Pamirski

 

04.07.2019         Samarkand nach Panjikent          65km, 600m

05.07.2019         Panjinkent nach Aini                     101km, 1590m

06.07.2019         Aini nach Dushanbe                       134km, 1940m

10.07.2019         Dushanbe nach Dangara              97km, 1620m

11.07.2019         Dangara nach Kulob                      92km, 720m

12.07.2019         Kulob nach Camp am Panj           49km, 2130m

13.07.2019         Panj-Camp nach Yoged                85km, 2100m

14.07.2019         Yoged nach Kala´i Khum               40km, 300m

15.07.2019         Kala´I Khum nach Camp Vanj      92km, 1600m

16.07.2019         Vanj Valle nach Rushan                65km, 600m

17.07.2019         Bartang Valley                                40km, 700m

18.07.2019         Rushan nch Khorog                       80km, 730m

 

Usbekistan verlassen Philip und ich am 4. Juli und wir sind spät dran und entsprechend heiß ist es. In Usbekistan sind 45°C um 11 Uhr morgens nichts Ungewöhnliches.  Es sind knapp 30 km zur Grenze und wie schon auf dem Weg aus Buchara nach Samarkand freue ich mich die Berge heranrücken zu sehen. Endlich der Pamir – raus aus der Hitze einerseits, aber vor allem rein in die Natur, wilde Straßen neben wilden Flüssen, simple Homestays anstelle von Hotels. Und grandiose Camp-Sites im Schatten von namenlosen 6000ern, die links und rechts des Tals aufragen, …

 

Philip habe ich in Buchara kennengelernt, wir sind zusammen nach Samarkand geradelt und zusammen wollen wir weiter nach Dushanbe.

 

Im Amir Hostel in Samarkand haben wir uns noch von ein paar Reisebekannten verabschiedet, die von hier auf unterschiedlichen Wegen weiter um die Welt ziehen. Viele kommen aus Südostasien und reisen mit Rad oder per Anhalter zurück nach Europa, andere sind auf dem Weg nach Indien oder Richtung Iran unterwegs um von dort nach Afrika überzusetzen. Im Eingangsbereich des Hostels stand an einem Morgen plötzlich ein Karren, abgedeckt mit einem zerfetzten Armee-Zelttuch und einer Deichsel. Ich habe probehalber mal angelupft, aber da ging nicht viel – keine Ahnung was da geladen ist, Ziegelsteine? Wassermelonen? Der Esel möchte ich nicht sein, der das zieht. Später lerne ich Karl Bushby kennen, einen brummeligen Briten, der seit 20 Jahren unterwegs ist – 20 Jahre! Und zwar zu Fuß. Er ist in Südamerika gestartet und versucht seitdem nach Hause zu wandern – aber ohne Hilfsmittel wie Auto, oder Bus, oder Trampen, eh kein Flugzeug, auch keine Bahn und eben auch kein Boot. Das macht die Sache kompliziert. Aber er ist immerhin auf eurasischem Boden angekommen, die Bering-Straße hat er bei minus 30°C überqueren können, da war die mal zugefroren. Das Ganze ist Teil seiner Goliath Expedition und mehr Infos gibt’s natürlich im Netz – aber der Eselkarren, den ich kaum angehoben bekommen habe ist natürlich seiner, den zerrt er hinter sich her. Was für ein Viech!

 

Auf dem Weg zur Grenze geraten wir in eine Versammlung traditionell gekleideter Männer, Schärpen und lange Mäntel, bestickte quadratische Kappen. Und weil ich das Gefühl habe, in Usbekistan nichts als alte Steine gesehen zu haben, gleichzeitig aber so gut wie keine persönlichen Erfahrungen mit Usbeken und deren Alltag und Leben machen konnte, ist das vielleicht eine letzte Gelegenheit: Versammlung der Stammesältesten? Hochzeit? Lustiger Volkstanz? Sobald ich aber bremse und vorsichtig auf einen der Häuptlinge zurolle werde ich hektisch weggewunken, die ersten Würdenträger verschwinden hinter einer Blechtür, die in einen Innenhof führt: Hier also findet meine letzte Chance auf persönlich kulturelle Erfahrung statt – nur eben ohne mich, ein paar Männer gesellen sich zu meinem Gegenüber und die Zeichen sind unmißverständlich. Und so trolle ich mich mit Philip und gemeinsam rollen wir gegen den Wind an den typischen Alleen vorbei: Gestutzte Bäume, weiß getünchte Stämme, in einem Wassergraben rinnt das Wasser in die Felder, zwischen den Bäumen liegen die Kühe schon in der Früh erschöpft im Schatten und befassen sich mit dem wichtigen Geschäft des Wiederkäuens. Die Grenze mitsamt den Grenzübertrittsmodalitäten sind eher lax – und so stehen wir 30 Minuten später auf dem kargen tadjikischen Asphalt, die Luft flimmert  über gelben Feldern, ein paar Pferde dösen in der Hitze, Esel stehen in der Gegend rum, unter den Bäumen kauern Bauern, auf den Feldern rosten idyllisch sowjetische Getreide-Ernte-Ungeheuer. Panjikent ist die erste Stadt hinter der Grenze und wir finden eine Touri-Info in einem Prachtbau – einziger Prachtbau inmitten übel mitgenommener Plattenbauten und weil wir dann den Nachmittag fast vollständig damit zubringen eine SIM-Karte für Philipp zu besorgen, weiterfahren und Campen somit wenig Sinn macht, verbringen wir die Nacht im einzigen Hostel des Ortes, treffen neue und bekannte Gesichter und planen die nächsten Etappen:

 

Von Panjikent aus muss zunächst das Fan-Gebirge überquert werden, eine Passstraße führt über das Gebirge und die letzten 500 Höhenmeter werden seit wenigen Jahren durch einen Tunnel abgekürzt, dem aber ein fieser Ruf vorauseilt – es existiert scheinbar sogar ein Youtube Video „Tunel of death“, das in der Finsternis dieses unbelüfteten, unbeleuchteten unasphaltierten Lochs im Berg aufgenommen wurde. Eisenträger, die aus der Wand ragen, brusttiefe Pfützen mit eiskaltem Wasser und brüllende Lastwagen die sich spärlich beleuchtet durch die Röhren stinken. Den Radfahrern wird dringen empfohlen, einen Lastwagen anzuhalten und zumindest die 5km lange Röhre in einer Kabine zu durchfahren. Hinter dem Tunnel geht es 70km den Berg runter, von 2700 Metern nach Dushanbe, das auf knapp 900 Metern liegt.  Hinter Dushanbe, die Hauptstadt Tajikistans, beginnt der Pamir-Highway. Die zweithöchste Straße der Welt führt nach Osh in Kirgistan und über eine Reihe von Pässen, alle weit über 4000 Metern. Zwei Routen führen zunächst nach Kala´i Khum und von dort nach Khorog, der letzten großen Stadt bevor die Straße dann auf das Hoch-Plateau führt. Von Khorog aus kann man weiter in den Süden radeln, in den sogenannten Wakhan Korridor, bleibt damit an den Ufern des Panj und an der Grenze zu Afganistan, oder man folgt dem Tal nach Osten und radelt auf dem Pamir Highway, M41, Richtung Murghab. Aus dem Wakhan kommt man nach knapp 300 Kilometern auch wieder zurück auf die M41 über einen radl-masochistischen Pass, wird aber mit echten Pamir-highlights belohnt. Von da aus führt die Straße bis nach Osh in Kirgistan, vorher aber biege ich ab, nach rechts und komme so nach China – so der Plan und die möglichen Routen

 

In Panjinkent entscheidet sich Philip lieber ein bisschen im Fan Gebirge wandern zu gehen und so fahre ich am nächsten Tag alleine weiter. Neben dem Tal rücken die Berge nun endlich näher du die ersten Steigungen seit langem erinnern mich an das elende Gewicht in meinen Taschen. Bei über 40°C sind auch kleine Hügel schweißtreibende Veranstaltungen, aber über den Gipfeln werden die Wolken dicker und es sieht sehr nach Gewitter aus – der Wind zieht das Tal rauf und die Pappeln biegen sich im Wind, am Tal-Ende ist der Himmel schon schwarz und es grummelt. Ein kühler Regen wäre jetzt paradiesisch. Ich hab keine Ahnung wo ich heute nach schlafen werde, aber wenn die Straße Richtung Pass ansteigt ist eine letzte Siedlung, Aini, bis dahin sind mehrere Zeltplätze auf unterschiedlichen Karten angezeigt, irgendwo komm ich schon unter. Und ein bisschen vertraue ich auf die zentralasiatische Kultur, einfach auf den großen Liegeflächen-Couch Konstruktionen vor den Häusern nächtigen zu dürfen. Der Regen, der dann einsetzt weht und schwemmt mich quasi in einen Minimarkt und die nächsten 2 Stunden sehe ich dem Sturm zu und den überraschenden Wassermassen die da plötzlich auf das ausgedörrte und staubtrockene Land niedergehen.

 

Später radl ich in den nachlassenden Regen bei deutlich humaneren Temperaturen und am Ende sind es 100 km bis nach Aini, einer kleinen Stadt, bevor die Straße einem Fluß folgend in die Berge hineinführt. Es wird langsam spät und ich denke ich kann mal fragen ob ich in einem Garten oder Hinterhof ein Zelt aufbauen darf, …. Bislang war das immer abgenickt worden, oft haben mir die Besitzer des Vorgartens noch ein Bett angeboten. Es dauert aber heute elends lange bis ich endlich was gefunden habe und die meisten schauen mich irritiert an, Unverständnis im Blick, wie ein Wildfremder dazu kommt in meinem Garten pennen zu wollen… aber gut: ist nicht mein Land und das dürfen die Tajiken schon selber entscheiden, wie offen man gegenüber Touris sein will. Und wenn ich mir vorstelle, ein Radfahrer würde unsere ehemaligen Nachbarn im Kirchheimer Reihenhaus-Inferno, die Reischels, fragen, ob er mal eben sein Zelt hier neben den Rabatten??? Ginge das? – und ob es vielleicht ein Klo??? Ja? darf ich? Und Wasser wäre toll, …. Da würden die Reischels auch mächtig Augen machen und einigermaßen indigniert die Tür zuknallen.

 

Am Ende nächtige ich in einem Aprikosengarten, die Mutter der Familie spricht phänomenal Englisch und hat im Rahmen einer europäischen Initiative auch mit deutschen Behörden zusammengearbeitet. Ich such mir ein Plätzchen zwischen den Obstbäumen, die Abendsonne strahlt durch die Blätter und die Stämme ziehen lange Schatten auf den Rasen – die Familienkuh grast sich über das Gelände und scheißt in die Gegend. Ich spiel mit den Kindern, füttere sie mit den Resten meiner Geburtstags Süssigkeiten vom Vortag und lass sie im Zelt herumhopsen.  Die Schwester bringt mir ein Glas Milch, frisch aus dem Euter und einen Korb Aprikosen: Glas und Korb sehen mich an wie materialisierte Vergiftungsgefahr, aber das hilft jetzt nichts – immerhin ist es keine tropfende Hammelkeule. Goodbye geordnete Verdauung, denke ich, Willkommen Toiletteninferno.

Später verlassen mich die Gastgeber und ich koche mir einen Topf Reis und bete ein kleines Stoßgebet für meine Magenstabilität.

 

Am nächsten Tag racker ich mich durch ein Tal, die Sonne kriecht langsam die steilen Felswände der Klamm nach unten, das Wasser wälzt sich krachend durch das Flussbett, erst nach ein paar Stunden verlässt der Weg das Flusstal und in Serpentinen mach ich endlich die Höhenmeter – in Schrittgeschwindigkeit, jetzt ist es ein kleiner Bach, der über Wasserfälle neben mir ins Tal stürzt, die Lastwagen und Autos, die mich überholen machen mich wahnsinnig. Dass hier niemand eine Fahrschule besucht ist mir schon klar, aber dass man genau in dem Moment zum überholen ansetzt, wenn die Strasse am schmalsten oder steilsten ist, wenn eh schon ein Laster entgegen kommt, das will mir nicht ins Hirn…. Ich seh sie schon lauern, in ihren verbeulten Mercedes Karren, hinter dem stinkenden Laster, der mir fahrbahnmittig entgegenstinkt, Kupplung, Bremsen, Auspuff – alles raucht und qualmt. Ich dräng mich an den Fahrbahnrand, neben mir der unbefestigte Sandstreifen und dann geht’s runter, über die Felsen ins Tal… und nein, keine Leitplanken! … und gerade in dem Moment, in dem sich der Laster und ich kurz Nase an Nase begegnen, in dem Moment gehen dem Mercedesidioten die Pferde durch und er schiebt seinen sterngeschmückten Kühler hupend in den Spalt, der Laster ächzt ein bisschen zur Seite, ich stehe mit dem Rad am äußersten Rand der Straße und der hirnrissige Fahrer braust freudvoll hupend zu Tale… während ich einen Schreianfall unterdrücke, aber gerne mein gesamtes ehemaliges Waffenarsenal zur Hundeabwehr zur Hand hätte. AlIe mir bekannten Handzeichen zur Beleidigung, wütend dem Scheißkübel hinterhergereckt schluckt der gnädige Staub. Später halten Motorräder – zwei polnische Freunde, die meine Eltern und ich in Yazd im Iran kennengelernt haben, sind auch auf dem Weg nach Dushanbe. Wir sagen uns kurz Hallo und verabreden uns auf gekühlte Getränke in Mega-Gebindegrößen, Hauptsache kalt, viel, alkoholisch und bald. Dann ziehen die kurz am Gashahn und verschwinden in der nächsten Sepentine, ich bewege mich wie eine Raupe in der Wüste und erwarte mit vorsorglichem Ärger die nächsten fahrerischen Erzverbrechen meiner tajikischen Auto- und Lasterfeinde. Gleichzeitig ist es hier oben auf eine schweizer älplerische Art schön: grüne Wiesen, bunten Blumen, Felsen, Gipfel und geduckte Häuser, dazwischen plätschert ein munteres Bächlein: welch Idyll, hier auf inzwischen 2600 Metern. Und dann ist da eine Baustelle, Kies, Teer, Laster, zwei Öffnungen in eine senkrechte and gehaut, aus einer raucht schwarzer Ruß, in der zweiten Röhre hat sich eine Ziegenherde vor der Sonne versteckt, unbeeindruckt von den krachenden Lastwagen, die aus dem Ruß der Röhre auftauchen.

Ich sehe nicht, wie ich jetzt einen Laster aufhalten sollte, außerdem habe ich inzwischen so vielen der Fahrer den Tod und die Pest gewünscht, dass ich keinen Bock habe hier irgendeinen dieser Pfosten um einen Gefallen zu bitten. Also Scheiß drauf: Stirnlampe auf, Lampen montiert, Blinklicht hinten, alles was reflektiert angezogen, und ab ins Dunkel.

Und so schlimm ist es natürlich nicht – in den vergangenen Jahren ist hier anständiger Belag auf die Straße gekommen, zumindest anfangs gibt es Beleuchtung. Pfützen schon, aber nicht tief. Keine Eisenstangen, die unvermittelt aus der Wand ragen. Und weil der Tunnel im hinteren Teil leicht abfällt entsteht ein natürlicher Zug – so etwas wie Ventilation, … aber halt nicht wirklich. Und da drinnen ist es schon gruselig. Es ist so verraucht, dass man die Laster hinter einem zwar schon lange hört, und es ist ohrenbetäubend, bevor man sie sieht. Die Scheinwerfer, so denn vorhanden, tauchen erst kurz hinter einem aus dem Smog auf. Und auch mein Lichtlein ist kaum sichtbar, der Kegel schafft es gerade bis auf den Boden vor meinem Vorderrad – die Stirnlampe irrlichtert im Nebel. Ich hoffe inständig, dass der Gegenverkehr mich sieht; gesund ist das bestimmt nicht. 5km – dann wird erstes Licht am Tunnelausgang sichtbar.

70km später rolle ich nach Dushanbe, treffe einen Haufen Bekanntschaft und noch mehr neue Leute, die mit Auto, Motorrad, zu Fuß oder per Anhalter oder eben mit dem Rad auf dem Pamir Highway entlangfahren.

Ich habe an diesem Abend im Green House Hostel und auch sonstwo bis heute keinen einzigen Radler getroffen, der durch diesen Tunnel gefahren ist.

 

Im Greenhouse lerne ich Andrea kennen, einen einigermaßen durchgeknallten Italiener aus Milano, und Niko aus Frankreich, der ebenfalls mit dem Rad dieselbe Route fahren wird wie ich. Es sind so viele Menschen und Reisende unterwegs – ich lerne eine sehr nette Japanerin kennen, ein Pärchen, das nach Nordkanada ausgewandert ist, er Biologe und Fotograf, sie Hebamme mit einem Einzugsgebiet, dass eine Flugzeug notwendig macht. Trevor aus Colorado, der sich auf eine ziemlich verwegene Bergtour in Afghanistan vorbereitet, eine lustige Polin, die offensichtlich sehr in Trevor verliebt ist. Von Philip höre ich manchmal Whatapp Nachrichten, in denen er den Zustand seines Gastrointestinaltrakts beklagt. Ich kann ihm nicht raten ins Greenhouse zu kommen, weil ich täglich mehr Menschen beobachte, die gekrümmt in Richtung Toilette hasten und dort erstmal bleiben. Durch die Dormitory-Räume ziehen eigentümliche Gerüche, die von Brechdurchfall künden. Der superlustige Biologe aus Nordkanada muss nächtens ins Krankenhaus, weil er sich das Leben rausscheißt und kotzt, wir haben abends zusammen gekocht und gegessen – mir geht’s zum Glück gut, aber ich benehme mich auch wie die Oberschwester in der Intensivstation und wasche das Besteck, mit dem ich die Gurken schneide und Tomaten Wasche nur mit Wasser, das ich im Supermarkt kaufe. Ich ess keine Scheiß Aprikose und lass mich zu keinem offenen Eis verführen – aber ich bin der einzige hier, der noch gerade aufs Klo geht und in angemessenere Zeit wieder runterkomme. Vielleicht hat die Tunnelfahrt meine Eingeweide ausgeteert. Andrea, Niko und ich kochen abends zusammen und versorgen die brachliegenden Reisenden mit unbedenklichen Gerichten auf Reisbasis.

Aber es wird auch Zeit weiterzukommen; das grassierende Rumgescheiße um mich herum macht mich nervös und ich habe keine Lust auf die letzten Stunden in Dushanbe doch noch das einzufangen, was alle um mich herum nicht mehr losbekommen. Niko und ich werde zusammen weiterfahren – erstmals habe ich einen Radlpartner, der vermutlich ein Stückweit schneller unterwegs ist als ich. Wir entscheiden uns für die Südroute, die schlimmen Straßen kommen früh genug, spektakuläre Bergwelten gibt es hier wie dort, die Strecke über die südliche Straße ist um 80km länger, aber in 5 Tagen sind die knapp 400km nach Kala´i Khum zu machen.

Auf der Südroute liegt das Städtchen Danghara, in dem vor einem Jahr 4 Fahrradfahrer von IS Terroristen getötet wurde. Als ich vor einem Jahr mitten in meinen Reiseplanungen steckte hat mich diese Nachricht natürlich auch befasst und viele meiner Bekannten haben mir besorgt die Nachricht über den Anschlag weitergeleitet. Nach all den Anschlägen auch in vielen europäischen Hauptstädten sah – und sehe – ich keinen Grund jetzt gerade Tajikistan zu meiden. Und als ich nun vor der Entscheidung stand entweder über die Nordroute über schrottige Straßen in wilder Berglandschaft oder auf besseren Straßen über die Südroute an Danghara vorbeizufahren, empfand ich es als angemessen an der kleinen Gedenktafel anzuhalten, ein paar Blumen für die 4 Opfer zu pflücken und kurz mal still zu sein.

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Jay Austin and Lauren Geoghegan, USA;

René Wokke aus den Niederlanden

Markus Hummel aus der Schweiz

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In Danghara schlafen wir in einem Spa- Hotel. Wir sind die einzigen Gäste und wie immer, wie seit Usbekistan, vermutlich aber seit Armenien ist das Bestellen von Essen ein Ritual an dessen Ende ein Scheitern steht: Scheitern einerseits sprachlich, weil ich kein russisch und kein tajikisch kann, weil die hier kein Englisch können, was ihr gutes Recht ist und weil vegetarische Ernährung hier als verhaltensauffällig, syndromal und gestört gilt. Ich bezweifele, dass die tajikische Sprache das Wort für vegetarisch überhaupt kennt. Der Manager aber wirft sich in die Brust: Er kann Englisch!

”Food! What you want!“  (Wir: Aber was gibts denn?)

“What you want, what food?”, …. (Wir: Eggs? Potatoes? Noddles? Vegetables?)

“No! What you want?”

Kommen wir so weiter? Ich geh lieber duschen und vielleicht finden wir ja einen Supermarkt um irgendwas essbares zu finden – hier in Tajikstan sind die meisten Familien noch im Selbstversorger-Modus und entsprechend findet man in Supermärkten das, was sich nicht im eigenen Garten anbauen lässt: Waschpulver, Schuhcreme, Babywindeln, Regalweise Bonbons und Kekse, Reis und Nudeln, Öl in 5 Liter Fässern und Heringe in Glibber. Alles andere wächst auf dem eigenen Acker. Inklusive Schaf. Nach Eiern und Tomaten, Kartoffeln, Zwiebeln hält man hier vergeblich Ausschau.

Niko, ein unglaublich freundlicher und gutgelaunter Zeitgenosse versucht beharrlich unser Abendessen zu kommunizieren. Nach einer halben Stunde hat er´s geschafft und vermeldet eine Bestellung, die nun in Bearbeitung ist: Tomaten und Kartoffeln

Damit die Küche Zeit hat, besuchen wir den Speisesaal erst nach einer Stunde – eine einsame Angestellte putzt irgendein Eck, die Stühle stehen auf den Tischen, die Küche ist dunkel, es riecht nach Reinigungsmittel. Essen? Schulterzucken.

Die Dame zuckelt los, wir stellen zumindest mal die Stühle von den Tischen, nehmen Platz und finden zwei kühle Biere im Kühlschrank. Die Dame taucht wieder auf, im Schepptau der Manager, der sich sichtlich freut uns im Speisesaal zu finden: „Food? What you want?“ fragt er und schaut uns erwartungsvoll an. Wir geben auf und dann zu verstehen, dass wir essen werden, was er uns gibt. Licht an in der Küche, später bruzelt was. Zwischendrinn kommt ein anderer Würdenträger des Hotels, nimmt zwei Bier aus dem Kühlschrank und stellt sie mit sehr großem Gestus auf den Tisch: Wellcome Tajikistan! Sagt er – wie nett, denken wir! Da lädt uns einer ein. Das Management verlässt uns wieder und wir erwarten unser Essen, irgendwas passiert in der Küche: Dann schlappt die Frau, die wir beim Putzen gestört haben mit einem Teller aus der Küche und knallt uns ein totes Huhn auf den Tisch, flachgeschlagen und vermutlich vor wenigen Tagen gegrillt, seitdem hoffentlich gekühlt und nun irgendwie warmgeföhnt. Das Tier ist zweigeteilt, armselig hängen Bein und Flügel über den Tellerrand. Dazu ein hart gekochtes Ei. Nico bekommt das Huhn!

Zum Zahlen muss dann nochmal der Manager kommen, weil wir nicht verstehen, warum hier so viele Zahlen untereinanderstehen: ein Bier, ein Huhn, ein Ei? Mehr als 3 Zahlen sind schwer zu verargumentieren – und das freundlich ausgegebene Bier haben wir eh nicht getrunken, sondern zurück in den Kühlschrank gestellt. Aber das war tatsächlich auf der Rechnung, quasi Gestus ohne die dazugehörige Einladung, und ein paar andere Zahlen werden dann auch ohne längere Diskussion von der Rechnung gestrichen. Wir essen was wir nicht bestellt und zahlen was wir nicht gegessen haben. Und so ist das jedes Mal.

Bis Kulob fahren wir durch weitläufiges Hügelland, flirrende Hitze, staubige Felder, Ziegenherden und Esel, das Getreide ist geerntet, die Schafe fressen was sie zwischen Stoppeln finden, Strohballen werden händisch auf Hänger geladen und mit prähistorischen Schleppern schaukelnd von den Feldern gefahren, in der Hitze ist das alles ein bisschen unwirklich und fiebrig. Ab und zu finden wir kleine Rastplätze, teilen uns eine Wassermelone, lassen Wasser in uns reinlaufen oder Cola.

Erst am nächsten Tag geht es zurück in die Berge und wir queren einen Pass, hinter dem nun endlich der Panj in seinem Flussbett zwischen Tajikistan und Afghanistan aus den Bergen donnert. Der Pass ist anstrengend, die Landschaft so weit. Ich sehe nicht, dass ich vorankomme, der Blick zurück sieht nach einer halben Stunde auch nicht anders aus als vorher. Alles wirkt flach und lediglich der Höhenmesser verrät mir, dass ich tatsächlich langsam nach oben komme. Die Straße ist miserabel, aber dann machen wir nochmal Pause an einem Wasserhahn, Nico kauft Honig von einem Straßenverkäufer, unter dem Wasserstrahl kühlen wir uns ab – mit allen Klamotten, das trocknet in der Hitze eh in Minuten, aber es ist so angenehm den Staub und Dreck runter zu waschen und zu spüren, wie sich die Temperatur normalisiert. Von da ab geht es schnell rauf auf den Sattel, ein Tor markiert die Passhöhe, oben bemerken wir das erste Mal die Warnungen vor Landminen und werden daran erinnert, dass hier Bürgerkrieg war, es Grenzstreitigkeiten gab mit Afghanistan, so lange ist der letzte Krieg hier nicht her. Dann lassen wir uns die Passtrasse runter rollen, der Asphalt ist ein Geschenk des Straßengotts, und campen auf einem Hügel, von dem aus wir einen 360° Rundumblick auf den Panj und die umliegenden Gebirge haben, bestimmt einer der schönsten Camp-sites der gesamten Reise. Der Mond scheint und erst als er in den frühen Morgenstunden der hinter den Bergen versinkt sieht man die Sterne zwischen den Bergketten. Im Zelt ist es zu heiß und ich schlaf draußen.

 

Am nächsten Tag folgen wir dem Panj – das werden wir jetzt für die nächsten paar 100 km machen. Am gegenüberliegenden Ufer auf Seiten Afghanistans folgt eine Straße dem Flußverlauf – aber das ist ein Ziehweg, in den Fels gehaut, mit der Hand aufgemauert, ein Laster kann hier gerade so entlang kriechen. Es sind vor allem kleine Motorräder die eine staubige Spur auf der afghanischen Seite hinterlassen, es ist nur ein Steinwurf rüber in das andere Land.

Die Felder sind klein und alles scheint hier in mühsamer Handarbeit zu geschehen, mit Sicheln das Getreide schneiden, auf einem Esel das Stroh in die Scheune bringen. Die Hänge sind steil und ich frag mich, wie man so hoch oben auf so abschüssigen Hängen noch sinnvoll landwirtshaft betreiben kann, aber vermutlich muss es sein um das Dorf zu ernähren. So ziehen sich Felder in verschiedenen Gelb-tönen und organischen Formen bis hinauf unter die Felswände. Ständig muss ich stehen bleiben und eine neue Perspektive hinter einer Flussbiegung anzusehen und zu fotografieren.

 

In einem Dorf werden wir auf eine Hochzeit eingeladen und gehen tatsächlich hin. Ich fühl mich unwohl und wenn ich ehrlich bin, glaube ich auch, dass der Bräutigam gestresst ist. Bestimmt findet er das ganz spannend, die Radler sind hier schon immer noch eine Attraktion, anders als die Motorradfahrer, die durchrauschen und unter ihrer Rüstung versteckt bleiben, bzw den Touristen, die mit Geländewagen über den Highway kutschiert werden, sind die Radler greifbarer: Wir antworten wenn uns zum 10.000 mal ein Hello zugerufen wird und klatschen ab, wenn uns Kinder ihre Hände hinhalten. Wir stoppen öfters und lassen uns ausfragen: Unsere Namen, wo wir herkommen und wie es uns gefällt: Whatsyourname? Whereyoufrom? Tajikistanbeautiful? Manche Kinder sprechen überraschend gutes Englisch und erzählen uns einen Haufen Quatsch.

Vielleicht jedenfalls ist es ja wirklich ein bisschen eine Attraktion, wenn so ein bepackelter Rader bei einem zuhause auftaucht, aber auf der eigenen Hochzeit hat der Herr Bräutigam vielleicht andere Sorgen als sich von irgendwelchen Fernreisenden interviewen zu lassen. Uns wird Tee aufgenötigt und ein steinalter Mann steht auf, um mir Platz auf dem großen Sofa zu machen – es ist unmöglich den Herrn wieder auf seinen Platz zurückzubugsieren und so sitze ich nun neben goldzahnigen Greisinnen, die mir so wenig zu erzählen haben wie ich ihnen. Wir wünschen dem Bräutigam alles Gute, ich schaue einem Mädchen, vielleicht 10 Jahre alt, noch eine Weile zu wie sie verträumt auf dem Hof zu irgendeinem russischem Technogewummer tanzt, während sich die Jungs vor der Kamera von Nico produzieren. Jungs halt!

Ich frag mich, wieviele Reisende auf so einer Hochzeit bleiben und dann irgendwas von unglaublichen unverfälschten Erlebnissen faseln, die sie mit den Einheimischen haben, die Gastfreundschaft und oh wie wirklich und authentisch, …. Der arme Kerl: Seine ganze fucking Großfamilie läuft ein in seine hingerotzte Hütte, das halbe Dorf will was zu essen, seine Liebste wird aus dem nächsten Dorf mit viel Tamtam in seine Arme abgeliefert, … und da soll der Kerl sich mit mäßig gekleideten weitgehend ungewaschenen Ausländern abgeben, die noch nichtmal ein Geschenk dabei haben? Die sind vielleicht einfach zu höflich, vielleicht ist es eine halb neidvolle Bewunderung für das Leben im Westen, vielleicht fehlt einfach der Wortschatz um zu sagen: Schön, dass ihr gekommen seid, aber bitte versteht, dass ich mich um meine anderen 300 Gäste kümmern muss und ich piss mir gerade ins Hemd vor Nervosität, also kümmert euch um euch selbst, seid so gut!

Ich fühl mich deutlich wohler, als wir wieder auf dem Rad sitzen und die letzten Kilometer nach Kala´i Khum runterstrampeln.

In Kala´i Khum treffen sich die Nord und die Südroute – von da ab Pamir Highway, M41!

 

Die Straße ist megamiserabel, macht das Rad kaputt, die Fahrradtaschen, den Gepäckträger… das Geschüttel macht Kopfweh – und es ist ein eigenes Kapitel wert mal über die Zumutungen miserabler Straßen abzukotzen. Der Tag endet nach langen 7-einhalb Stunden reiner Fahrzeit, 91 km und 1600 Höhenmeter auf einem einsamen Hügel und das Camp steht als der Vollmond hinter einer steilen Hangkante auftaucht. Die nächsten Stunden kratzt der Mond an den Felsen entlang Richtung Gipfel, mal verdeckt, mal über der schwarzen Silhouette des Berges schwebend, viele viele Mondauf- und untergänge. Ich bin zu müde um das wirklich lange zu bewundern, aber ich schlafe selig ein: Typ 2 fun! Was habe ich geflucht, wie froh bin ich jetzt

Zwischen Kala´i Khum und Khorog mündet der Bartang in den Panj. Folgt man dem Bartang gelangt man auf direkten Wege nach Murghab und kürzt den langen Umweg durch das Panj Tal substantiell ab, die Strecke gilt als extrem verlassen und all die Reisenden, denen das Wakhan und der Highway schon zu ausgetreten und mainstream erscheinen, verlassen hier die Schotterpiste um auf einem elenden Schafspfad durch die Wildnis zu irren. Aber schön ist es natürlich schon, gewaltige Berge, Bäche und grüne Täler, endlose Weite, …. Zumindest den Anfang wollen wir uns ansehen und radeln bis zu einer Hängebrücke, überquere den Bartang ohne unsere Räder und wandern den Bach entlang, der durch das kahle felsige Tal sprudelt. Klar und blau und kalt. Bäume säumen den steinigen Bachlauf, Blumen, Wasserfälle. Oben sammelt sich hinter einem Steinwall ein See, kieselblau und klar wie eine Bucht auf einer griechischen Insel. Der Fluss führt dahinter weiter – 7 Seen sind es, die man auf einer Länge von mehr als 10km so erwandern kann und am liebsten würde man weiter und weiter in das Tal hineinlaufen. Wir haben auf dem Hinweg einen sagenhaften Campspot entdeckt, neben einem See, kalt aber schwimmbar, klar wie ein Pool, dahin gehen und radeln wir zurück und verbringen eine letzte Nacht im Bartang bevor wir am nächsten Tag in Khorog aufschlagen.

 

Hier sitze ich: Khorog, Pamir Lounge: Um mich herum brüten Radler und Motorradfahrer über Karten und basteln an ihren Gefährten. Ich hab mir für die letzten Etappen eine neue Kette gegönnt, die Bremsen ausgetauscht und die Gepäckträger und Taschen überholt. Niko und ich haben ein Kilo Linsen, ein Kilo Reis und ein Kilo Nudeln eingekauft. Zusammen mit ein paar Saucen unbekannten Inhalts werden wir unsere Küche nach einem Baukastenprinzip organisiseren: Nudeln al Funghi, Risotto verdura und Linsen Masala Verschnitt, gefolgt von Risotto al Funghi, Linsen – Gemüse Suppe und das experimentelle Nudelmasala Gericht, und so weiter….   In der Früh gibt es Porridge mit Honig, Milchpulver und Kakaupulver. Special treat: 1 kilo Rosinen.

Khorog ist die letzte Station mit Internet und ich verabschiede mich jetzt für längere Zeit. Netz gibt es vielleicht in Murghab um ein Lebenszeichen zu schicken, aber nicht um zu telefonieren oder Blogs hochzuladen oder Instagram Bildchen in die Welt zu schicken. Dies nur, um eventuellen Sorgen vorzubeugen. Die nächsten 2 bis 3 Wochen werden hoffentlich mindestens so großartig wie anstrengend. Ich freu mich sehr darauf.  

 

Typisch usbekische Kuhpose, hübsche Platte in Panjinkent, heiß und trocken hinter Panjinkent. Frauen arbeiten während die Herren auf Fahrzeugen abhängen. Camping unter Aprikosen, Flüsse, Bäche und der Eingang zum Tunnel


Inschrift auf der kleinen Gedenktafel am Ort des damaligen Anschlags


Bilder aus dem Panj Tal und eins von Niko, mit dem ich zur Zeit unterwegs bin. Ein super guter Mitradler. Auch hier hab ich Glück!

Das Hochladen von Bildern ist ein tagesfüllendes Geschäft.  Von den vielen hundert Photos nur eine kleine Auswahl

Liebe Grüße aus Khorog - für den nächsten Monat ist vermutlich Sendepause. Ich meld mich wieder aus Osh in Kirgistan oder Kashgar in China. Bis dann

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Kommentare: 1
  • #1

    Carola (Sonntag, 21 Juli 2019 19:27)

    Haaaaaaleluja haaaaaaaleluja haleluja haleluja haleluhuhuhuja!!!!!!! Stefan, wie schön von Dir wieder zu lesen!!!!!!!!!!!! Da ich mir nun ausnahmsweise auch mal ernsthaft Sorgen gemacht (und blödsinnigerweise auch noch die Infos des Auswärtigen Amts über Tajikistan gelesen) habe, muss ich Dir jetzt einfach mal schreiben, wie sehr ich mich freue, dass Du wohlauf bist! Das liest sich alles so unwägbar, kühn, menschelnd und insbesondere stefanelnd, dass man Dir nur staunend folgen kann und will! ...und die Weltsicht erweitert sich jenseits der medialen Verkürzungen auch wieder ein bischen und ruckelt sich im Fahrradtempo irgendwie ermutigend zurecht...

    Weiterhin eine glückliche Reise und sympathische Co-Verrückte,
    Carola