Nur kurz: Turkmenistan

21. Juni:  Sarakhs nach Hauz Khan: 135km 600m rauf und runter

22. Juni:   Hauz Khan nach irgendwo in der Wüste hinter Mary/Bayramaly: 152km und 700m rauf & runter

23. Juni:    irgendwo in der Wüste hinter Bayramaly bis Repetek: 120km und 600m r&r

24. Juni:   Repetek nach Turkmenabat: 80km, 350m r&r

25: Juni:   Turkmenabat an die Grenze und weiter nach Buchara: 130km und 700m r&r

zusammen sind das 617 km in 5 Tagen. Das ist viel

 

Vom Iran aus ist es der kürzeste Weg weiter nach Zentralasien und auch die Seidenstraße verlief über die antike Stadt Merv, inmitten von Turkmenistan. Ich bin hier reingestolpert, ahnungslos hinsichtlich der Geschichte des Landes und allem was über den gängigen Kenntnisstand herausgeht. Nicht vielmehr als: Ein despotischer Autokrat, Saparmurat Niyazov, regierte mit eiserner Faust einen Wüstenstaat und schuf einen wirren, bizarr-exzentrischen Personenkult um sich.

 

Aber die Geschichte ist natürlich bunter: Er schrieb ein Buch, das als die Bibel der Turkmenen einen spirituellen Leitfaden für ein im Volkssinn sinnvolles Leben liefern sollte. Philosophie, Moral und eine stark eingefärbte Interpretation der ruhmvollen turkmenischen Geschichte. Das Buch, die Ruhnama, wurde in 3 Anläufen geschrieben. Zunächst von anerkannten Geschichtswissenschaftlern, die aber in der sowjetischen Ära dem Alkohol verfallen waren, Saparmurat war unzufrieden und berief eine handverlesene Gruppe von gedungenen Schreiberlingen, deren Werk er aber auch verwarf. Zuletzt musste der gute Mann es eben selber machen: Das Buch wurde der zentrale Inhalt einer jeden Ausbildung, selbst für die Zulassung für den Führerschein mussten frei Textstellen rezitiert werden. Das Buch hatte in jedem Büro, jeder Amtsstube, Schule, Uni und Bibliothek vorschriftsmäßig verfügbar zu sein, …. bevor er die Schulen und Unis und Bibliotheken schließen ließ. Dem Buch wurde ein Denkmal gebaut. Täglich öffnet sich Abends ein gigantisches Buch auf einem Sockel umgeben von Springbrunnen und zu futuristischer Musik erschallen blechstimmig Kapitel aus dem Epos. Das könnte man in der Hauptstadt Ashgabat bewundern. Da war ich leider nicht. So konnte ich auch die goldenen Statuen seiner Herrlichkeit nicht bewundern. Montiert auf dem Monument der Neutralität. Und die Statue dreht sich: So ist sein jugendlich getrimmtes Gesicht stets der Sonne zugewandt. Die Namen der Monate und Wochentage wurden geändert, meist bezugnehmend auf seine Familie oder sein Ruhmana-Epos. Mitten in der Wüste sollte eine dauerhafte Statue aus Eis entstehen, von ihm (wem sonst) – selbst dem Wetter wollte er trotzen und es gab Pläne für ein Skigebiet. Niyazov rief eine Weltbewegung der Turkmenen ins Leben, ernannte sich zu ihrem obersten Vorsitzenden und benannte sich fürderhin als Turkmenbashi, Vater aller Türken – anders als Atatürk aber nicht getragen von der millionenfachen Verehrung der Landsleute. Er verbannte Hunde aus der Stadt (der Geruch beleidigte des Präsidenten olfaktorisches Gespür), degradierte die Stadtbevölkerung zu Straßenkehrern, sprach seltsame Verbote aus, wie beispielsweise die Nutzung von Autoradios. Immerhin schaffte er die Todesstrafe ab, und dazu aber auch gleich Algebra und Physik aus der Schule, sowie den Sportunterricht, Zirkus, Ballett und Oper, Bärte, Kautabak und aus einem unerfindlichen Grund den Rechtsverkehr. Er erfand ein neues Alphabet und schenkte dem Volk zwei neue Feiertage: Jeweils den ersten und 3. Sonntag im August! Sonntag! Tag der Melone! Kein Witz. Zudem eine neue Nationalhymne. Das Ganze kostet einen Haufen Geld, überall Goldstauen und Prachtbauten und ein bissiger Repressionsapparat, das nagt natürlich am Sparbuch. Entsprechend kurz wird das Volk gehalten, doch kurz vor der geplanten Abschaffung der Krankenversorgung zu Gunsten weiterer Prachtbauten verstarb der Turkmenbashi.  Noch am Ende seiner Tage verkündete er Gott persönlich ansichtig geworden zu sein. Folgendes sprach Gott: "Wer die Ruhnama 3 mal liest kommt schneller in den Himmel". Wer die Ruhnama schreibt offenbar noch schneller: Im Dezember 2006 verstarb der große Diktator, vermutlich einer der seltsamsten, exzentrischsten und ungewollt komischsten Autokraten des Planeten. Komisch natürlich nicht für die Tausenden, die für Nichtigkeiten gefoltert, weggesperrt und - Abschaffung der Todesstrafe hin oder her - hingerichtet wurden. Sein Nachfolger wurde ein Zahnarzt:

 

Gurbanguly Berdimuhamedow, ist einziger Zahnarzt der Weltgeschichte, der es zu einem Präsidentenposten gebracht hat. Er ist als loyaler Erfüllungsgehilfe in die Elite der Staatsmacht gekrochen wie Wurm in den Arsch und hat so unattraktive Entscheidungen, wie die Schließung von Krankenhäusern brachial durchgesetzt. Seit seiner Übernahme der Präsidentschaft hat er einen ganzen Haufen von gestörten Verboten eingesackt und es gibt wieder Theater und Konzerte, die Schulzeit wurde wieder auf 10 Jahre ausgedehnt und die National Academy of Science bekommt wieder staatliche Zuschüsse. Die Krankenhäuser wurden wieder geöffnet und die staatlich angeordneten Gesangs- und Tanzveranstaltungen bei präsidialen Auftritten, die dem spontanen Freudentaumel des beglückten Volkes Rechnung tragen, zurückgestutzt. So scheint sich die gesellschaftliche und politische Lage schrittweise zu normalisieren, doch wird die Entwicklung von externen Beobachtern kritisch gesehen: Kritiker werden eingelocht, die Pressefreiheit rangiert auf dem drittletzten Platz, vor Nordkorea und Eritrea. Parteien gibt es nicht, so wenig wie freies Internet, und Berdimuhamedow wird regieren bis er das Zeitliche segnet. Es bleibt eine brutale Diktatur. Und der neue Präsi ist auch ein schräger Vogel, auch wenn er an den Wahnsinn seines Vorgängers nicht heranreicht. Er schreibt fleißig Bücher, die sich zumindest in Turkmenistan einer gewissen Beliebtheit zu erfreuen scheinen. Auch singt er gerne und es existiert scheinbar ein Youtube Video. Des Weiteren versucht er sich als DJ, reitet gerne und liebt die Farbe Weiss, auf Grund dessen in der Hauptstadt Ashgabat schwarze Autos verboten wurden – wer sein Auto nicht rechtzeitig umlackierte, durfte mit Strafen und Stilllegung rechnen. Inzwischen existieren auch ein paar goldene Statuen des neuen Landesfürsten, die Familie besetzt alle politischen und gesellschaftlichen Schlüsselposten und die Auflösung des Personenkults um Niyazov gibt Raum frei für die schrittweise Glorifizierung der eigenen Persönlichkeit. Macht ist eine hinterhältige Droge.

 

Ashgabat, Turkmenbashi, Mary, Turkmenabat. Je davon gehört? Das sind Städte des Landes. Der Gaskrater? Merv?

 

Der Gaskrater ist einem Unfall geschuldet, als zu Zeiten der Sowjetunion ein ausbeutungswürdiges Ölfeld vermutet und angebohrt wurde – anstelle eines soliden Strahls schwarzen Rohöls flog den Ingenieuren und Bergbau-Leuten ein Haufen Dreck um die Ohren, als eine gewaltige Gasblase, seit Jahrtausenden unter Druck, wie ein Dschinn aus der Flasche schoss.  Das war in den 60ern, und man beließ es dabei. So strömte die nächsten Jahre munter das Gas in den Himmel, aber in der Einöde dieses Landes ist es weitgehend unerheblich, ob es aus irgendeinem Loch in der Erde rauspupst. Gasvorräte und Bodenschätz sind hier reichlich, und wohnen tut auch niemand auf dem Land, alles ebene Wüste. In den 80er Jahren hatten ein paar russische Ingenieure dann die brillante Idee, die Gasblase abzufackeln, eine kurze Stichflamme vielleicht, möglicher Weise ein bisschen Detonation, in ein paar Wochen ist die Blase ausgebrannt und aus-der-Spuk mit dem blöden entströmenden Gas. Entsprechend legten die Jungs Lunte und gaben Zündung und dann wurde es kurz mal richtig hell: der Krater kann sich sehen lassen und wie viele der Beteiligten ihr Experiment überlebten ist nicht überliefert, aber die Flamme brennt noch heute. Nach fast 40 Jahren! Immerhin eine Attraktion mehr in dem an touristischen Highlights nicht gesegneten Land. Ist in der Nähe von Ashgabat, leider zu weit weg von meiner Route, aber das hätte ich gerne gesehen und ich kann eine Sympathie nicht leugnen für die Versuchung an Leicht-Entzündliches mal probehalber ein Streichholz zu halten.

 

Das Land ist wählerisch, wen es hineinlässt – und wenn, dann auch nur für 5 Tage. Wobei mit dem Würfel ausgewählt wird: Bei der Bewerbung um die Transitvisen in Tehran haben ohne Nennung von Gründen eine Reihe von Reisenden abschlägige Benachrichtigung erhalten, unabhängig von Nationalität, Geschlecht, Stempel im Pass, … Ich hatte Glück bei der Visa-Lotterie und mein Einreisedatum ist der 21. Juni am Grenzübergang Sarakhs, 200km südöstlich von Mashhad – ab dann habe ich 5 Tage um die gut 500km nach Farap zurückzulegen, mitten durch die Wüste, alleine. Spätestens am 25. Juni spuckt es mich auf der anderen Seite wieder heraus, dann bin ich in Uzbekistan. Kernland Zentralasiens mit Buchara, Samarkand und Taschkent als Knotenpunkte der antiken Seidenstraße.

 

Mashhad - Sarakhs

 

Die letzten Tage im Iran stehen unter dem Eindruck der unwahrscheinlichen Gastfreundschaft meiner neuen Freunde Hamidreza und seiner Frau Sara. Kein Weg ist ihnen zu weit, keine Morgenstunde zu unbequem, um mir mit meinen Touri-Belangen zu helfen – zwischen drinnen laden sie mich zum Essen ein oder zeigen mir die Moschee und erklären mir die Kultur. Mit den beiden habe ich ein letztes großes iranisches Erlebnis, als ich zum Schrein gehe, in dem ein direkter Nachfahre Mohammeds begraben liegt, hier bin ich mitten im Allerheiligsten des Iran. Der Schrein liegt in einer riesigen Anlage aus Moscheen und Schulen und Hallen, Plätzen, Toren und Minaretten. Mehr Stadtteil als Moschee. Verwinkelt wie ein Bazaar und das Profane liegt – wie oft hier – direkt neben dem Tiefst-religiösen. Eine Rolltreppe führt vom zentralen Platz in der Moschee runter ins Untergeschoss, da wartet aber nicht die U-Bahn, sondern der Friedhof. Der aber wiederum so steril ist, dass man an sich eher sein Auto parken würde, als unter den flächig verlegten Fließen mit Inschriften die Toten zu vermuten – je 3 Tote unter 3 dieser Fließen. Wer nahe am Allerheiligsten seine Gebeine geparkt bekommt, findet den Weg leichter ins Paradies. Das allerdings kostet. Um Brunnen ziehen schwarze Gestalten, umrunden in sich enger ziehenden Kreisen eine in einem kleinen Pavillion eingefasste Wasserstelle, um dann am Ende Wasser zu trinken, heiliges Wasser, …alles was in räumlicher Nähe zum Schrein liegt ist wertvoll und verkürzt den Weg ins Paradies. Mit Hamidreza gehe ich zum Schrein und ich bin erstaunt, dass ich da überhaupt reindarf. Hier herrschen Gedränge und das Recht der Ellenbogen, den es gilt, die güldenen Gitterstäbe zu berühren, hinter denen das Grab des heiligen Imam liegt. Wer die Stäbe berührt, dessen Wunsch wird erhört. Und Kinder werden nach vorne gereicht, es geht zu wie in Mekka, regelmäßig geht ein Raunen durch die Massen, ein Raunen, das sich zu einem gemeinsamen Gebet verdichtet, dann vereinzelte Rufe, … die Kinder schreien, denn sie wollen vielleicht gar nicht über die Köpfe hinweg an die Gitterstäbe gepresst werden? Zumindest ihr Wunsch wird erhört – zurück in die Arme des Vaters. Je älter die Gläubigen, desto spitzer die Ellenbogen, die sie mir in die Rippen bohren. Es stinkt nach Fuss und Zwiebel. Alles so urmenschlich, aber gleichzeitig ekstatisch vor Glauben und muslimischer Grundüberzeugung. Neben all dem Chaos sitzen Männer versunken in Winkeln auf dem Teppich und ruhen, rasten, beten oder schlafen – jedenfalls unangefasst von dem wilden Treiben um sie herum. Auch ich kann kurz an die Gitterstäbe fassen und denke spontan den ersten Wunsch, der mir in den Sinn kommt. Dann überlasse ich gerne das Feld denen, die hier weite Wege in Kauf genommen haben für diesen Moment.  Mashhad ist eine 5 Millionenstadt und 5 zusätzliche Millionen werden Monat für Monat in die Stadt geschleust, um hier der heiligsten Grabstädte des Landes nahe zu sein. Mashhad ist entsprechend das konservative Zentrum des Landes, Konzerte sind verboten, die Tracht der Frauen ist das schwarze Zelt und Männer des Glaubens mit weißen und schwarzen Turbanen prägen das Stadtbild. Der Glaubenstourismus hat die Stadt reich gemacht und anders als Tehran wirkt alles ein gutes Stück unverwüsteter, weniger Chaos, weniger Straßenanarchie. Von meinem Hotelzimmer sehe ich die letzten Male die Sonne im gelben Staub hinter den iranischen Bergen in der Wüste untergehen.  Dann geht es weiter nach Sarakhs, einem unwirtlichen Ort mit ungastlichen Hotels, betrügerischen Hoteliers, ein beschissenes Nest in einer beschissenen Wüste. Nach Osten breitet sich die Ebene aus, mit braunem Sand und vereinzelten grünen Büschen. Konform bis zum Horizont und nichts an dem sich das Auge festhalten könnte. In diese Einsamkeit führt die Straße und irgendwo draußen in der flimmernden Hitze ist die Grenze. Mit einem ehrfürchtigen Gruseln, ein bisschen ernster Sorge, einem Haufen Respekt und der Überzeugung, dass die nächsten Tage kein Zuckerschlecken werden, mache ich mich auf den Weg.

 

Die Grenze ist ein Bollwerk aus Stacheldraht und Schützengräben, betonierten Wällen aber die Grenzer sind nett. Direkt vor der Grenze kann ich noch meine letzten Rial in die Landeswährung Manat tauschen und erahne, dass die offiziellen Wechselkurse nicht den wirtschaftlichen Realitäten entsprechen: Später bekomme ich statt 35 Manat für 10 Dollar immer 185. Das macht das Land bemerkenswert günstig. Vor allem weil es nichts zu kaufen gibt.

 

Die turkmenische Seite der Grenze erweist sich als aufwendiger und meinen Pass zeige ich bestimmt 40 mal unterschiedlichen Uniformierten, die freundlich irgendwelche Notizen machen, ich muss meine Reiseapotheke herzeigen und habe vorsorglich die Opiate und Codein-haltigen Präparate mit meinen Eltern nach Hause geschickt. Der Besitz von Opiaten gehören hier nicht zu den Kavaliersdelikten und die Medikamente werden sorgfältig abgeglichen mit langen Listen. Nach 2 Stunden bin ich durch alle Kontrollen und radle auf turkmenischem Boden. Die Straße führt ins Nichts der Steppe, flach bis zum Horizont, staubig, geradlinig und betonierte Strommasten sind die einzige vertikale Struktur.

 

Kamele und Goldzähne

 

Nach 20km gelange ich erstmals an eine Siedlung, staubige Flachbauten aus Lehmziegeln, grüne Wellblechdächer, eine unscheinbare Moschee, Dornengestrüpp und ich erkenne einen Laden. Da gibt’s gekühltes Wasser und ich lade auf. Unter 12 Liter will ich mich nicht auf den Weg machen. Die wenigen Informationen weisen die kommenden 500 km als spärlich besiedelt aus und ebenso spärlich bestückt mit irgendwelchen Läden, oder sonstwie gearteten Einkaufsmöglichkeiten. Die Frau an der Kasse lacht mich an: Goldzähne! Alles: Schneidezähne oben unten vorne hinten – gold! Zentralasien! Yes!!! Das ist so ein Stereotyp, … so wie Kamele: Und dann zieht genau in diesem Moment eins am Fenster vorbei. Behäbig, kauend, aus dem schaumigen Maul ragen noch die Dornen des letzten Busches, die Unterlippe hängt verwegen, das Fell zottelt. Der Kopf dreht wie ein Teleskop zu mir, ein desinteressierter Blick streift über mich hinweg, dann taucht der Kopf ab, um mehr Dornengestrüpp abzurupfen. Ich lauf aus dem Laden und da ist eine kleine Kameltruppe unterwegs, die mit diesem eigentümlich schlappen Gang durch den Sand hatschen, … Kamele. Die sehen so vorsintflutlich aus, diese langen Hälse, dieser wankende Schritt, die Fellfetzen die vom Hals hängen, der schaumig grüne Ekel-Sabber ums Maul und dieses elendig arrogante Geschau. Vor dem Laden ist eine Bank im Schatten, da leg ich mich hin, lass das Wasser in mich hineinlaufen, spüre wie der Wind die nassgeklebten Klamotten an mir trocknen und sehe fasziniert den Kamelen zu, die keine 3 Meter von mir rumstehen wie ein Fatamorgana. Alles noch so ein bisschen unwirklich

 

Die Anmut der Frauen

 

Schon an der Grenze sehe ich die ersten Turkmeninnen und werde die nächsten 4 Tage immer wieder staunen, was das für anmutige Gestalten sind. Traditionell in langen schmal geschnittenen Kleidern und einem locker farbenfrohen Kopftuch, gegen Staub und Sonne, wie Turbane gewunden. Bunte Stoffe, Absätze, … all das habe ich in Persien lange nicht gesehen. An der Grenze maulen die Damen, die hier im großen Stil Colaflaschen nach Turkmenistan einführen, sehr selbstbewusst die iranischen Grenzer an. Aber es ist die Haltung, schlank und aufrecht. Der Blick weicht nicht aus – die schauen dich an. Und lachen auch mal – goldenes Lachen. Je älter desto goldener. Auch die Männer natürlich, aber die sehen aus wie Bauern, die jungen wie Bauernbuben, braungebrannt und zäh von der Arbeit in der Gluthitze der Felder, die sie bestellen. Je weiter ich nach Osten komme, weg vom Iran, und Richtung Uzbekistan, desto westlicher wird die Tracht: Shorts, kurze Röcke, T-Shirts und zentralsasiatische Interpretationen von westlicher Designer-Mode. Aber mir gefallen die traditionellen Kleider, die Stickereien und die Muster, so viel Farbe in der nicht ganz so farbenfrohen Wüste. Viele Knaben und junge Männer haben hier eine mutige Frisur gewählt: seitlich kurz, aber nicht ausrasiert, wird das Haupthaar nach vorne gekämmt und dann in der Stirnmitte mit dem Lineal gezogen gerade abgeschnitten. Es sieht aus wie das, wovor wir als Kinder immer Angst hatten, wenn die Mutter die Haarschneidschere zückte um „nur ein bisschen die Spitzen“ nachzuschneiden. Eine selbstbewusste Interpretation des gefürchteten Topfschnitts. Erst als ich das Bild des aktuellen Präsidenten erstmal in Mary zu sehen bekam erschließt sich mir die Motivation.  

 

Merv

 

Die antike Stadt Merv ist die einzige echte Sehenswürdigkeit auf meiner Querung des Landes – sie war eine der zentralen Anlaufstellen der Karawanen auf der Seidenstraße zwischen Samarkand und den Städten Persiens. Eine fruchtbare Oase und zu Zeiten des seldschukischen Großreiches möglicherweise die größte Stadt der Welt mit 500.000 Einwohnern. Kanäle bewässerten ausgedehnte Gartenanlagen und innerhalb der imposanten Stadtmauern lagen die Karawansereien, Herrenhäuser, prachtvolle Mausoleen, gewaltige Märkte und Moscheen. Nur wenige Jahrzehnte später sperrten die Stadtherren der Übermacht mongolischer Horden die Tore auf, um sich kampflos zu ergeben und Schlimmeres zu verhindern, was sich als verhängnisvolle Fehleinschätzung erweisen sollte. Die Truppen von Dschingis (Genghis) Khan brachten jeden einzelnen Einwohner um, inklusive aller Flüchtlinge die vorher innerhalb der Stadtmauern Schutz gesucht hatten.  Bis zu einer Million Menschen wurden in diesem Blutrausch umgebracht und das Massaker gilt als eines der furchtbarsten der Weltgeschichte. Von diesem Schlag hat sich Merv nie vollständig erholt, aber erst im frühen 19. Jahrhundert wurde die Stadt endgültig aufgegeben.

 

Was an Merv, an der gesamten historischen Anlage, am meisten beeindruckt aber auch einschüchtert, ist die Leere dieses Ortes. Und tatsächlich waren es nicht die Ruinen, die für mich den Ort ausmachen – ganz ehrlich, was hier noch übrig ist schleift der ewige Wüstenwind zu Staub und von dem bisschen, was noch zu sehen ist, von der vergangenen Pracht, ist nur Weniges und das ziemlich lausig restauriert. Die Stadtmauer und der Ringwall, die die Größe am ehesten erahnen lassen, sind zu organischen Formationen erodiert, an manchen Stellen ist das Mauerwerk noch zu sehen, doch über weite Teile ist nur zur erahnen, dass es sich hier um eine gewaltige Stadtmauer und nicht eine geologische Anomalie in der sonst so flachen Umgebung handelt. Es ist innerhalb der Begrenzungen dieser Mauer dann auch an sich nichts zu sehen – nur ein einziges eigentümlich Gebäude, die Kyz Kala, lässt zumindest noch die ursprüngliche Struktur der gewaltigen Mauern erkennen, es ist unbekannt welche Funktion das bewehrte Bauwerk hatte, damals im 7.Jhd, als es gebaut wurde. Heute steht es verwitternd inmitten von Feldern und Buschwerk, das in der Oase überall gedeiht, wo die Bauern nicht kontinuierlich bewässern.  

 

Es sind nicht die Ruinen, oder das außerhalb der Mauern tatsächlich restaurierte Mausoleum, sondern die Weite des Ortes, die Abgeschiedenheit in diesem so abgeschotteten Land, die Einsamkeit und Wildnis, die direkt hinter den Feldern beginnt. Es ist fast unmöglich sich in dieser großen Leere, die Größe bewusst zu machen, sich das blühende Leben vorzustellen, die Gärten und Häuser von Merv, wo jetzt Millionen von Mücken aus stehenden Wassergräben emporsteigen und ein paar Bauern mit Schaufeln und Hacken dem Acker zu Leibe rücken. Das ganze Merv ist ein Dokument der Vergänglichkeit und ganz selbstverständlich beginnt man zu sinnieren, wie uns die Zeit mit allem davonläuft. Wie groß und unzerstörbar hat sich diese Stadt ausgenommen, so stark und reich und zivilisiert und heute erinnern nicht mehr als ein paar verwitterte Steine an diese ganze Pracht. All die großen Zivilisationen entstehen, blühen auf und gehen unter und so und nicht anders wird es mit all dem geschehen, was sich heute als so unverrückbar und sicher darstellt. Das ist Merv: Ein Vorgeschmack.

 

An den Lagerfeuern der Karawane

 

Ich radle bis ich was zum Schlafen finde, so der Plan. Siedlungen hinter Bayramaly werden zwar zunehmend selten, aber ab und zu gibt es ja doch eine Polizeistation, eine Tankstelle, irgendetwas mit einem dieser aufgebockten Liegeflächen, 2 x 2 Meter, kniehoch, Bretter und Teppich drauf. Gibt’s überall seit der Türkei, auch hier natürlich, und sobald ich sowas finde, werde ich freundlich fragen, ob ich hier die Nacht verbringen darf. In der Wüste zu campen ist einerseits unbequem, weil man im Zelt die so willkommene Kühlung des Windes verliert und wenn es etwas gibt, auf was man hier nicht verzichten will, dann ist es der Wind der kühlend über die nasse Haut streicht.  Einfach so in den Staub? … das ist ja kein Sand – wie Sandkasten oder Strand: Das ist feinster grauer Staub, der sich in den Mundwinkeln und Zähnen und Nasenlöchern festsetzt, es ist schon unangenehm, den Dreck einzuatmen, aber reinlegen würde ich dann schon gerne vermeiden. Außerdem hatte ich am Nachmittag diese beunruhigende Erfahrung: Niedergestreckt von Hitze und Durst habe ich in einer Polizeistation, (Baracke, Schranke) ein wenig Schatten hinter einer Mauer gefunden, Wind und Schatten, Erschöpfung, … in ein paar Minuten war ich eingeschlafen und habe nur am Rande mitbekommen, dass mir einer der Polizisten tatsächlich sein Kopfkissen aus seiner Kammer geholt und angeboten hat. Das ist doch wirklich nett und sehr zugewandt. Umso erstaunlicher, dass er plötzlich mit einem Stock nach mir schlägt und mich zum Aufstehen bewegen will, wie ein störrisches Kamel, aber ich bin nicht störrisch, ich brauch nur ein paar Sekunde um zu mir zu kommen, aber dann stehe ich schon widerwillig auf, … warum darf ich nicht noch eine Stunde schlafen? Keinen Meter will ich bei der Hitze weiter radeln, in einer Stunde steht die Sonne ein wenig tiefer… jetzt bitte. Ist dein Chef im Anmarsch? Ich stör doch keinen hier in dem Winkel…

 

Der Polizist redet hektisch auf mich ein, macht Bewegungen, ich solle mich davon machen, aber ich werde jetzt nicht in die Hitze rauswanken und weil ich das mit ihm im Schatten ausmachen will gehe ich ein paar Schritte auf ihn zu … wobei er gar nicht so sehr zu mir schaut sondern auf den Boden vor mir, zwischen meinen Beinen und dann ich sehe gerade noch, wie da ein einigermaßen kapitales Ende einer sandfarbigen dünnen Schlange in einer Spalte in der Wand verschwindet. Ooooops. Die war an meinem Fussende und ich bin ganz froh, dass ich nicht mit einer Schlange auf dem Bauch aufgewacht bin, sondern der aufmerksame Polizist ein wenig über meinen Komaschlaf gewacht hat. Jetzt bin ich auch wach, … und fahr weiter. Hitze hin oder her.

 

In den seltenen Läden kaufe oder trinke ich Wasser oder Cola oder Ayran. Es ist noch zu früh um den Tag zu beschließen und ich muss ja die 500 km durch diese Wüstenei Turkmenistan innerhalb von 5 Tagen bewältigen, …. lieber noch ein paar Kilometer machen. Dann geht die Sonne unter, der Straßenbelag ist schlecht geworden über die letzten 50km nach Merv und der Lichtkegel meiner Lampe leuchtet immer ein bisschen zu spät die Schlaglöcher aus, schnell fahren kann ich so eh nicht und die Wüste ist schwarz. Der Asphalt strahlt noch die Hitze das Tages ab, aber dass die scheiß Sonne endlich weg ist, macht es schon auch erträglicher. Kaum mehr ein Auto und Laster, kein Licht, … aber ich hab auch schon 130km in den Beinen. Beinen … Beine ging ja. Es ist die Schnittstelle zwischen Stefan und Sattel, die inzwischen wund ist. Und es war ein langer Tag, …. Wenn jetzt ein Lichtlein am Straßenrand auftaucht, dann werde ich um Quartier bitten. Alle haben diese Liegen vor dem Haus und da werde ich meine Isomatte ausrollen und mein dünnes Schlafsack Inlay und meine Klamotten als Kopfkissen und … Komm oh Schlaf. Komm oh Lichtlein. Aber natürlich: Jetzt wo man´s braucht, nix. Pechschwarze Nacht, … mit müden 15 km/h rolle ich durch die Nacht und erst um 11 sehe ich eine einsame Laterne. Fast 160 km bin ich gefahren als ich in die Einfahrt abbiege und unter einem Baum auf einen Haufen Arbeiter treffe, die am Rand dieser Liegefläche zusammensitzen, rauchen und reden. Irgendwo plätschert Wasser und einige tragen Pflanzen aus dem Garten in den Vorhof. Ein Haufen Frösche macht Lärm. An sich wollte ich ja höflich fragen, aber ich kann ja eh kein turkmenisch und ich bin so fertig, dass ich eher nur gestisch die Mitteilung mache, dass ich jetzt hier du sofort, am hinteren Ende der Liege pennen werde. Alternativlos. Und das wird abgenickt, ich versuche auch noch ein bisschen zu helfen bei der Pflanzentragerei, irgendwelche Tujen sollen offensichtlich für den Transport vorbereitet werden, aber die Männer deuten auf meinen Schlafplatz und so rolle ich meine Minimalausrüstung aus, die Gärtnertruppe sieht sich das interessiert an, und ich kann mich sogar noch ausführlich waschen, das Wasser ist überraschend kalt und das Plätschern ist so beruhigend. Später sitzen die Männer wieder am Rand der Liege und das Gemurmel treibt herüber in meinen Halbschlaf und in der Wüste kläfft irgendwas, irgendwas gackert und die Frösche quaken und die Zigaretten leuchten rot in den Gesichtern, … das fühlt sich an wie Karawanserei. Männer und ihr Qualm, ein langer Tag, ein einfaches Lager, die Geräusche der Nacht, die trockene Luft der Wüste…. Seidenstraße und ich mittendrinn, … ist das nicht alles wahnsinnig super?

 

Sonne, mieser Asphalt und Gegenwind

 

Ab hier Hölle: Ich steh um 5 auf, der Himmel ist schon hell, aber meine Arbeiter schlafen noch alle. Der Laster kam irgendwann spät und der Tujenwald wurde in den Container verladen, später ist der Laster brüllend in die Dunkelheit der Nacht entschwunden, da war es bestimmt schon 2 Uhr morgens. Ich bin so müde, mein Hinter schmerzt beim ersten vorsichtigen Versuch mich auf den Sattel zu setzen und die Beine sind mies. Das wird kein Spaß, die Sonne kriecht über den Horizont und mit den ersten Sonnenstrahlen beginnt diese unwirkliche Hitze. Was ist das eigentlich für ein Land, wer will hier wohnen, welcher Despot hat Bock über das Volk der Turkmenen zu herrschen, … das ist so etwas von lebensfeindlich. Und die Straßen, kein Scheiß, so schlecht muss man Straßen nicht bauen, die Oberfläche des Asphalts sieht aus wie Warzen im Endstadium. Tiefe Risse, dann wieder hat man Teer ausgegossen, in der Hitze schmilzt das zu eine zähen Batz, … Moment der Erleichterung: der Teer ist frisch und glatt, das Rad rollt. Aber nur kurz und der Sattel rüttelt wieder unbequem und erinnert an die wunde Sitzfläche, da kann man noch so erfinderisch rumrutschen, es ist einfach keine Stelle mehr übrig, die nicht irgendwie aufgearbeitet ist. Ab 8 bläst mir eine erste Böe ins Gesicht, aber es ist gar keine Böe, es ist einfach nur der auflebende Wind, der mir ab jetzt für die nächsten 3 Tage unablässig ins Gesicht blasen wird. Und dann wird es richtig heiß, Schatten gibt es keinen, und die nächste Baracke mit Wasser, die nächste Raststätte, die nächste Tanke… nichts in Sicht. Die Schatten werden kürzer, der Wind stärker, die Beine müder. Die Kilometer zählen in Zeitlupe vom Navi runter, … und nichts ist da, was mich ablenkt. Soll ich die Stromleitungspfähle zählen? Kein Viech, kein Vogel, kein nix, außer ein paar plattgefahrene Echsen, … nur wenn ich kurz vom Rad steige sind sofort irgendwelche miesen Fliegen aus dem Nichts aufgetaucht, um sich nervig in meiner Nase oder an meinen Mundwinkel niederzulassen, oder über die Brillengläser zu wandern. Ich bin versucht wild auf mein Gesicht einzuschlagen, stirb oh Fliege, aber dann würde ich meine Brille auf der Nase zertrümmern. Entnervt fahre ich weiter – und auch wenn ich kontinuierlich aus meinem Camelbag trinke, weil der Hals trocken und der Gaumen ständig ausgedörrt ist, merke ich bei jeder Pause wieviel Durst ich habe und wieder verschwindet ein Liter heißes Wasser, … wohin?  Wohin geht das ganz Wasser?  Und es ist noch nicht mal Mittag. Der Tag wird die Hölle, und diese miserable Straße: Ich nehm das schon persönlich: dieser Asphalt! Sowas macht man nicht, das ist einfach unverschämt, kein Land, das einen Funken Selbstachtung hat, traut sich mit solchen Straßen an die Öffentlichkeit. Die wenigen Autos fahren mit einem Höllenlärm an einem vorbei – ich versuche einen Laster anzuhalten, aber die fahren vorbei, ein Trucker hält und schenkt mir eine Flasche Wasser, aber mitnehmen kann er mich nicht… es bleibt der einzige, der anhält… alle andere hupen, oder halten ihre Daumen nach oben aus dem Fenster. Applaus in all dem Scheißelend ist das letzte was ich brauche.

 

Warum hab ich nicht ein Taxi genommen? es ist ja nicht so, dass ich nicht gewarnt war: Das wird ekelhaft, alles haben es mir gesagt und in Blogs beschrieben, aber ekelhaft muss man erleben, damit es seine überzeugende Wirkung entfaltet. Jetzt, wo die Überzeugung voll entfaltet ist: Niemals will ich durch diese kack Wüste fahren – ist es leider zu spät.

 

Der Wind ist so stark, dass ich mein Rad manchmal schiebe, ich kann einfach nicht mehr. Und an den seltenen Polizeistationen, Tanken oder winzigen Lädchen lege ich mich willenlos in jedes Fleckchen Schatten, bis ich denke es geht wieder.

 

Aber es dauert nicht lang und man steht, das Rad zwischen den Beinen geparkt, den Kopf auf dem Lenker und rastet, während das hysterische Gesummse der verschissenen Fliege mich zum Wahnsinn treibt. Es ist eine Fliege, das weiß ich jetzt, es ist ein und dieselbe Höllenfliege, die mich seit heute Morgen begleitet, ein miserables Arsch von Scheißfliege, und ich werde dich töten, Fliege und ich schlag mir aufs Gesicht, …verfehlt! Verdammt! da lacht die Fliege, und krabbelt mir ins Ohr, oder Augenwinkel, … ich schwör dir: „Fliege! Wenn Du und ich die einzigen Lebewesen auf dem Mars wären, ich würde nicht ruhen, bis Du tot bist. Ein Planet ist nicht groß genug für uns beide, Du Scheißgetier. Und wenn du die letzte Fliege auf der Erde wärst und ich der letzte Mensch, Ich würde dich jagen bis ich dich hätte…. Lieber allein, als mit Dir, du Höllenauswurf, …. Die Welt braucht keine Fiegen, drum stirb und jetzt gilt es: Du oder ich!“ Aber ich erwisch sie nicht. Die ist auf Speed, und summt wie ein Zweitakter. Das fiese Gesumme verstummt erst, wenn ich radelnd im Gegenwind stehe und meinen wunden Hintern verfluche. Es ist wie eine Sauna – und ich bin eingesperrt in dieser Glut, und ich will nichts, als nur endlich ein Fenster aufreißen, …

 

Später am Abend nach 130km und frag nicht wievielen Stunden begegnet mir Alex aus Australien, gut gelaunt… er freut sich über den Monster Rückenwind, der ihn den ganzen Tag schon seit Turkemenabat Richtung Westen bläst, wie E-Bike fahren ist das.

 

Aber das Cafe/Restaurant auf das ich seit 12 Stunden zustrampel ist gleich ums Eck, höchstens 2 km…. Und dann ist es da, kleiner Himmel, Tempel der Behaglichkeit: Eine Aircon hustet kalten Dunst in den Raum und es gibt Wasser, um sich zu waschen. Und Bier aus einem Eiskübel, … Alex, du Prophet und Verkünder von Frohbotschaften – die ganze Familie, die diesen Truckstop führt ist lustig und so fühlt sich Oase an. Als sich die Nacht über den gesegneten Ort senkt, schlagen die Heuschrecken ans Fenster, angelockt vom Licht wie Zombies vom Leben, wie ein Trommelfeuer klingt das hirnlose Anfliegen gegen die Fensterscheiben und die Terrasse füllt sich mit den Opfern des Kampfes gegen das Glas. Ekelhaft ist das. Aber mich stört das gerade wenig.

 

Leider wird der nächste Tag nicht besser – nur kürzer und ich profitiere von den langen Etappen der ersten beiden Tage, weil ich bis nach Turkmenabat nur noch 70km zu radeln habe. Da ist auch der besinnungslose Gegenwind zu ertragen. Und die Fliegen. Und die Hitze. Und das ewige Gehupe und das Wassertrinken und die Langeweile und der aufgearbeitet Gegner meines Sattels. Ein Spaß ist es nicht, und mich hat der Vortag ernsthaft mitgenommen, … so schnell muss ich nicht mehr in die Wüste. Aber raus aus dem Land. Ich freu mich auf Uzbekistan.

 

Karaoke für den alten Herrn

 

Direkt neben dem verfallenen Eingang meines unglückseligen Hotels lässt ein Aufgang zu abgedunkelten Räumlichkeiten und den Leuchtbuchstaben „BAR“ Hoffnung aufkeimen: Ein Restaurant mit irgendwas zu essen, ein bisschen was aus der Kühlbox, … und dann geh ich zurück in meinen Backofen von Hotelzimmer und versuche in ein traumloses Koma zu fallen. Ich hab Hunger und Durst und immerhin ist Turkmenistan bewältigt – in Rekordzeit: Zur Grenze sind es noch knapp 30 km und ich werde vor 9 Uhr am Schlagbaum stehen und rütteln. Und auch wenn ich meine kleine Siegerehrung mit mir allein feiern darf, ich hab noch ein paar Manat und die hau ich jetzt auf den Kopf, was will ich auf dem Restplaneten mit turkmenischen Banknoten?

 

Mich empfängt in abgedunkelter Atmosphäre ein livriertes Bübelein, das mir wortreich einen Stuhl in einem weitläufigen Speisesaal zuweist, gekühlt, dicke Vorhänge aus grünem Samt sperren Licht konsequent aus und unter der lüsterigen Beleuchtung glitzert schweres Kristallglas auf den Tischen, aufwendig eingedeckt. Es geling mir Bier zu wählen und die nächsten 10 Minuten vergehen mit der ewig selben Bemühung kein Fleisch auf den Teller zu bekommen. Am Ende werden wir uns einig, weil mein bisschen Türkisch und sein bisschen googletranslate ein Omlette hergeben, nebst Brot, Suppe und Salat.

 

Während ich auf mein Essen warte, nimmt ein Herr, vermutlich in seinen 60ern, mit einem steinalten Männlein am Arm an dem am weitesten entfernten Tisch Platz, bestellt Gebranntes und verschiedene Teller werden zwischen die beiden auf den Tisch geschoben. Mittlerweile ist mein Omelette an den Tisch gebracht worden, dass ich so gut vermutlich noch nie gegessen habe und an keinem Ort der Welt weniger vermutet hätte – ich weiß nicht in welcher Edelgastronomie der Koch sein Geschäft gelernt hat, bevor er in dieses verlassenen Nest hier abgeschoben wurde. Während ich esse und mich über Bier und Salat freue greift sich der Herr ein Mikrophon, schaltet eine kleine Lichtorgel an, es pfeift aus einem überdimensionierten Lautsprecher und dann beginnt russische Schlagermusik aus der Box zu schnulzen. Und ganz im Stile großer Chanconniers, schreitet er seine kleine Bühne aus, lässt den Blick über sein überschaubares Publikum gleiten und beginnt mit seiner Einlage: Ein paar Lieder für den alten Greis, der in sich zusammengesunken in seinem Eck sitzt. Vater und Sohn? Ein Ständchen zum Geburtstag? Mit dem Mikro in der Hand und singend setzt er sich wieder an den Tisch und singt sein Ständchen zu Ende. Und der macht das nicht zum ersten Mal – der Mann kann singen. Legt dem Alten seinen Arm um die Schulter und singt noch zwei weitere Lieder aus der Fundgrube russischer Schlager, die vielleicht modern waren als der alte Knabe noch ein junger war. In der Atmosphäre zwischen geschmücktem Bahnhofswartesaal und bemühter Edelgastronomie blüht da gerade ein sehr eigentümliches Blümchen: Das ist so rührend, so unpretentiös, so ehrlich und so aus der Zeit und dem Ort gefallen, diesem sonst so feindseligen Wüsten- und Polizeistaat. Und ich bin ein dankbares Publikum. Sein einziger aufmerksamer, applaudierender Fan in diesem Moment.

 

Raus hier.

 

In den noch sehr frühen Morgenstunden packe ich mein Rad auf und mach mich auf den penibel gekehrten Straßen von Turkmenabat auf Richtung Grenze, weiße Autos begleiten mich und befolgen die Straßenverkehrsordnung mit musterschülerhafter Sorgfalt. Immer noch verdorben durch die anarchischen Verhältnisse der islamischen Republik Iran muss ich mich bemühen nicht selbstvergessen auf die Kreuzungen zu fahren ohne der Ampel die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken – aber auch schon um 6 Uhr morgens in den ersten Morgenstunden bewacht jede Kreuzung eine kleine Truppe Polizisten. Am Seidenstraßendenkmal vorbei - … wieder eines dieser geschraubten Säulen in Weiß und Gold und dem einfach gestrickten ästhetischen Vorstellungen des regierenden Zahnarztes entsprechend, …. Die Straße führt entlang an Häuserreihen und wenn man genau hinsieht, kann man traditionelle Elemente entdecken, in den sonst eher profanen Gebäuden, die sich einstöckig Mauer an Mauer hinziehen: geschnitzte Dachbalken, sorgfältig angepinselte Tore zu Innenhöfen, ein komplizierter Dachstuhl und wo immer eines dieser Tore offensteht, kann man in den Innenhof mit Garten, Betten unter Moskitonetzen und ein paar spiegelnd sauberen weißen Toyotas sehen – die haben hier Geld. Reiche Menschen wohnen hinter diesen Fassaden.

 

Dann endet die Stadt abrupt, die Straße zieht in einem weiten Bogen in die endlose Busch-, Sand- und brettflache Ackerlandschaft, wo in Tücher verhüllte Bauern mit Schaufeln und Hacken in den Ackerfurchen vor sich hinackern. Keine 500 Meter liegen zwischen der hypermodernen Stadt und den Feldern, auf denen die Zeit stehen geblieben ist. Draußen in der flirrenden Hitze der Wüste liegt die Grenze nach Uzbekistan: Busladungen farbenfroher Turkmeninnen warten am Schlagbaum und werden von den Grenzern nicht gerade freundlich behandelt – mich winken sie unter dem Schranken durch, es ist einerseits peinlich, Vorzugsbehandlung durch die Erfüllungsgehilfen eines fiesen Autokraten, aber die Hitze und die Strecke vor mir sind auch schlagkräftige Argumente und mit einer apologetischen Geste lasse ich die Einheimischen zurück, um im nächsten Gebäude wieder in einem Haufen ausreise-bevollmächtigter Turkmenen zu landen – einer spricht mich an, passables Englisch und berichtet von seinen Geschäften: Logistik zwischen der Türkei und Kirgistan, eine Flotte aus Scania, Volvo, Benz und MAN. Schwerlast – alles was kommt. Dann drückt er mich durch die Schlange nach vorne, meine Bedenken bleiben mit den anderen Wartenden samt deren berechtigtem Murren zurück, eine Uniformierte bellt die Frauen in ihre Schranken, schenkt mir allerliebstes Lächeln und bittet mich zum X-Ray Scanner, eine halbe Stunde später bin ich draußen. Irgendwie ist auch der Logistiker in Rekordgeschwindigkeit über die Grenzen geschmiert und wir wünschen uns eine gute Reise. Er greift in seine Hosentasche und schenkt mir 50.000 SOM, das sind gute 5 Euro und so wenig Geld auch nicht. Ich bin überrascht, aber ich muss eh Geld wechseln, was so ein SOM wert ist, weiß ich noch nicht wirklich und so kann ich wenigstens erstmal was essen und Wasser tanken.

 

Auf uzbekischer Seite interessiert sich auch keiner für meinen Krempel, sie fragen nach Drogen und wir lachen gemeinsam, … ich bin offensichtlich zu alt um als ernstzunehmender Drogenkurier durchzugehen und das wars: So richtig kapiert hab ich das Land nicht, keine Überschrift auf die man die Eindrücke eindampfen könnte, aber scheiß drauf: Auf nach Buchara.

 

 

 

Blick aus dem Fenster meines Mashhad Hotels. Millionen Besucher monatlich um das allerheiligste in Iran zu besichtigen. Hamidreza und seine Freundin Sara haben sich ans Bein gebunden, mir in endloser Geduld die Stadt; museen, Moscheen und den heiligen Schrein zu zeigen - zwischendrinn haben sie mich aus einem Park gerettet, in ein Hotel verbracht, unangenehme Diskussionen für mich geführt, Taxifahrten mit und ohne Rad organisiert, sich selbst als Fahrer angeboten und mich zum Essen asgeführt. 3 Tage Mashhad wie im Federbett .... Die kannten mich nichtmal sondern haben mich von Aryan geerbt, .... das ist schon wirklich groß. Herzlichen Dank

some wildlife, including gryllotalpa gryllotalpa, die greislige Maulwurfsgrille. und Wüste in ihrer attraktveren Ausprägung und Kamele - Dromedare... ein Höcker, ...

Merv: Die Sonne, die mich den ganzen Tag geplagt geht endlich unter und die Mücken kommen. Wenns mal nicht staubtrocken ist, wird es sumpfig. Das Mausoleum, das so ziemich einzige restaurierte Gebäude, steht inmitten von nichts - ehedem blühendes Stadtleben und pulsierende Metropole an der Seidenstraße. Aus dem 6. Jhd AD: Die Kyz Kala, deren Funktion und Bedeutung unklar ist - aber im Baustil einmalig: Nirgends wurde je ein ähnlich angelegtes Gebäude gefunden.

blühende moderne Städte, blühende Schönheiten, 2EP auf vollen Touren und Zombieheuschrecken: Man muss das gesehen haben um sich die biblische Plage vorstellen zu können

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Thomas (Mittwoch, 03 Juli 2019 09:53)

    WAHNSINN!

    „Die Gegend“ ist ja nicht ganz ungefährlich. Fahr‘ nicht nach Tadschikistan!

    2018:
    „Radfahrer waren auf beliebter Pamir-Route unterwegs

    Die sieben Urlauber waren auf dem Fahrrad auf der bei Touristen beliebten Pamir-Route nahe der Grenze zu Afghanistan unterwegs, als sie offenbar gezielt von einem Auto angefahren wurden. Die Täter hätten "Messer und Schusswaffen" dabei gehabt, sagte der Innenminister. Einer der Touristen sei durch Messerstiche verletzt worden.„

    https://www.google.com/search?q=turkmenistan%20radfahrer%20ermordet&ie=utf-8&oe=utf-8&client=firefox-b-m

    https://www.novastan.org/de/tadschikistan/tadschikistan-vier-rad-touristen-von-bewaffneten-mannern-getotet/


    Take care
    Thomas

  • #2

    Helmut Hannus (Mittwoch, 03 Juli 2019 20:57)

    Lieber großer Sohn auf dem Härtetest: Hirschtalg soll helfen, aber woher nehmen? Vielleicht hilft auch Bärenfett: insgesamt aber doch -- Härtetest bestanden!!
    Darum jetzt zu später Stund herzliche Glückwünsche vom Bienenvolk, seiner neuen Königin (läuft frohsinnig mit ihrem grünen Punkt im Stock herum) und dem zahlreichen Nachwuchs, schon schön verdeckelt und auch ganz neu.
    Und von mir auch alles Gute!
    Und schau mal in deine Kontakte, ich hab einen Link zur Süddeutschen Zeitung mit Informationen zur Einreise ins Reich der Mitte reingestellt.
    Dein etwas besorgter, aber zuversichtlicher, und ein bisschen stolzer Vater.

  • #3

    Norbert (Freitag, 05 Juli 2019 07:54)

    Liebe Grüße von deiner Nachbarin. Sie war auch schon mal in Uzbekistan und beneidet dich sehr.
    Alles Gute bei deinen weiteren Abenteuern.