Stadt vor der Grenze – an der Küste entlang sieht man bereits die Türme von Batumi und die hohen Berge im Landesinneren, weiße Gipfel auch hier, der Kiesstrand ist breit und die Sonne fällt auf die Wellen des Meers – erstmals hätte ich Lust reinzuhupfen – aber es sind nur noch 10km nach Hopa und jetzt will ich auch weiter. Raus aus der Türkei und rein nach Georgien. Neue Sprache, andere Religion, andere Schrift, andere Kultur. Hopa ist eine echte Transit-Stadt. Mir gefällt das, obwohl an der Stadt selber nichts großartig ansehnlich wäre: Es ist voller Lastwagen und deren Fahrer – es hat etwas „internationales“ so ein Gefühl, das einen an Bahnhöfen manchmal befällt, oder an Flughäfen. Lastwagen sind ja weniger elitär als der Orientexpress, aber irgendetwas Freiheitliches umweht schon auch diese Truckerszene und in Hopa spürt man das. In der Früh das letzte türkische Frühstück mit den Tomaten, Käsen, dem Tee und dem Ei, Gurke, Oliven, Helva, Honig und frisches Weißbrot, Yoghurt mit Pekmez und Tahin. Noch weiß ich nicht, wie sehr mir das abgehen wird.
Zumal ich so lange in der Türkei war, dass es sich weniger anfühlt wie ein Reise-, sondern mehr so wie ein Lebensabschnitt, hier ein kurzes Resumee aus der Fahrradfahrerperspektive: Von allen Ländern, die ich kenne ist die Türkei das Land mit der reichsten und vielfältigsten Geschichte, ebenso die Landschaften. Eine der wenigen Konstanten sind das immer gute Essen und die für uns reservierten Mitteleuropäer fast schon beschämende (Gast-) Freundlichkeit der Menschen. Der Straßenbau tobt – und auf den vielen Seitenstreifen-Kilometern entlang überdimensionierter Bundesstraßen überkommt einen auch das Gefühl an dem Land vorbei zu fahren. Um so schöner die Erfahrungen in Zentralanatolien. Es ist leicht, das wenige Negative zusammenzutragen (und am schlimmsten fand ich eindeutig die Musik) aber schwer all das Schöne, Beeindruckende und Erfreuliche aufzuzählen, es ist soviel: Kultur und Geschichte, die Landschaften, das Essen und an erster Stelle natürlich die vielen Menschen, die einem immer helfen wollen wo auch immer sie können.
Und raus
Bis zur Grenze geht es am Fuss der Berge entlang, links das Meer – die Straße passt sich offenbar langsam den georgischen Verhältnissen an – das bedeutet nichts Gutes, die Rücken der Berge schieben sich nun bis ins Meer und bilden eine natürliche Grenze zum Nachbarland. Durch 3 Tunnel führt die Straße zur Grenze – die Laster stauen sich über Kilometer – mit dem Rad kommt man aber gut vorbei und anstelle von 3h Warten, kann ich mich quasi aus der Türkei hinauswinken lassen – die nette Grenzbeamtin stempelt mich aus, noch ein paar türkische Brocken kann ich sagen – dann winkt mich der Grenzer aus Georgien zu sich. Stempel in den Pass, Willkommen in Georgien, sagt der Grenzer zu mir, es hört sich an als meint er das ernst und ich freu mich.
Ünye: Die Städte sind nicht notwendigerweise schön hier - auch wenn es vereinzelt am Straßenrand traditionelle Schuppen zu bewundern gibt, aber die Märkte sind immer unterhaltsam. Wenns regnet sind die Städte besonders trostlos - und am Strand tun Jungs das was sie immer machen - versuchen cool zu rauchen und um die Wette Steine ins Meer schmeißen. Glücklich, wer im schönsten Haus der Stadt übernachten darf. Plus romantischer Verfall von Betoninstallationen am Strand und große Hundesitzung.
Ordu: Auf dem Weg dahin treffe ich den radelnden Imam, eine Hochzeitsgesellschaft und ein Fernsehteam - das Team wollte mir die Photos schicken. ... Ich warte. Meine Starkarriere im türkischen Fernsehen verkümmertoffensichtlich schon im Embryonalstadium.
Giresun im Regen. Aber super Cafe!
Trabzon - dunkeldustere Stadt unter tiefen Wolken. Mitten in der Stadt zwischen heruntergekommenen Blocks finde ich eine alte Kirche - in keiner Karte verzeichnet, aber mn kann reingehen und findet historische Fresken, ramponiert aber erkennbar. Auch bei schlechtem Wetter ist der restaurierte kleine Teil an der Stadtmauer sehenwert und gibt eine Ahnung davon, was möglich wäre. Auf der Straße immer wieder Vollvermummung, hier kommen auch viele Saudis - ... und so ist es nicht notwendigerweise eine Türkin, die ich hier heimlich aufgenommen habe... mit ihren Baby auf dem Schoß. Und weil ich den Finsterlingen nicht ins Gesicht photographiere, ein lakat von irgendeiner religiösen Instanz. Die Plakate mit dem Konterfei des Sympathieträgers finden sich in der ganzen Stadt. Sehr enttäuschend auch die ehemalige Kirche, dann Mosche dann Museum dann Baustelle: Ayasofja.
Hinter Trabzon wird a) das Wetter besser und b) die Landschaft schöner. Die Teeplantagen sind schön, gerade jetzt, weil die jungen Triebe in der Sonne (a!) so leuchten. Dann gabs da Wasserfälle - also Wasserfälle gibts da überall, weil das Wasser aus dem Gebirge drückt - aber hier ist das besonders schön und es gibt einen Teegarten und Forellenzucht und man trifft sich Selfie-Machen und Schmollmund in die Kamera machen. Hier wie überall.
Zwischen Trabzon und Rize - das schönste Haus an der Schwarzmeerküste. Behaupte ich jetzt!
Restaurant, Schmiede, Local food- distributor.
Ich hatte keine Ahnung wie super verwinkelt, gemütlich und anders als unsere Häuser so ein Haus auch von Innen ist. Ein bisschen muss man sich da schon fühlen wie ein kleiner Pascha in seinem Palast.
Nach Hopa nur nch ein paar Kilometer bis zur Grenze - letzte Moschee, Blicke zurück und ein paar Minuten am Strand. Dann über die Grenze und von Georgien aus betrachtet sieht die Grenzstation aus wie die Brücke eines Frachters.
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