Abwesenheitsnotiz

Aus Xining bin ich zunächst nach Süden gefahren - der mühevoll ausgeklügelte Plan sah vor einen Abstecher in das tibetische Hochland  zu unternehmen und dann nach Chengdu rauszurollen. Von dort in den Zug nach Peking, entspannte Tage, und den Heimweg antreten. Und so bin ich zunächst motiviert in den Süden geradelt, habe mir ein paar sagenhafte Klöster gegeben, habe den gelben Fluss gesehen, hatte grandiose Abfahrten, endlose Anstiege, Pässe im Nebel, Gebetsfahnen, Grasland in Gansu, schroffe Felsen in Quinghai, ein bisschen Schweiz in Sichuan und vieles mehr.

Aber mit jedem Kilometer in den Süden wuchs auch das Unbehagen: Will ich tiefer in die Berge, noch mehr rauf und runter, noch mehr Klöster? Es gab Erdbeben und Schlammlawinen - Straßen sind gesperrt - mit dem Auto ein Umweg von ein paar Stunden - mit dem Rad ein Umweg von einer Woche. Regen und Schnee haben sich angekündigt. Irgendwie wirkt das ganze Vorhaben nicht mehr so sehr attraktiv.

Und was ist das mit Cheng Du? - das ist nicht gerade Peking - und da wollte ich doch eigentlich hin. Klar - ich fahr dann mit dem Zug (Das Zugfahren würde ich ja auch gerne vermeiden. Meine Herrn, das war ein Scheiß) nach Peking und bleib da so ein bisschen. Aber so hatte ich das ursprünglich nicht im Kopf. Ich hatte zwar insgesamt verdammt wenig Vorstellungen wie das Radreisen in China so ist - aber ich wäre schon gerne mit dem Rad angekommen - anstelle mittendrinn einfach aufzuhören. An einem fast willkürlich gewählten Ort. Irgendwo. Will ich so die Reise beenden?

Ich stell mir vor, wie ich nach einem langen letzten Tag entnervt im Straßenchaos von Chengdu nach dem Scheiß Hostel suche - es natürlich erst nicht finde - irgendwann dann doch - immer dieselbe Herbergssuche. Und ja - super sie haben noch ein Bett im Schlafsaal mit 16 Betten. Den Reisepass bitte!  Und für 3 Nächte im Voraus zahlen, OK? Und dann pack ich meine Taschen vom Rad - und das wars dann.

Nein, so will ich nicht meine Reise beenden.

 

Zuletzt fehlte jede Motivation weiter in den Süden zu fahren - keinerlei Gravitation, die ein Ziel ja entwickeln sollte... und als ich an meinem zweiten Tag in Langmusi, einer großen und lebendigen und ursprünglich belassenen Klosterstadt von einem langen Ausflug zurückkam, wußte ich, dass ich dieser Reise irgendwie auch ein angemessenes Ende schuldig bin. Und das ist nicht in Cheng Du, trotz sagenhaftem Essen und den schon so nahen zivilisatorischen Verlockungen.

 

Bis ich in Peking aufschagen muss habe ich noch 3 Wochen Zeit - und bis Peking sind es ein bisschen mehr als 2000km. 100km am Tag sind machbar. -Mir gefällt der Gedanke so gut, dass ich die Entscheidung getroffen habe, bevor ich sie durchdacht habe. Aber so sieht es jetzt aus:
Ich bin in Langmusi am nächsten Tag aufs Rad gestiegen und in 3 Tagen zurück nach LinXia - einer Stadt, die vor allem hässlich und laut ist - allerdings ein ehemaliges Handelszentrum an der Seidenstraße. Nur der ewige Lonely Planet Führer kann dieser hupenden Hölle etwas abgewinnen.

 

Von hier gehts ins Ungewisse: China ist riesig und die Möglichkeiten endlos. Aber es ist auch ein schwieriges Reiseland: Schwere Verständigung und ein gestörtes Verständnis von Vorfahrtsregeln. Im Norden entgeht man dem Regen, landschaftlich werde ich mich überraschen lassen müssen. Regen tausche ich gegen Wind - vermutlich aus Osten, direkt ins Gesicht. Hurra! Wo werde ich schlafen? Nur wenige Hotels in China dürfen Ausländern überhaupt ein Zimmer geben. Kann ich zelten? Überall sind Zäune, überall Baustellen - über Zig Kilometer. Find ich einen Weg, der  mich konsequent mal ein paar 100km in die richtige Richtung führt? Heute bin ich nach 20 km vor einer Autobahn Zufahrt gestanden - die Mitarbeiter des Mautbereibers haben gelacht, als ich ihnen erklärt habe, dass meine Beine stärker sind als die hustenden Mopeds, die hier durchaus fahren dürfen. Die Autobahn ist neu - auf den Karten und Navigationsapps sind weitgehend veraltete Wege eingezeichnet. Nicht verwunderlich in einem Land das sich gefühlt alle zwei Jahre einmal komplett rundumerneuert. Aus meinen 80km wurden so schnell mal 125.

Ich bin gerade nicht wirklich euphorisch was diesen letzten Abschnitt Richtung Osten anbelangt. Ich hätte gerne einen Mitradler - aber alles was nach Osten fährt dreht in Kirgistan ab - meistens Richtung Flughafen und Heimat. Die Wenigen, die sich in dieses Land vorwagen, nutzen den Karakorum Highway um schnell nach Pakistan zu reisen. Ein kleiner Haufen, aber das sind schon homöopathisch verdünnte Radfahrerchen, die sich auf der gigantischen Landkarte verlieren, hat Laos und Vietnam zum Überwintern als Ziel. Nach Peking fährt glaub ich dieses Jahr nur einer. Und - ganz ehrlich, ich hab ein bisschen die Hosen voll.

Mit diesen sehr heroischen Einlassungen belasse ich es mal - die nächsten Wochen werde ich allabendlich in ein kleines Notizbuch schreiben um dann hoffentlich  aus einer prallen Stoffsammlung einen unterhaltsamen Blogbeitrag zu zimmern. Also keine Sorgen machen: Dem Straßenverkehr begegne ich mit defensivem und vorausschauenden Fahrverhalten, dir Straßen sind großartig, und im Norden erwarte ich Einsamkeit - auch auf dem Asphalt.

Over and out

 

 

Schuhe aus zum Gebet! Kumbum in der Nähe von Xining. Nicht gezeigt: Massenabfertigung um dem Besucherzustrom Herr zu werden, Schlangen vor den modernen Toilettenanagen, die in die Klosteranlagen brachial eingezimmert wurden, Stände die tibetische Klassiker Verkaufen: Schmuck und Textilien, Miniatur-Gebetsmühlen für 50 Cent etc etc etc... Der Apparat kassiert hier ordentlich ab. Kloster Kulisse und Mönche Statisten? Eher nicht, aber es ist schon ein bisschen Andechs.

Wie auch sonst überall hat die Kulturrevolution hier nichts als rauchende Halden zurückgelassen. Alles neu aufgebaut - Davon merkt man nichts, wenn man durch die Anlage spaziert, die Yakbutter-Patina legt sich gnädig über jede frische Farbe. Leider schifft es aus Kübeln.

(Moderne Toilettenanlagen sind tatsächlich eine sehr löbliche Neuerung in den Klosteranlagen!)

Zeltplatz zwischen Xining und LinXia - am nächsten morgen Wolkenbruch beim Aufbruch. Man darf Campen auch mal ein bisschen hassen: Schlammiges Zelt in aufgeweichte Radltaschen. ...Landschaften um den Huang He - den berühmten gelben Fluss: Der entspringt ein bisschen oberhalb, macht hier seine erste große Kehre, fließt dann nach Norden - innere Mongolei und dann zurück in den Süden. Sehr raumgreifende Mäandrierung. Möglicherweise wäre das bei Sonnenschein noch schöner. aber auch so genieße ich die Strecke sehr. Je weiter man in die Berge kommt desto mehr Klöster  - auch kleine und unspektakuläre . Gefällt mir eh besser - und so kommt man auch mt den Mönchen in Kontakt. Besonders den jungen: Neugier - das Rad, die Kamera, der Bart. Die Kinder führen mir vor Augen, dass in den Klosterschulen die Leibesübungen wenig Prio haben. Der eine halbe Klimmzug war das beste was ich zu sehen bekommen habe.

In dem Felsbild haben sich zwei Ziegen versteckt..... Unfassbar wie die da hingekommen sind.

Um die Klosterstadt Xiahe zieht sich ein kilometerlanges Band von Gebetsmühlen. Beim Abwandern des Rundgangs werden die Mühlen angeschubst und quietschend multiplizieren sie das Gebet mit jeder Umdrehung. Oftmals sind es Messing Zylinder - hier 6 kantige Prismen, auf jeder Seite 3 Pannele mit handgemalten Motiven. Bei ein paar hundert Mühlen pro Abschnitt ist das richtig viel zu pinseln. Ich darf an einer Säule ein bisschen mitmaleren, ein paar unbeholfene Stricherl und Flächen in hell- und dunkelblau: Für die nächsten 50 Jahre dreht sich jetzt mein Beitrag zum tibetischen Seelenheil und schickt ein bisschen omanipadmehum zu den Göttern. Die Gläubigkeit ist tief und bizarr und im Leben fest verwurzelt. Man kann den Rundweg auch mit seiner Körperlänge abmessen: Niederwerfen in den Staub, Stirn auf den Boden, Gebet gemurmelt, auf die Knie, zurück in den Stand, Hände gefaltet über den Kopf gehoben, 3 Schritte nach vorne... auf alle Fälle mal sportlich. Wer es sich noch härter geben will umschreitet die "Kora" nicht mit der  Abmessung in Körperlänge sondern -Breite, 1000de mal wiederholen sich so die Bewegungen. Es gibt auch Holzbretter, mit Polstern im Bereich der Knie - auch da kann man den Tag mit endlosem Niederlegen und Aufstehen zubringen. Andere wieder umrunden endlos einen Tschörten, heiliger Kuppelbau, der die Stationen zum Nirvana repräsentiert. Jedes Niederwerfen, jede Umrundung ein Gebet und mit jedem Gebet dem Eingehen ins große Nichts ein bischen Näherkommen.

Pragmatischer natürlich ist es die Gebetsmühlen mit einem Wasser- oder Windrad in Dauerbetrieb zu halten.

Nachdem Gebet stürmen die Mönche aus dem allerheilgsten Tempel, als ginge es darum als erster auf dem Klo zu sein. Vermutlich ist es genau das! Sehr unspirituell und unmönchisch - das gefällt mir sehr!

Zwei Bilder des Mönches, der ein par Ausländer durch die Anlage führt: What is ´appiness? What is truth? If your hand is sick it is not your entire body - so what about your soul? (Hä??????) ... oh boy - aus mir wird (in diesem Leben) kein Buddhist mehr

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Thomas (Freitag, 06 September 2019 22:10)

    Bewundernswert!
    Und eine gute Entscheidung.
    In gut einer Woche bin ich auf dem Weg nach Georgien und werde auch mit der Eisenbahn, wie du mir empfohlen hast, nach Armenien fahren. Auf deinen Spuren also. ;)
    Alles Gute weiterhin.
    Thomas