Der Thomas Wendl Georgien Reiseführer

Nicht, dass jetzt mein Verhältnis zu Religionslehrern immer ungetrübt gewesen wäre: Ich wurde zum Beispiel schon schmerzhaft von einem Schlüsselbund getroffen: Geworfen von einer Religionslehrerin. Scharf geworfen. Ich hatte allerdings zuvor auch in die Schulbibel gebissen. Es gab in der Grundschule die Frau Fässler – eine durch und durch nette, aber wehrlose Frau. Arme Frau Fässler! Die musste oft raus zum Weinen, weil es so zuging. Am schlimmsten war der Sven Rahn. Religionslehrer werden schon gequält.

 

Der Thomas Wendl am Gymnasium war anders – der unterrichtete nämlich nicht nur Religion sondern auch Mathe und konnte deshalb zurück quälen, wenn es sein musste: Musste aber nicht sein, weil der Thomas Wendel irgendwie cool war, auf alle Fälle unkonventionell: In meiner Erinnerung eine eigenwillige Mischung aus alttestamentlicher Prediger und politischer Aufmüpfling, moralisch ohne moralisierend zu sein, aufrecht, … irgendwas mit Haltung hatte das wohl schon zu tun, drum war der Wendl respektiert. Viele seiner Schüler waren auch außerschulisch mit ihm befreundet, verbunden und per Du – mir wurden diese Ehren wenig überraschend nicht zuteil, aber das sei ihm nachgesehen. Rückblickend wäre ich manchmal mit mir auch lieber nicht per Du gewesen.

 

Umso mehr freut mich, dass er meinen Blog liest und weil wir uns sogar ein paarmal geschrieben haben, weiß ich, dass er sich Albanien ansehen will (oder angesehen hat??? Thomas? Wie wars? Gerne ins Kommentarfeld!) und im kommenden Jahr vorhat nach Georgien zu fahren. Eventuell. Hier also meine gesammelten Schlauheiten. Neuland für Thomas Wendl: Schlauheiten aus meiner Feder. Zu Schulzeiten leider die Ausnahme sowohl in Mathe als auch in Religion.

 

Servus Thomas! Los geht’s:

 

Für all diejenigen, die nicht mit dem Rad einreisen wollen bietet sich der Flug an – ansonsten geht es auch CO2 neutraler, mit dem Zug bis nach Istanbul, von dort die Schwarzmeerküste entlang – das geht mit Überlandbussen ausgesprochen bequem und kostengünstig und dann mit dem Dolmus von Hopa an die Grenze. Dauert halt Hinter der Grenze ist für kleines Geld ein Taxi bis Batumi zu haben. Schon ist man in Georgien. Flüge gehen billig ab Memmingen und fliegen nach Kutaisi. Wenn man schon mal in Kutaisi ist, kann man sich von da aus schon mal in den Norden durchschlagen.

 

Idealerweise kann man russisch. [Alt-hebräisch bringt einem weniger. Ich kann weder das eine noch das andere und bin trotzdem durchgekommen. Was einem vielleicht etwas bringt sind Grundkenntnisse in Aramäisch – dem Vernehmen nach die Sprache, die unser lieber Herr Jesus gesprochen hat. Die hermetischen Schnörksel des Georgischen leiten sich, wenn ich das richtig gelesen habe vom Altaramäischen ab. Sprechen aber nur noch wenige]

 

Was ich sagen will ist: man kann auf jedem Busbahnhof ein Marschrutka finden, das einen überall hinbringt, unbequem, eng, volksnah und billig. Minibusse in einem fortgeschrittenen Verwesungszustand. Aber auch die moderneren haben keine wirklichen Stoßdämpfer mehr, was dem Zustand der Straßen geschuldet ist.

 

Und wenn man nun schon in Kutaisi ist, kann man zum Beispiel nach Maestia im Norden weiterfahren und von dort aus nach Ushguli. In Ushguli stehen vor der Kulisse atemberaubender Berge des hohen Kaukasus sogenannte Wehrtürme, die nun auch UNESCO Weltkulturerbe sind. Hätte ich gerne gesehen, lag aber noch zuviel Schnee. Wir haben ein paar Deutsche in Kazbegi getroffen, die waren da: Mietwagen mit 4x4, und Wanderungen mit Schnee bis an die Hüften: Da war es Mitte Mai.

 

Wie diese Wehrtürme aussehen, kann man sich wunderbar im Netz ansehen – interessant fand ich die historische Perspektive – diese Wehrtürme gibt es schon seit vor Christi Geburt und die Türme sind seit ewigen Zeiten im Besitz von Sippen – und die Sippen lagen natürlich in ständigem Streit und haben sich bekriegt wo und wie sie konnten. Da war so ein Turm natürlich super, um Steine auf die Angreifer zu schmeißen. In den Nordrändern von Georgien erfreut sich die Blutrache einer langen und „lebendigen“ Tradition. Dem Sowjet-Regime ist es zu verdanken, dass das gegenseitige Ermorden eine Zeitlang zum Erliegen kam (die wollten wohl selber entscheiden, wer über die Klinge springt), jüngste Berichte aber zeugen von einem Wieder-Aufkeimen dieses schönen Brauchtums.

 

Das Gebiet ist gesegnet mit Naturkatastrophen – Erdbeben sind häufig und wenn es mal nicht wackelt oder die nachbarschaftliche Sippe Deinen Turm belagert ist es vermutlich Winter und die Lawinen gehen runter. Diese Wehrtürme stehen unbeschadet seit dem 10. Jahrhundert und frage nicht wie oft nur noch die Spitzen der Türme aus der Lawine geschaut haben. Nichts hat diese Türme umschubsen können. Es ist in der Tat immer noch Gegenstand wissenschaftlicher Überlegungen, was diese Türme so stabil macht.

 

Ich habe es nicht gesehen, aber wenn Du, Thomas, das besuchen willst, komme nicht im Mai. Da ist noch Winter. Allerdings gibt es weniger hoch gelegene Dörfer und auch da sind diese Türme zu bewundern. Der Tourismus beginnt hier erst langsam Fuß zu fassen. Vielleicht noch eine ganz spannende Zeit, sich das anzusehen.

 

Von Kutaisi aus kann man sich auch Gori ansehen - da wurde der Mega Diktator Stalin geboren und die Stadt Gori entblödet sich nicht, eine Kult um diesen Massenmörder zu machen – ich hab mir das gespart.

 

Sollte man direkt nach Tiblisi fliegen, kann man sich eh aussuchen wohin man will. Ein Spaziergang an der Hauptstraße, und man hat 50 Flyer zugesteckt bekommen, die Tagesausflüge zu den bekannten kulturellen/landschaftlichen Highlights bewerben. Daneben gibt es das gleiche Angebot auch in den vielen kleinen Reisebüros. Und das ist alles recht günstig – 50 Lari sind in etwa 15 €, dafür wird man einen Tag herumgekarrt. Die Busse für die man die Tickets gekauft hat gehen am Busbahnhof los – und der Busbahnhof ist mit der Metro gut zu erreichen: Akhmeteli-Linie, Station Didube. Dann den Massen folgen: Auf dem Busbahnhof geht es zu wie in Südostasien, daneben Markt und kleine Geschäfterl. Spätestens wenn man aus der Metro-Station auf den Busbahnhof tritt, verfolgen Dich die Fahrer und fragen, wohin man will. Sobald das heraus ist, wirst du zum richtigen Marschrutka eskortiert, und meine Vermutung ist, dass es genau dieselben Minivans sind, die man bekäme, wenn man in einem Reisebüro gebucht hätte. Ohne Buchung kann man sich zumindest das Auto noch aussuchen. Das kann durchaus den Vorteil haben, zB vorne sitzen zu können und nicht in einem gedunkelten Plüschmobil ins Erbrechen geschaukelt zu werden. Und kostet nur die Hälfte. Dann gibt es noch die regulären Busse – kosten nochmal die Hälfte, halten aber nicht mehr an Sehenswürdigkeiten, sondern wenn der Fahrer Rauchen oder aufs Klo muss.

 

Georgien ist klein - ungefähr so groß wie Bayern: Innerhalb eines Tages ist das Meiste zu erreichen: Das Kloster Davit Gareja, die Heeresstraße bis nach Stepansminda und der sagenhaften Kirche unterhalb des Kazbeg: Ex-Vulkan, 5043m hoch; verdammt eindrucksvoll, nach Vardzia, wo eine mittelalterliche Stadt aus einem Felshang herausgemeißelt wurde – oder Kacheti, Weinbau-Gebiet. Svaneti und Tusheti – das sind die beiden Gebirgsstöcke im hohen Kaukasus, … kann sein, dass man da nicht an einem Tag hin und wieder zurück kommt. Jedenfalls kann man sich das alles problemlos selber raussuchen und dann auch auf eigene Faust die Fahrt dahin organisieren. Gülnaz und ich waren allerdings von Tiblisi so angetan, dass wir gar nicht so extreme Abwanderungs-Bedürfnisse hatten. So haben wir lediglich einen 2 Tages-Ausflug an die russischen Grenze zum Kazbeg gemacht. Man kommt da über die alte Heerstraße hin – und die historischen Details sind in jedem Reiseführer ausführlichst beschrieben. Mein einziger Tip wäre, in Stepansminda nicht nur zu der Dreifaltigkeitskirche hochzuwandern (aber auf alle Fälle wandern und keinesfalls mit dem Taxi rauf) Sondern: Es gibt auf dem Gegenhang des Tales – also quasi gegenüber des Vorberges auf dem die berühmte Kirche steht, ein wenig spektakuläres kleines Kloster – es ist ein kurzer Weg vom ebenfalls unspektakulären Stepansminda-Ortskern, maximal eine Stunde. Man geht durch ein keines Kiefernwäldchen und gelangt so zu dem kleinen Kloster und vor allem unter die imposanten Felswände aus denen Bäche mit Schmelzwasser aus den verschneiten Gipfeln rauschen, alles sehr alpin. Und von hier aus hat man den besten Blick auf den Kazbeg, einen perfekten Kegel mit weißer Kappe und winzig davor hebt sich die Silhouette der Kirche ab – alleine der Blick ist es wert, den Abend in dem Kaff zu verbringen und erst am nächsten Tag den obligatorischen Weg zur Dreifaltigkeitskirche zu gehen.

 

In Tiblisi haben wir nicht in der Altstadt, sondern auf dem gegenüberliegenden Ufer des Flusses (Kura) eine Unterkunft gefunden, und dieses Stadtviertel hat viel für sich: Die Altstadt ist nämlich ein 24/7 Verkehrsirrsinn und die Straßen sind breit und voll. Auch wenn die Sehenswürdigkeiten in der Altstadt liegen, ist es vom anderen Ufer aus auch nur ein Katzensprung.

 

Die Ursprünge des Stadtviertels sind tatsächlich deutsch, dann kamen die Polen, dann die Russen – und heute ist es ein Viertel, in dem die meisten unterschiedlichen Länder ihre Gastronomie betreiben (sowie überhaut multikulturell). Und das ist nicht so schlecht, denn die georgische Küche ist bestimmt ganz super – aber vielleicht nicht ganz soooo super, wie die Georgier meinen. Verfall neben Renovierung, herausgeputzt neben ursprünglich, eingewachsen und grün, kleine Straßen, kleine Geschäfte, kleine Parks und kleine Kirchen. Eine Prachtstraße führt zur Metrohaltestelle Marjanishvili, aber alles sehr unaufgeregt. Zwei Parallelstraßen weiter ist schon der Fluss. Und eine Metrostation weiter ist man mitten in der Altstadt. (Die Metro wurde übrigens 1966 eingeweiht als die 4. der gesamten damaligen UdSSR und wie viele sowjetischen U-Bahnen waren die Tunnel sehr tief angelegt. Ist hier nicht anders – es geht herab in die Vorhölle, denkt man, aber nicht nur weil die Rolltreppe so tief nach unten führt, sondern weil es so bestialisch stinkt. Und zwar nach Schwefel.)

 

Ein ehemaliges Produktionsgebäude für Textilien aus der sowjetischen Ära ist inzwischen zu einem reichlich hippen DIY Zentrum/Hostel/ Werkstatt/Cafe/Gastro Komplex umgebaut worden, heißt Fabrica. Berlin vor 20 Jahren. Sehr angenehm – und hipsterig ohne schnöselig zu sein. Von hier aus gehen auch free walking tours aus, und unsere war super. Off the beaten tracks, Hinterhöfe, Stadtviertel-Geschichte und ein paar nette Kneipen zur Weinverkostung.

 

Radfahren? Selber Autofahren?. Der Verkehr in den Städten ist kriminell. Ein georgischer Freund, der vor einem Jahr bei mir als Couchsurfer zu Gast war, hat sich schlapp gelacht über die heimischen Standards bei der Erteilung von Führerscheinen: In Georgien nimmt man selbstverständlich keinen Unterricht, sondern lernt das an einem halben Nachmittag auf einem Hinterhof, meldet sich für 20 Lari zur Prüfung an, und sollte man wieder Erwarten durchfallen zahlt man halt nochmal 20 Lari und versucht es gleich nochmal. Mit dem so erworbenen Führerschein darf man auch in München einen Wagen ausleihen und herumgondeln. Im Umkehrschluss: Will man da Rad oder Auto fahren?

 

Außerhalb der Metropolen wird es sehr schnell ziemlich ländlich, Unterkünfte sind dann selten, und wenn dann verlassen, und die Standards sind auch nicht immer das, was man in einem Hilton erwarten würde. Mich stört das ja weniger, aber es sei erwähnt. Die Möglichkeiten zu Campieren sind aber schier endlos und wir haben auf unserem Weg selten länger als eine halbe Stunde suchen müssen um etwas zumindest akzeptables, oft aber traumhaft Schönes zu finden.

 

Und jetzt noch, lieber Thomas Wendl, weil ich das nicht machen konnte, aber glaube, dass es super ist: Auf dem Weg nach Armenien folgte meine Fahrradstrecke lange Zeit den Gleisen einer ausgesprochen romantisch in die Landschaft eingepflegten Eisenbahnstrecke – mal durch tief eingeschnittene Canyons, dann über die selben Päse, über die ich mich raufgeschunden habe – so kommt man von Tiblis nach Yerevan. Yerevan ist glaube ich ganz interessant und momentan politisch in einem mutmachenden Transformationsprozess. Vielleicht hast Du ja Zeit und Lust dich in den Zug zu setzen und von Tiflis aus einen kurzen Abstecher in die Hauptstadt Armeniens zu machen – nur um der schönen Zugstrecke wegen. Ich glaube das ist abenteuerlich und schön und spannend. Mach das doch, und erzähl wie es war.

 

Soweit. Und Gülnaz schreibt noch was zu Tiblisi:

 

[Gülnaz] Der Regen ist hartnäckig und verwandelt die Straßen und Gehwege in Wasserstraßen. Das kenne ich aus Istanbul auch. Wenn eine Stadt Hügel zu bieten hat, verwandelt sich Regen schnell in einen kleinen „Stadtbach“. Lustig fand ich schon als Kind, wie das Wasser dann dem Straßenverlauf folgt und sich seinen Platz nimmt…an einigen Stellen könnten man problemlos Papierschiffchen losschicken – als Variation der Flaschenpost.

 

Jedenfalls regnet es beharrlich und deshalb bietet sich der Besuch eines Museums an. Stefan hat das Gefühl, er ist an diesem Land vorbeigeradelt (ha – wie sinnvoll doch manchmal so ein etwas langsamerer Radlpartner sein kann, gell mein Liebling?) und möchte viel über Land und Geschichte erfahren. Das Georgian National Museum scheint perfekt dafür…scheint… Leider stellt sich heraus: hier handelt es sich um eine Sammlung von verschiedenen Kategorien – ein wenig „alles, was auf georgischem Boden zu finden war“. Wir können Homo XX Schädel bestaunen, viele kirchliche Objekte und ausgestopfte Tiere als Zeugnis der Biodiversität – aber leider fehlt die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte und ein roter Faden ist auch nicht zu finden. Das Museum ist voll, das einzige!!! WC im ganzen Haus auch…

 

Auf dem Heimweg nehmen wir die Metro. Man kauft eine Plastikkarte für 2 Lari (derzeit knapp 70 Cent) und lädt diese dann mit einem Guthaben auf. Der Transponder im Durchlass bucht von der Karte ab und man kann durch das Drehkreuz. Super einfach und super schnell (liebe MVG!).

 

Uns fallen einige Dinge auf:

 

1.     Die Rolltreppe runter hat eine ziemliche Geschwindigkeit

 

2.     Der Weg runter ist sehr lang und stinkt…später erfahren wir dann auch, warum.

 

3.     Die Metro fährt eng getaktet (2 bis 5 Minuten Takt) und ist voll

 

4.     Vor allem aber, ist sie wahnsinnig laut. Man versteht sich in der Metro kaum und es fühlt sich an, als wäre man extrem schnell unterwegs. Aber am Ende ist es nicht schnell, sondern nur laut.

 

Dennoch – wir mögen die Metro und werden sie noch häufig nutzen.

 

Am Sonntag sieht das Wetter viel freundlicher aus und so laufen wir los Richtung Altstadt. Eigentlich wollen wir vom Rike Park die Seilbahn rauf zur Nariqala Festung nehmen. Aber im Rike Park ist was los, man feiert ein Europafest – später erfahren wir von einer sehr redseligen NGO-Hip-Expat-Frau, dass man diese Feste feiert, um die Freude der Georgier auf die EU zu nähren…soweit man sieht und hört, wäre das eigentlich unnötig, denn eigentlich will jeder in die EU. Ob und wie vernünftig das nun tatsächlich wäre, sei mal dahingestellt. Dazu wissen wir zu wenig über Land und aktuelle Situation.

 

 Irgendwann machen wir uns doch auf den Weg zur Festung. Die Schlange an der Seilbahn ist zu lang, also laufen wir. Das ist auch ganz schön, denn man läuft am Bäderviertel vorbei und einen ziemlich steilen Hang hoch zur Festung und hat unterwegs und oben immer mal wieder einen tollen Blick über die Stadt. Die Festung wurde Ende des 3. Jhrdts gebaut als die Stadt von den Persern besetzt war. Der Name kommt aus dem Persischen bedeutet uneinnehmbare Burg.

 

Sie wurde von Arabern, den Mongolen, den Türken und den Persern immer wieder belagert, zerstört und erneut aufgebaut. Ein Blitz schlug 1827 in einem Pulvermagazin ein, die Explosion zerstörte weite Teile der Festung, die dann schon nicht mehr von Bedeutung war und deshalb nicht mehr aufgebaut wurde.

 

Oben auf der Burg gibt es skurrile Szenen: Ein junger Mann steht mit offenem Hemd auf den Zinnen der Burg – ungesichert. Er springt, dreht sich, hüpft, macht einen Handstand…  offensichtlich sucht er Publikum.
Der größte Teil des potenziellen Publikums ist aber mit sich selbst beschäftigt. Junge Damen kraxeln in ungeeigneter Klamotte und Schuhwerk auf die Mauern, um sich dann Instagram-würdig zu räkeln, einen Blick in die Ferne und die Duck-Lips aufzusetzen oder sonstwie zu posieren.

 

Den Besuch der Burg hätten wir uns wohl besser für einen Wochentag aufheben sollen - Wieder unten, laufen wir an der Europafestbühne vorbei und hören eine lokale Band spielen. Das hört sich gut an und so bleiben wir, um zusammen mit den Georgiern die letzten Songs anzuhören – die Sonne geht gerade unter und taucht den Himmel in ein warmes Rot, was für eine schöne Kulisse.

[Stef] Das Konzert war viel zu kurz und die Band super. Überraschend super. Und offenbar bekannt, denn das Publikum konnte die Texte mitsingen: Und so anders als das schwülstige Gedudel aus den Lautsprechern und Autoradios, so wohltuend anders als der russische Elektropop, der hier die musikalische Alleinherrschaft innezuhaben scheint: Stattdessen ein paar traditionelle Instrumente - zum Beispiel eine Art Kniegeige, die aber auch gezupft und einigermaßen rockig bearbeitet werden kann. Traditionelle Rhythmen, irgendeine nach Wind und Weiden klingende Holztröte und der Rest westlich mit Bass und Drums und Gitarre. Auf Georgisch kann man auch Rappen. Klingt abgefahren. Wir sind bis zum letzten Song geblieben - das war leider schon um 21 Uhr - wegen mir hätte die Band auch tiefer in die Nacht spielen können.

 

Wir sehen uns in Tiflis noch viel an:

 

·       Die Sameba Kathedrale. Erst zwischen 1996 und 2004 gebaut, kommt sie dennoch sehr eindrucksvoll und monumental daher. Später lese ich, dass die Kathedrale die größte Kirche Transkaukasiens ist und außerdem auch Sitz des Patriarchen.

 

·       Mother Georgia Statue: Auch Kartlis Deda (die Mutter Georgiens) – in der einen Hand das Schwert, in der anderen – sehr sympathisch – den Wein.

 

·       Fabrika: Früher zu Sowjet-Zeiten eine Textilfabrik, heute eine sehr stylische Location, die Hostel, Hotel, Open Space Arbeitsplätze, Restaurant und Café vereint. Schöne Atmosphäre, aber eigentlich schon ein klein wenig zu hip. Dennoch, wir waren gerne dort.

 

·       Abanotubani – das Bäderviertel. Es gibt viele Schwefelquellen in Tiflis (danach stinkt es auch in der Metro). Der georgische Name der Stadt (Tbilissi) bedeutet „warme Quelle“. Bis zu 46,5 °C heißes, kohlensäurehaltiges Schwefel-Quellwasser sprudelt aus der Erde und wird seit Jahrhunderten in Badehäusern genutzt.
Angeblich war König Wachtang I. auf der Jagd und erlegte einen Fasan, der daraufhin in eine Quelle fiel und sofort gar kochte (armes Tier). Als der König erfuhr, dass an diesem Ort viele heiße Quellen zu finden sind, gründete er im 5. Jhrdt ebendort die Stadt Tiflis

 

·       Marjanishvili: Heisst der Stadtteil, in dem wir wohnen. Übersetzt auf München wäre das wohl Sendling – mittendrin, aber nicht schi-schi und nicht touristisch. Wir haben uns dort sehr wohlgefühlt. Die Mischung aus wunderschönen, aber dem Verfall sehr nahen Häusern, modernen Prachtbauten, grünen Inseln, Blumen, Bäumen, Bars und Restaurants war wirklich einmalig.

 

·       Es gibt ein deutsches Viertel. Eine Gruppe aus Deutschland, die glaubte, dass Jesus irgendwann um 1836 am Ararat wieder auferstehen würde machte sich auf den Weg dahin. Aus diversen Gründen blieben sie in Tiflis hängen. Als Jesus dann doch nicht erschien, widmeten sie sich dann vollständig dem örtlichen Leben – samt Weinanbau und Stadtplanung. Unsere Reiseführerin führte darauf zurück, dass in diesem Stadtteil die Straßen so akkurat und gerade sind…

 

·       Tbilisi Art Palace: Tolle Geschichte:
1882 verliebt sich der deutsche Prinz Konstantin Oldenburg in die georgische Agraphina Japaridze. Die ist aber mit einem georgischen Edelmann verheiratet, der hohe Spielschulden hat. Der Prinz ist aber sehr verliebt, so sehr, dass er Agraphinas Mann das Vielfache seiner Spielschulden für eine Nacht mit seiner Frau bietet. Der Mann willigt ein (was für ein Arsch), aber Agraphina sagt „nur, wenn wir uns in einem Palast sehen können.“ Der einizige Palast in Tiflis ist damals ein Kloster – kein guter Ort für ein unmoralisches Angebot. Also lässt der gute Prinz in 8 Monaten diesen Palast bauen und lädt Agraphina wieder ein. Die ist wohl beeindruck von der Entschlossenheit des Prinzen und verliebt sich in ihn.
(Welche Frau würde da noch bei dem Ehemann bleiben wollen, der einen mal eben so verhökert. Dann doch lieber den Prinzen, der keinen Aufwand scheut, für eine einzige Nacht…). Jedenfalls verliebt sich die Gute in den Prinzen, schießt ihren Ehemann zum Mond, heiratet den Prinzen und die beiden bekommen 6 weitere Kinder. Als es in Tiflis unruhig wird, geht der Prinz zurück nach Europa, aber Agraphinchen will nicht mit. Sie bleibt in ihrem geliebten Tiflis und wird leider irgendwann ermodert…welche tragische Story…hach….

 

Wir haben uns beide sehr in diese Stadt verliebt. Die Mischung aus alt und modern, vergammelt und schön, monumental und grün und lebendig aber unaufgeregt ist sehr einnehmend.

 

Für den letzten Abend haben wir uns was Besonderes ausgesucht. Ein Abendesse im Restaurant Barbarestan. Barbare Jorjadze war die Tochter eines Prinzen und die erste Feminstin Georgiens. Eines ihrer Leidenschaften war das Sammeln von georgischen Rezepten. Das Restaurant kocht nach diesem Buch und kreiert typisch georgische Gerichte, die hochwertig und kreativ sind – ein echter Genuß.

 

[Stef] Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass es für uns beide das gab, was es an sich immer gibt, wenn man als Vegetarier in Georgien etwas zu essen sucht:

 

·       gegrillte Auberginenscheiben mit Kräutern und Walnusspaste

·       Maisfladenbrötchen

·       Bohneneintopf

·       Salat mit 37 verschiedenen Kräutern. Mit Hinsicht auf die Salatgröße war da statistisch ein Stengel pro Kraut.

 

Klingt jetzt nicht wie die Neu-Erfindung der Kunst am Herd: Ist es auch nicht! Auch hier grillt man lieber Fleisch als Gemüse und auch wenn einem eine redeselige Expat-NGOin überzeugen möchte, dass Georgien das Mekka des Gemüseverzehrs ist, bleibt das Angebot überschaubar:

  • ·       Teigtaschen mit verschiedenen Füllungen (Pilze, Kartoffel, Käse) sind ganz gut.
  • ·       Katchapuri sind gedeckte Fladenbrote mit Käsefüllung (sehr groß und sehr mächtig)
  • ·       Einen Hirsebrei mit Käse haben wir gegessen, schaut nicht sehr appetitlich aus – so ein bisschen der Albino unter den Kuhfladen, war aber ganz OK (sättigungstechnisch auch nicht ganz ohne)
  • ·       Frittierte Hefeteigfladen mit unterschiedlichen Füllungen – mit ein bisschen Glück Kartoffel, mit weniger Reis, mit Pech Dosenwiener

 

Essen kann man an jeder Straßenecke und trinken auch dazwischen. Hier in Georgien wurde die Weinherstellung erfunden, wie man ständig erzählt bekommt, und der traditionelle Ausbau erfolgt in einer verbuddelten Amphore. Verkeltert wird alles was die Weinlese hergibt – Weintrauben mit Strunk und Kern, Schale und Gestrüpp, Erde, Schnecken, Ungefziefer. So schmeckt das dann auch. Dass man mit damit dann auch noch Schnaps machen kann, blieb den Georgiern natürlich ebenfalls nicht lange verborgen. Getrunken wird traditionell der Weiße, farblich eher so amber, gerne auch schon vormittags. Wir fanden die Roten besser – aber zum Weinverkosten muss man auch nicht nach Georgien.

Und das war dann der letzte Abend. 10 Tage vergehen in Tiblisi wie im Flug

 

Der Abschied fällt schwer, sehr schwer, sehr sehr

Alt und modern in Tiflis immer schön nebeneinander. In den Hinterhöfen sedimentieren die Holzkonstruktionen, an den Promenaden verstauben Prunkfassaden aus Stal und Glas. Sieht toll aus - ist aber dem Vernehmen nach unbenützt.  Die Friedensbrücke leuchtet nachts blau und ist sehr geschwungen und modern. Grün und eingewachsen die Gasseb - im Frühjahr warm - im Sommer unerträglich heiß und schwül. Erstaunlich viel der Bausubstanz ist erhalten und wie überall in Georgien werden die Häuser hergerichtet, sobald Geld dafür da ist. Nüsse in verschiedenen eingedickten Fruchtsaftklebemantel gibt es von der Türkei bis nach Armenien. Erfunden hat es natürlich jeweils das Land in dem man sich befindet.

In der Bewertung mitteilsamer NGO-Damen, die (un?)gefragt über die  Vorzüge der georgisch-vegetarischen Küche ins Schwärmen geraten und dabei vielleicht (ein wenig) den zeitlichen Rahmen überziehen waren wir uns uneinig. Ebenso in der Frage ob ich vor lauter voreiliger NGO-Anerkennung vielleicht doch winselnd in die Knie gegangen bin?

Zumal damit aber keine wirklich kriegsentscheidende Frage dabattiert wurde, musste für dieses Bild das Misbehagen im Gesichtsausdruck schon nachgestellt werden. Gelingt mäßig gut.

Kazbeg und Stepansminda an der Grenze nach Russland - hoher Kaukasus. Der Kazbeg ist ein Vulkan. Die Kirche mit Kloster auch wegen der Lage berühmt. Die traditionellen Steinhäuser halten auf Dauer dem extremen Wetter nicht Stand aber mit dem wachsenden Strom von Touristen wird auch viel in den Erhalt und den Wiederaufbau investiert. Und es gibt Enzian.

Georgien wird gerne auch der Balkon Europas genannt - und die wollen gerne dazugehören. Auf ale Fälle ist Georgien das Land der Balkone. Nicht auf allen würde man sich trauen gemütlich einen Kaffee in der Morgensonne zu trinken

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Kommentare: 1
  • #1

    Thomas (Dienstag, 21 Mai 2019 17:56)

    Aber HALLO lieber Stef,
    was erzählst du da für alte Kamellen? Gefühlt stammt das ja schon aus dem vorvorherigen Leben!
    Ja, ich bin immer noch in Albanien, denn dein Blog gaben mir den letzten Anstoß, das Land zu
    bereisen, allerdings etwas bequemer als du. Denke an manchen Straßenabschnitten, wie du dich
    da geschunden hast - Chapeau!
    Eine Wanderung im Valbonatal (hingekommen mit einer Inlandsfähre durch einen „albanischen Fjord“), war bis jetzt der Höhepunkt. Kann hier keine Bilder posten, was auch besser ist, denn deine
    Fotos sind einsame Klasse. Was man alles nicht in der Schule lernt. �
    Die nächste Reise nach Georgien setzt sich langsam im Kopf zusammen. Ziehe sie wohl vom nächsten Frühjahr auf diesen Herbst vor.
    Und ob du es glaubst oder nicht, gerade wollte ich nachsehen, ob es eine Bussverbindung von
    Tiflis nach Eriwan gibt und da kommt dein Tipp mit der Eisenbahn gerade recht. Klar mach ich das! �
    Aus deine Erfahrungen mit verschneiten Pässen kann ich was lernen und so können sich nun die alten
    Rollen vertauschen ..... und ganz so schlimm wie du dich beschreibst, warst du in der Kollegstufe
    nicht (hab‘ dich ja nicht zuvor als Schüler gehabt).

    Ich halt dir die Daumen, pass auf dich auf, vor allem im Iran. Ein tolles Land, mit tollen Leuten
    und einem höllischen Verkehr (kenn’ ich aus eigener Erfahrung. Wenn du länger als 30 Sekunden
    keine Hupe hörst, weißt du, dass du tot bist! �).

    Liebe Grüße
    Thomas