3 Jahre später

 

Am Abend vor der Abreise ist der Himmel dramatisch gelb – eine Sepiastimmung liegt über der Stadt, die Sonne zwischen den Wolken taucht alles in ein unwirkliches Licht. Früher war der naheliegenste Gedanken natürlich das jüngste Gericht und gelber Schwefel, der aus den Pforten der Hölle entweicht. Heute berichtet der Nachrichtensprecher: Saharastaub! Vielleicht ein gutes Zeichen: Ich auf dem Weg in die Sahara, die Sahara kommt mir schon mal ein Stück entgegen. Den ersten Tag eiere ich auf dem natürlich überladenen Fahrrad die Stationen ab: Die St. Heinrich Apotheke, die mir meine Reisemedizin mit auf den Weg gibt, die Kollegen von Intana und siTOOLs, von denen ich mich verabschiede, der Fahrrad-Laden, Funsport in Martinsried, der mich und meine Radlerei begleitet. Dann wuchte ich meinen 2-Rad Sattelschlepper Richtung Starberger See. Abends kommt noch mein Bruder Thomas zu den Eltern nach Feldafing, Lola und ich gehen spazieren und ich vermiss den Wald, das Haus, den Hund und alles da schon bevor ich losgefahren bin. Es nieselt und der Saharastaub geht wie Ockerbrühe nieder. Am nächsten Morgen hängen die Wolken tief, der Abschied fällt jetzt doch schwer.

 

Ursprünglich hätte mich mein Weg nach Süden über St. Moritz geführt – das alles klang ganz vernünftig, als ich die Etappen zusammengesucht habe: draussen schien da schon die Sonne so schön und warm, der Winter schien einer fernen Vergangenheit anzugehören. Ein Blick auf die Wetterkarte aber relativiert meine Frühlingsgefühle, weil in St. Moritz schneits bei -12°C. Mittags! Vergiss den Maloja Pass, Comer See, etc. - es schneit oben, unten regnet es.

 

Aber ich will zumindest die erste Warmshower-Übernachtung nicht absagen, die ist im Lech Tal und so radel ich am Schloss Schwanstein vorbei, komme nach Füssen, und da ist es wirklich schön – und dann noch ein paar Kilometer den wunderbaren Lech rauf. Kiesbetten, Auenlandschaften in denen sich die Biber ihre Gärten anlegen und Weiden umlegen, wie ein Rodungsunternehmen. Die Radwege sind jetzt immer wieder verschneit, vereist, aufgetaut, überfroren. Teilweise sieht man noch die Spuren der Loipen, die nun auch niemand mehr nutzt – aber radfahren kann man halt auch nicht. So dauern die letzten Kilometer nochmal ne Stunde. Ich übernachte bei einem Gastgeber von Warmshowers, der in seinem früheren Leben ein Computer Bastler und Chip-Löter und Programm-Schreiber war – jetzt sucht er Alternativen und engagiert sich politisch und gesellschaftlich, interessiert sich für 1000 und eine Sache, verdammt leidenschaftlich den Verbrennungsmotor und bastelt sich im Eigenbau seine kleinen elektromobilen Zweirad-Geschosse. Auf seinem kleinen Bauernhof hält er eine sehr ursprüngliche Schaf-Rasse. Am nächsten Morgen holt er frische Eier aus dem Stall und freut sich, weil über Nacht noch ein Lämmchen auf die Welt gekommen ist. Ganz stakselig stolpert es zwischen den anderen Schafbeinen herum.

 

 

Der Weg ins Inntal über den Fernpass ist kein Spass, weil die Radwege zugeschoben sind mit Schnee, komplett vereist, als Loipen genutzt, … am Ende bleibt die Strasse, die ich mir mit dem gesamten Schwerlastverkehr teile. Kein Spass – aber zwei Tage später bin ich schon auf dem Brenner, eine Nacht verbringe ich auf halber Höhe bei meinem Studienfreund im zugigen Ort Ellbögen, seiner Tochter und einem sehr jungen Hund, Anouk, der viel noch nicht kann und das mit dem Gassi gehen auch erst lernen muss. Bevor ich am nächsten Morgen weiterfahre, schauen wir noch zusammen Ralphs Photofalle an, aber ein Wolf, ein Goldschakal, irgendein spektakuläres Riesentier hat sich nicht vor die Linse gewagt. Gut für den Wolf – der hält sich in Tirol lieber versteckt, den die Bauernschaft rüstet auf und steht gemeinschaftlich vereint, da sie natürlich ihre Schafe lieber selbst töten.

 

 

In Bozen war ich schon so oft, aber dann bleibe ich doch einen zusätzlichen Tag, die Beine haben sich einen Tag verdient und ich schau mir das Steinzeit Museum, das sich mit genau einem Exponat befasst. 3 Stockwerke für den toten Ötzi, der zu Lebzeiten kaum mehr als einen Verschlag bewohnt haben dürfte – und das ist wider Erwarten absolut spannend: Was der Mann bei sich trug, einen Kupferaxt, ein Bogen und Pfeile, ein paar Pfeilspitzen, eine steinzeitliche Version des Taschenmessers, einen Regenumhang – ein absolutes Minimum an Ausrüstung, die Schuhe mit Heu ausgestopft – so ist der Mann über die Ötztaler gestiefelt – auf unbekannter Mission, aber es hat ihm nicht gutgetan, diese letzte Wanderung. Aus der Untersuchung von Zahnschmelz weiß man, dass er seine Jugend östlich von Bozen verbracht hat und dann seine 30er auf der Südseite des Hauptkamms. Die unterschiedlichen Stämme lebten zwar weit voneinander getrennt aber standen doch in regem Austausch. Als der Ötzi ums Leben kam war er wohl so um die 45 Jahre, das war ein anständiges Alter. Die Mumie kann man durch ein kleines Fenster ansehen, sie wird in einer Kältekammer aufbewahrt und eine dünne Eisschicht konserviert das Gewebe. Die letzte Abteilung befasst sich mit den letzten Lebenstagen von Ötzi – und so wird man Zeuge einer Ermittlung in einem Mordfall. Was auch immer der Herr Ötzi im Tal angestellt hat – zwei Tage vor seinem Tod hat er sich wohl handgreiflich auseinandergesetzt, bei der Gelegenheit scheint er in Abwehr mit der Hand in eine Steinklinge gegriffen zu haben, zwischen Daumen und Zeigefinger klafft eine tiefe Schnittwunde. Der Mageninhalt legt nahe, dass er nicht viel zu Essen hatte und stützt die Vermutung, dass der Aufbruch eher ein überstürzter war. Also keine formale Verabschiedungen und bedachtes Auswählen geeigneter Reiseverpflegung sondern wilde Flucht in die Berge. Gestorben ist der Ötzi ein paar Meter entfernt von der Landesgrenze zwischen Italien und Österreich – also wirklich auf dem Pass. Eher zufällig fand man bei einer letzten Röntgen-Untersuchung dann die Pfeilspitze, die zwischen Schulterblatt und Schlüsselbein eines der großen Gefäße aufgerissen hat. Der Pfeil hat die Schulter nicht durchdrungen – bei den damals handelsüblichen Bögen entspricht das einer Schussdistanz von 30 Meter. Die Eintrittsöffnung haben sie im Rücken gefunden: Feiger Mord aus dem Verborgenen. Vielleicht hatte man ihm aufgelauert – jedenfalls haben die Täter die bestimmt wertvollen Habseligkeiten nicht mitgenommen – so eine Kupferaxt war damals zweifellos ein echter Schatz. Aber – so referiert ein Münchner Profiler in einem Videobeitrag: Kein Bereicherungsvergehen. Irgendwas muss der Ötzi bei seinem Auftritt im Dorf gemacht haben, was die Gemeinschaft sehr erbost hat. Rückblickend ein verhängnisvoller Fehler. Zwei Tage Flucht und nachdem ihn der hinterhältige Pfeil getroffen hat, muss er vermutlich bald gestorben sein, maximal nach 5 Stunden ist er einem Kreislaufkollaps erlegen, sagen Gerichtsmediziner.

 

Und ich bin wirklich fasziniert: Da liegt 5000 Jahre so ein Steinzeitler im Eis, hat nur das allernötigste bei sich, die „Ausgrabungen“ verlaufen maximal unprofessionell, und dann gelingt es der Wissenschaft und den Forensikern dieses Leben zu rekonstruieren und wir werden überraschend Zeuge eines alpinen Dramas.

 

 

Meine Mutter empfiehlt mir noch eine Kapelle in der Dominikaner-Klosterkirche: in einem Seitenflügel seien wunderbare Fresken aus der Gotik. Und als folgsamer Sohn besuche ich auch dieses kulturelle Highlight. Das Kapellchen ist ein kleines Seitenschiff einer größeren Kirche, schmal, hoch und mit einem einzigen abgehängten Fenster spärlich ausgeleuchtet und bis auf den letzten Quadratmillimeter ausgemalt mit Szenen in christlicher Tradition: Sprich Martyrium. Die glücklicheren sterben durch das Schwert, andere haben´s sehr viel schwerer den Weg ins Jenseits zu finden. Und es mir nicht leicht, die künstlerische Dimension zu würdigen – oder die historische. Die Stifter haben die Motive bewusst gewählt, um dem Herrgott für verschiedene Aspekte seiner Göttlichkeit zu danken. An manchen Stellen sind die tieferliegenden Wandbemalungen freigelegt worden: Ursprünglich anmutende Muster, weitere Gesichter, mehr Leid im Namen des Herren. Schichten um Schichten, verborgen für immer. Ich bin schon froh auch das gesehen zu haben – aber für den heutigen Tag ist es genug mit Mord- und Totschlag.

 

 

Der Weg nach Trient führt vorbei an Kilometern und Kilometern von Wein- und Obstplantagen. Die Autobahn braust kontinuierlich, die Etsch fließt gemächlich in ihrem Betonbett geradlinig nach Süden und links und rechts ragen die Berge auf, die Flanken glatt geschliffen durch die riesenhaften Gletscher, die sich durch das Tal geschoben haben. Und mit jeder Stunde wird das Gras am Boden ein wenig grüner und der Frühling kommt näher. Sobald die Sonne weg ist, wird es saukalt. Ich trink einen Schluck Rotwein, in Daunenjacke, Mütze, auf der Terrasse meiner Unterkunft und bin Reise-euphorisch.

 

Erst kurz vor Verona, am Südende des Gardasee enden die Berge, einigermaßen abrupt. Um 11 hatte der Gegenwind eingesetzt – am Gardasee heißt das Talwindsystem „ora“ – weil man die Uhr danach stellen kann: Mittags springt die Thermik in den Bergen an und zieht den Wind durch die Täler nach – schön für die Segelflieger, schlecht für den Radler in Richtung Süden. Die Kilometer ziehen sich und als ich in Verona ankomme bin ich rechtschaffen fertig. Das „Ostello“ ist super, hintenraus ist ein Garten und als ich sehe wer da noch so alles im Dorm sein Bett macht und später fröhlich sein Abendessen unter die Bettdecke pupsen wird, bau ich mein Zelt hinterm Haus auf und hab einen wunderbare Nacht, nachdem ich mit Katrin, einer anderen Reisenden, noch ausgedehnt den antiken Stadtmauern folgend die umliegenden Hügel abgewandert bin. Für die Besichtigung der wunderbaren Stadt Verona inklusive dem Pilgerort liebestrunkener Romantiker, einem weltbekannten Balkon, dürfen dann die Bilder sprechen.

 

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Kommentare: 6
  • #1

    Lao Ha (Samstag, 26 März 2022 10:16)

    Eine schöne neue Morgenroutine: B2B anschauen und hoffen, dass was Neues drin ist.
    Auf dem Weg nach Westen: Grotte di Catullo e Museo Archeologico di Sirmione.
    Sirmione, wohl der Geburtsort des Gaius (oder Quintus) Valerius Catullus (deutsch Catull), u.a. bekannt durch überaus obszöne Spottgedichte auf Cäsar und herzergreifende Verse auf seine "me mea Lesbia"
    Gute Reise

  • #2

    LaoHa (Mittwoch, 30 März 2022 10:48)

    Gute Reise....
    Nur dass es nicht übersehen wird: Schau mal bei Deinen Kontakten, ich hab zwei Besichtigungstips für Süpdfrankreich hinterlassen.
    Wo fährst Du durch/über die Pyrenäen?
    Alles Gute und danke für die schönen Fotos auf Helgas Handy (Instagramm?)
    Gruß von den Bienen, ihnen gehts beim schönen Wetter gut, aber ab heute wirds kalt, ich füttere!
    Dein greiser Vater

  • #3

    Lips (Mittwoch, 30 März 2022 17:07)

    Hi Stef, ich hab zwei konkrete Fragen:
    Wo schläft man, wenn man eine "warm shower" bucht? Wahrscheinlich ja nicht in selbiger...
    Mit welcher Karten-App bist Du dieses Mal unterwegs?

  • #4

    Stef (Samstag, 02 April 2022 13:08)

    lieber Lips - Komoot. Und natürlich wieder steter Anlass zu Verärgerung, aber am Ende besser als die Alternativen, die ich versucht habe, Bike Maps und OSMand. Und mit Komoot kenne ich mich aus - wenn ich mir die Arbeit mache, die Touren vorher noch ein bisschen anzusehen, dann kann man schon auch noch korrigieren. Oder sich nachher ärgern. Ich mach beides.
    Warm Showers ist eine sympathischere Variante und gute Alternative zu CouchSurfing, von und für Radler. Also Übernachtungs-Tauschplattform! Was man bekommt steht im Profil der Gastgeber, einen geschützten Platz hinter Haus fürs Zelt, ein Zimmer mit Bett, eine Auszieh-Couch im Wohnzimmer oder ein Winkelchen, in dem man seine Isomatte ausrollen kann. Immer bekommt man aber eine warme Dusche - und das ist oft das, was man fast am dringendsten will.

  • #5

    Lao Ha (Montag, 04 April 2022 15:08)

    Die Fotos von heute mittag - wo könnten die her sein? Für Nizza/Monaco sind die Jachten zu klein, und meine Wetterkarte zeigt für Nizza Bewölkung,
    Also vielleicht noch Neapel - aber wo gibts da so hohe kirchengekrönte Berge?
    Rätselhaft!
    lass es Dir gut gehen
    He und Ha

  • #6

    Lao Ha (Samstag, 09 April 2022 14:03)

    Ich schon wieder!
    kannst Du mal schreiben mailen od. dgl. wo Du gerade bist
    Deine Bilder auf Helgas Handy sind ja sehr schön sagen uns aber nichts über den Ort
    Lockeres rollen und Bitte um schöne Bilder
    He und Ha