Nordafrika

 

Neben mir entwickelt der SARS Test, mein Husten und Schnupfen, das Kratzen im Hals und das bisschen fiebrige Gefühl nerven mich. Aber vielleicht hilft der marokkanische Tee und wenn welcher Virus auch immer empfindlich auf hochkonzentrierten Zucker regiert, bin ich morgen gesund. Ich sitze auf der Dachterrasse, das Hostel ist in der Medina in einem gigantischen Labyrinth gelegen. Gegenüber erheben sich die Gipfel des Rif-Gebirges. Ab und zu kreisen ein paar Störche in der Thermik, im Osten erstreckt sich die Stadt Richtung Mittelmeer und ich sehe im Dunst den Strand.

 

Schwer zu glauben, dass das erst mein 4.Tag in Marokko ist – es ist kaum eine Woche her, dass ich ein zweites Mal aus Feldafing aufgebrochen bin. Das erste Mal, Mitte März, mit Tatendrang und in Erwartung all der Freuden des Radelns, die ich von der Seidenstrasse in Erinnerung habe. Eineinhalb Monate später breche ich mit spürbar gemischteren Gefühlen auf. Es ist so schön gewesen, das Haus der Eltern, die Bienen und der Frühling, die Spaziergänge mit dem kleinen Hund Lola. Warum wegfahren, wenn es gerade so entspannt und friedlich ist?

 

Und so ganz verstanden habe ich ja auch noch nicht, warum mir an der Grenze zu Spanien, 3 Tage vor Barcelona auf einem Campingplatz bei Narbonne so die Luft ausgegangen ist. Es waren nicht die Mücken der Carmargue, die sich wie eine Plage aus den elenden Kanälen erhoben haben, sobald der Wind eingeschlafen ist. Es waren auch nicht die kilometerlagen Trailer Parks in denen Frankreich seinen Sommerurlaub verbringt – Sandstrand, ein paar Dünen, alle paar 100m ein Wellenbrecher, am Horizont Hotelburgen, im Landesinneren Vergnügungsparks – jetzt stillgelegt und ein Quell von Tristesse, gratlige Schrottplätze, … all das nicht schön, aber das allein war es auch nicht, natürlich.

 

War es die Beliebigkeit mit der ich durch Südfrankreich gefahren bin? Besichtigen was auf dem Weg liegt, ignorieren, was nur 10 km Umweg bedeutet, aus Unkenntnis, weil ich mir die landschaftlichen und architektonischen Highlights Südfrankreich nicht angesehen habe? War mir die ganze Organisation mit Schlafplätzen zu viel? Wobei das natürlich meine Schuld ist, wenn ich immer die erstbesten oder billigsten Unterkünfte ansteuere? Sete wollte ich gerne sehen, landete dann aber in einem Vorort, nur 2km entfernt vom Stadtkern, so hieß es bei AirBnB, … aber das ist Luftlinie: die kürzeste Verbindung waren 1 Fahrradstunde um die ganze Bucht, durch ein unangenehmes Industriegebiet. So verbringe ich den Abend anstatt in Sete in einem Sozialbau, auf einem kleinen Balkon sitzend, und zwischen Häuserschluchten erahne ich die Lichter von Sete. Für 24€ ist halt mehr auch nicht zu erwarten.

 

Nichts davon ist es, aber in Summe - … und dann hat meine Mama Geburtstag. Den 80. Und das ist natürlich das beste aller Argumente, vielleicht auch nicht der allein ausschlaggebende Grund, aber bestimmt die Hauptmotivation mitten auf der Straße nach Carcassonne umzudrehen und zum Bahnhof von Narbonne zurückzufahren, mich dort den halben Vormittag mit einem Fahrkartenautomaten, der Englisch kann, auseinanderzusetzen, bis ich mir eine Rückreise nach München zusammengestückelt habe. Räder im Zug sind in Frankreich nur bedingt erlaubt, ohne Voranmeldung schwierig und problemlos nur in TER Verbindungen – Bummelzügen möglich. Auf diese Weise schaffe ich es zurück nach Marseille, worüber ich mich freue. Weil Marseilles auf dem Hinweg schon so toll war. Tags darauf nach Lyon und ein zufälliger Flixbus verbringt mich in der Folgenacht nach München. Das ist eine Tour des Force: Im Hostel in Marseille wird gefeiert, dass die Wände wummern und im Stundentakt taumeln Betrunkene ins Bett, brausen sich ungerührt für 20 Minuten den Schweiss aus den Achseln, geben das Mega-Rhino auf dem Klo, spülen 3 mal und schnarchen 2 Minuten später; für mich: erholsames Schlafen geht anders. … Mein Zug allerdings geht bereits um 6:30, um 5 muss ich aufstehen, und um 3 Uhr morgens suche ich entnervt ein Sofa, finde ein versifftes Eck mit ein paar Polstern und schlafe selig und kurz. Der Nachportier etdeckt mich und fragt was los ist. Er ist ein gütiger Engel mit Herz für Radreisende und macht sich auf, um mir ein Frühstück zu kaufen, was für ein unglaublicher netter Zug von ihm  – findet aber nur verpackte Industrie-Hörnchen mit Marmelade, was ihm leid tut, aber bitte: alleine schon in der Früh durch die Straßen zu laufen um einem übermüdeten Radler etwas zum Kauen zu organisieren ist so eine unglaublich freundschaftliche Geste. Die Hörnchen mit Aprikosenmarmelade frühstücken wir zusammen, ich steuere üblen Instant-Cappuccino bei, aber der Moment ist voller menschlicher Wärme und rührend – wir plappern über die Länder, die wir beide bereist haben und dann radel ich durch die dunklen Straßen zum Bahnhof, wo ich mein Rad in den ersten der TER Züge wuchte und erschöpft daneben zusammensacke. Später am Tag habe ich Zeit Lyon zu bewundern, bis mich der Flixbus durch die Nacht und die Schweiz nach München bringt.

 

Der Vollständigkeit halber, und weil es mir so gut gefallen hat: Lyon. Rhone und Saone fliessen da zusammen. Moderne Architektur und gemütliche Altstadt.

 

10 Tage später sitze ich wieder im Flixbus, zurück nach Genua, noch eine Nacht im geliebten Hostello, von wo aus mich tags drauf eine Fähre nach Tangier schippern wird. Dazu braucht sie 56 Stunden, zwei Nächte stampft die MS-Majestic durch das Mittelmeer und stoppt nur einmal in Barcelona – da war ich ja schon fast mal. Deck-Passage im Pullman-Sessel, - Gut beraten ist der, der sich schnell eine ganze 4er-Sitzreihe sichert. Schlecht beraten ist der, der die gesicherte Bank kurz unbeaufsichtigt freigibt. Alternativ draussen? Aber dann stürmt es und regnet, … trotzdem habe ich eine sagenhafte erste Nacht unter den Sternen, der Wind bläst in den Biwaksack und ich mache kein Auge zu, aber das ist egal, weil die Atmosphäre so einmalig ist, der riesige Schornstein und der Rauch, den der Sturm davonträgt, die Lichter, die auf die Bugwellen scheinen und diesen winzigen Fleck auf dem schwarzen Meer ausleuchten, das Stampfen im Rumpf des Schiffs, die Sterne und Wolken.

 

Auf den Stufen, Zwischendecks, in den Gängen, zwischen den Sitzreihen – überall haben sich die reiserfahrenen Marokkaner eingerichtet, die Steckdosen sind besetzt, Kühltaschen brummen, elektrische Kochplatten sind vorsorglich eingestöpselt um am Morgen Tee und Eier zu kochen, riesige Rollen aus Matratzen und Bettzeug sind ausgerollt. Wie kam das alles auf das Schiff? Das sind keine Schlaf-Eckchen, das sind ausgedehnte Lager, und alte Frauen thronen stoisch und aufrecht in dem Chaos, die Männer sind damit beschäftigt die Lage der Welt zu erörtern, oder die Fußball Ergebnisse, oder die unschlagbaren Angebote für gebrauchte Waschmaschinen, Kinderfahrräder oder Edelstahl-Spülen. Die stapeln sich auf den erbarmungslos überladenen Dachträgern der zahllosen Minivans im Schiffsbauch. Ein Mann kühlt über Stunden einen geschwollenen Knöchel inklusive blauem Zeh im Wasserhahn der Toilette, andere beten nach Osten. Die Bar bietet teures Bier und billigen Rotwein. In Kombination genossen führt das zu einer ausreichend positiven Grundstimmung, um das Chaos, die Fussgerüche und die zunehmend angespannte Lage auf der Toilette mit Gleichmut und als authentische Erfahrung wertzuschätzen. Auch ich finde mein Plätzchen und schlafe in der zweiten Nacht zwischen den Oasen der marokkanischen Gemütlichkeit. Während ich einschlafe, beginnt zwei Reihen hinter mir ein alter Mann zu singen – das ist so schön, so fremd und stimmungsvoll.

 

In der Früh stolpere ich auf das Deck, bestelle mir einen Milchkaffee in der Bar und beobachte den Sonnenaufgang in direkter Linie hinter unserer Fahrrinne. Wir fahren also nach Westen, das ist der letzte Schenkel der Überfahrt. Am Abend taucht der Felsen von Gibraltar auf, und Afrika auf der anderen Seite. Grüne Hänge, steile Klippen, das alles ist schon Marokko. Im Schiff haben die Männer ihre Lager abgebrochen, die Kühltaschen und Kochplatten und Töpfe, Matratzen und Bettdecken sind verstaut, vom Chaos der beiden Nächte vorher ist nichts mehr zu sehen.

 

um 2 Uhr bin ich auf der Fähre, Abfahrt 16:30, ... aber es dauert ewig, bis der letzte Truck im Schiffsbauch verschwindet. Küstenlinie bei Tag und bei Nacht - nachts sind wir auf der Höhe von Menton - da bin ich einen Monat vorher mit Stephane Lennane nächtens betrunken auf seinem Boot herumgetorkelt.Die erste Nacht versuche ich draussen zu schlafen - das ist zwar toll und windig aber die nächste bin ich dann brav bei den anderen, eingewickelt in meinem Biwi - so ist der zumindest auch mal ausgerollt worden. Wer Informationen will, in der Mitte anstellen, Autisten links, die über 75 bitte rechts. So stehts da. Dann aber taucht Marokko auf und es geht endlich los 

 

Tangier wird das erste Mal im 5. Jahrhundert BC erwähnt oder ist als ehemaliger phönizischer Handelspunkt noch älter. Die Römer machen es zu einer Regierungsstadt von Mauretania Tingitana, einer ihrer Kolonien. Später kommen die Vandalen, diverse Goten und besetzen, erobern, zerstören alles was mühsam aufgebaut wurde - bis im 8. Jahrhundert im Zuge der Islamisierung Nordafrika und dann auch Spanien von Arabern erobert wird. Man wünscht dieser Stadt, die so wunderbar gelegen ist mit Blick rüber nach Spanien, vom Wind beharrlich gekühlt, von der Sonne großzügigst verwöhnt, mit ausreichend Regen gesegnet, dass die kommenden Jahrhunderte friedvoll waren, besucht von Karawanenladungen Datteln, Nüssen und Feigen und allen rauchend-benebelnden Vergnüglichkeiten, die bis heute die entspannte Atmosphäre tragen. Das wären sagenhafte 6 Jahrhunderte - bis in 2 Anläufen die Portugiesen die Stadt einnahmen, 1470, um sie 200 Jahre später an die Briten abzutreten: Als Hochzeitsgeschenk an Charles 2nd. Da freut es einen richtig, dass sich die Marokkaner das Hochzeitsgeschenk zurückerobern konnten – keine 6 Jahre hatten die Briten die Stadt. Leider ging Tangier dabei komplett kaputt. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts kamen die Europäer wieder und beanspruchten Nordafrika für sich.

 

Während Marokko zwischen den Franzosen und Spaniern aufgeteilt war, bekam irgendwie jedes Land Europas ein Kuchenstück von Tangier: Schweden, Italien, Deutschland, Belgien, Frankreich … sogar die USA bekamen ihren Flecken. 1912 wurde Marokko unabhängig aber erst 1956 wurde Tangier an Marokko zurückgegeben. In dieser Zeit etablierte sich Tangier zu einem Mekka von Künstlern, Unternehmern, Abenteurern, Kriminellen und freiheitlichen Geistern, weltverbessernde und experimentelle Lebensformen praktizierende Spinner, Exilanten, Exzentriker.

 

Als das Interzonen-Dasein 1956 endete, begann eine Phase des Niedergangs, König Hassan II hasste den Schandfleck, drehte den Geldhahn zu und alles was die Möglichkeit hatte den Filz hinter sich zu lassen tat das auch. Erst 1999 begann mit einer großangelegten Investitionskampagne der Wiederaufstieg der Stadt – und wie wunderbar ist das alles geworden. Die Innenstadt wiederaufgebaut, die Medina mit all den so typischen engen Gässchen, Türmen, Tunneln, Bogengängen, weiss getüncht, einigermaßen gepflegt, gemütlichst patiniert. Das Geflecht aus sich windenden Gassen endet immer wieder überraschend auf einem der Plätzchen, wo man im Schatten von Schirmen und Balkonen, Pergolas und Vordächern Tee und Kaffee trinkt. Sobald man von einem dieser Plätze den Weg zu seinem Hotel findet, ist die Gefahr ernsthaft verloren zu gehen überschaubar. Die medina ist umgeben von einer gewaltigen Mauer, oben an den höchsten Stellen der Stadt blickt man herunter auf das Meer, Nachts sieht man die Häfen an der spanischen Küste übers Meer leuchten.   

 

In Sachen Hostel-Wissenschaft bringt das Bayt-Alice neue Anregungen, die wesentlich sind für die Erschaffung des perfekten Traveller-Inns: Die Dachterasse! Dachterassen sind integrale Elemente der Architektur hier in Marokko– über Leitern und Treppchen verfügt das Bayt-Alice über nicht weniger als 5 Ebenen, auf denen sich die Gemeinschaft der Weltreisenden zusammen findet. Es ist etwas sehr Magisches an diesem speziellen Hoste, dass sich auch in dem Miteinander der Hostelgäste manifestiert. Alle mögen sich, irgendeiner findet sich immer, um eine Wanderung, einen Besuch im Hamam, oder des nächsten Kaffees, ein gemeinsames Abendessen anzuregen oder zu begleiten. Ansonsten sitzt eine lose gewürfelte Gruppe zusammen auf den Bänken und Liegen und Hängematten und bastelt granatöse Joints, die in unausgesprochenem Einvernehmen die Runde machen. Irgendeine Droge brauchts, offensichtlich, und Bier gibt es keins. Mir wäre ein Bier lieber, und auf Kiffen habe ich keine Lust, weil ich einen klaren Kopf will für die nächsten Tage und noch viel zu organisieren habe bis ich losradel. 3 Nächte bin ich da und als so langsam diese unglaublich nette und verschworene Gruppe auseinanderfällt bin ich wehmütig. Mit ein paar wenigen bleibe ich für die nächsten Tage verbunden. Lola arbeitet im Hostel und Henry ist mit dem Rad unterwegs – hat Marokko bereist und wird bald nach Spanien weiterfahren. Josh ist ein quirliger Junge aus Boulder der auf der Suche nach der perfekten Strassenmusik durch Marokko reist. Am Tag 4, morgens radel ich von Tangier nach Tetouan.

 

Tangier Medina - Dachterassen, Mini-Läden, kleines und großes Elend - wunderbare Unordnung - Blumen und Gassen und Treppchen. Kasbah, nächtliches Herunstreunern auf den Strassen die sich spät leeren - dafür morgens lange still bleiben. Versuch da mal um 9 einen Kaffee zu bekommen...

Überraschend viele Blumen und sogar einen Nashornkäfer - Esel, lange Anstiege. Lange Abfahrten. Das Rifgebirge ist ein Gebirge.

 

Es ist absolut sinnlos zu versuchen, die Landschaften, die Berge, die Blumen und Felder, das Licht und die Farben zu beschreiben und auch alle Fotos sind immer nur 2-D Reduktionen. … aber immer noch besser als hier in Superlativen zu schwärmen: Niemals mehr Blumen, nirgendwo mehr Farben, überall die Hänge, die kleinräumige Landwirtschaft, die langsam schroff und imposant wachsennde Berge Richtung Süden, die grünen grünen grünen Täler, der rotbraune Boden, die Felder weit weg, der Wind, der über die Oliven-Haine streicht, mal schiebt, mal ins Gesicht bläst, die Sonne, so intensiv und das Licht so hell. Esel, Ziegen, Schafe – der Flickenteppich von Feldern zieht sich die Berge hoch – bis ganz oben finden sich Dörfer. Einsame Straßen, unbarmherzig steil führen in diese unwegsame Wildnis – da oben bauen sie unser Dope an. Weltmarktführer. Es hilft nix: Die Bilder müssen es tun.

 

 

Tetouan atmet eine andere Atmosphäre: Ausländische Touristen sind hier selten und das Straßenbild ist spürbar konservativer. Die Medina ist riesig, Weltkulturerbe, andalusisch geprägt,  - Tetouan ist auch gar nicht so klein. 600.000 Menschen leben in der Metropole zwischen den  Ausläufern des Rif-Gebirges. Von der Dachterasse meines Hostels sehe ich auf die Berge, Gipfel und Hänge im Süden, nach Osten sieht man schon das Mittelmeer. Die Römer haben hier auch schon gesiedelt und ein paar Ruinen hinterlassen.

 

So wie ich das verstanden habe, ist Tetouan ein religiöses Zentrum, Ausländer waren lange Zeit nichtmal geduldet. So ein bisschen werde ich das Gefühl auch nicht los, dass man nicht so ganz 100% willkommen ist – aber dafür ist die Medina riesig; und man sagt ja gerne, geh rein und verirre Dich – hier gelingt das. Die Gänge dunkel und feucht, es stinkt nach Fischabfällen, Schimmel und Hühnerschiss. In den finsterste Winkeln stapeln sich die Käfige und in kleinen Gehegen sind die armen Tiere zusammengepfercht – vorne wird geschlachtet und gerupft. Schafe, Ziegen, gehäutet – ausgeweidet, unter einer summenden Schicht von Fliegen, …. Die Schreiner haben ihre Gassen, die Kaffehändler, die Jelaba Schneider und die Wollspinner, die Kräuter und Gewürzhändler – dazwischen: Teehäuser, eingezwängt zwischen den kleinen Läden mit Krimskrams, Lebensmitteln,  - es geht vielleicht aufgeräumter und organisierter, aber authentisch ist das hier. Ich hab endlich die Gelegenheit in aller Ruhe in die Läden herein zu photographieren. Die Händler für Pfeifen und Pfeifenköpfe, Kofferhändler, … so sitze ich bei den Teehändlern und esse hartgekochte Eier, nur um dann zu fragen, ob ich ihn, den Händler in Action photographieren darf. Nach in paar Stunden reicht es und ich würde mir gerne meinen Weg aus dem Labyrinth heraus suchen – aber ich laufe im Kreis, wieder und wieder laufe ich in die Hände der teppichmenschen, denen ich mit der Ausrede nach hause zu müssen entkommen bin, wieder und wieder lande ich in der Hühnerhölle und ärgere mich über die Fühllosigkeit mit denen Tiere behandelt werden, dieser Fischgestank, irgendwo ist auch eine Gerberei, die Katzen streichen hier um die Bottiche mit Tierheuten, es ist ein olfaktorischer Supergau, … 8 Tore öffnen die Medina zu der Reststadt, gemauerte Torbögen, irgendeinen dieser blöden Tore werde ich doch finden – aber nix da: das Labyrinth hat mich und lässt mich nicht aus: wieder die selbe Gasse, in beide Richtungen bin ich diesen Weg schon abgelaufen und immer wieder ende ich an einem Eck, das mir schon bekannt erscheint, aber aus welcher Richtung kam ich da? Die Händler lachen schon, wenn ich an ihnen vorbei haste, …. Es ist dann am Ende Zufall, dass ich auf einmal vor dem Hostel stehe, verschwitzt und erleichtert, Dusche und Tee, Blick von der Dachterrasse auf die Weite der Berge. Morgen geht es weiter.

 

Heiliges Tetouan, reserviert und untouristisch, in den Bergen, riesenhafte Medina, und der Versuch Menschen zu photographieren. Man sieht das Meer.

ich fahr sogar andsMeer - und hier nicht gezeigt: Ich bade im Meer und es ist einigermaßen kalt. Aber meine Coronaängste lassen nach. Dann kann man auch im Meer rumtoben.

 

Der Hals kratzt, ich huste und schnupfe – Kopfweh. Ich habe wirklich aufgepasst, aber wenn einer auf der Fähre in all der ungelüfteten Gemütlichkeit der Deckpassage Covid hatte, dann hat das jetzt jeder. Aber der Test sagt negativ! Aber was sagt des schon. Morgen sind es 1300 Meter nach oben, es wird brutal heiß. Aber ich freu mich, dass es weitergeht. Abends kaufe ich noch Tabletten gegen Halsweh und ein Spray für die Nase.

 

Chefchoaouen liegt mitten im Rifgebirge – die Stadt ist inzwischen eine feste Größe in der Routenplanung der Touristen – die blaue Medina! Die Stadt ist nicht mal besonders alt: Irgendein Berberkönig hat sie gegründet, damit von da aus die wilden Berberstämme Angriffe gegen die verhassten portugiesischen Besatzer reiten konnten. Chefchaouen bedeutet: „Schau die Gipfel!“ Das ist nicht zuviel versprochen. Die Stadt selber liegt schon angenehm hoch und jetzt, da die Hitze wirklich spürbar zugenommen hat ist es angenehm, dass die Nächte kalt werden. Berühmt unter den Touristen ist die Medina, die in 1000 und 1er Schattierung von blau angemalt ist – das wirkt unglaublich verzaubert. Das soll zurückgehen auf Juden, die hier gelebt haben sollen, deren Farbe das blau war, das kulturhistorisch auszudeuten überlasse ich den Experten auf dem Gebiet religionswissenschaftlicher Farbenlehre – richtiger aber ist wohl, dass seit den 70er Jahren immer mehr Hotelbesitzer angefangen haben die Gassen blau auzupinseln um sich von anderen Orten abzuheben und so ganz und gar künstlich ein Alleinstellungsmerkmal zu erschaffen. Marketing Superhero-mässig hat das eingeschlagen. Inzwischen ist jedes Haus blau, die Gassen - die Torbögen. Auf dem Riedhof haben sie die Grabplatten angepinselt. Blau ist durchaus traditionell hier. Findet man in Tetouan und Tangeri auch vereinzelt. Aber eine ganze Medina hat nochmal eine andere Wirkung. Und am Ende ist es ja auch egal, wer das erfunden hat, wer damit reich wird. Es ist tatsächlich schön. Das Hostel ist  - blau und am Ende einer blauen Gasse, die in einem blauen Tunnel endet – dort öffnet sich eine blaue Tür, die so alt ist, dass sie die Portugiesen noch gesehen haben muss. Garten, Innenhof, Dachterassen – eine Oase kühler Behaglichkeit und ich treffe Josh wieder, der aber schon weiter fährt, nach Fez, getrieben von der Suche nach der authentischsten Strassen-Life musik. Und ich treffe Lola wieder und Henry. Einen Tag wandern wir durch eine Schlucht zu einem Wasserfall.

 

der Weg nach Chefchaouen - blumig, erbarmungslos heiss - 38°C, aber windig, und zum Glück gehts rauf, ... ebenfalls erbarmungslos. Dan treffe ich marokkanische Radler - großes Hallo und unbeholfenes Selfie

Chefchaouen - viel blau, ....

 

Der Wasserfall ist angepriesen als das absolute Weltwunder: Schön, spektakulär, Wasser, kühle, imposante Berge, grüne wilde Wälder, Felsen und wieder und wieder tiefdunkle Gumpen mit klarsten eiskalten Bergquellwasser. Und Affen – Berberaffen! Also nehmen wir zusammen ein Taxi – die Fahrt zum Eingang dieser Schlucht haben sich die Taxler der Stadt aufgeteilt – für 150 Drham – 15 Euro, fährt ein Taxi – 7 Leute passen rein – kostet also wenig, aber es dauert, bis wir einen Fahrer finden – nach 40 Minuten im Auto kommen wir an einen Parkplatz von gewaltigen Abmessungen, inklusive Vergnügungsmeile, dichter Rauch steigt auf – es wird gegrillt und 1000 Tontöpfe mit Fleisch stehen in der Glut. Tajine für die Massen. In einem endlosen Gänsemarsch schiebt sich die M enge in den Taleingang – wildentschlossen sich zu vergnügen. Die Knaben tragen Taschen mit Lebensmitteln, die älteren haben neben einer jungen Frau noch einen Ghetto-Blaster auf der Schulter – so lässt sich das Liebchen leichter betören – wunderbar lyrisch schmalzt es arabisch aus den Lautsprechern. Der Weg ist gut ausgebaut, der Bach alle 20 Meter zu einem kleinen Tech aufgestaut, darin sich Plastikstühle befinde, so kann man Tajine essen und die Füße kühlen, während auf der Ameisenstraße die Touristen tiefer ins Tal drängen. Neben den aufgestauten Tümpeln sind Betonstühle und Tische, Hütten und Lagerfeuer, Grills und Öfen – Eine Stunde laufen wir als Teil einer Gruppe an einer nicht enden wollenden Abfolge von Grillstationen vorbei – dann hat man einen kleineren Wasserfall angelegt, darunter schwimmen die Stenze und springen in die Gumpe. Dass sich hier die Affen nicht dazu gesellen, ist wenig überraschend. Bis dahin habe ich alle 3 Minuten überlegt, ob ich nicht besser umdrehen sollte – das ist so ein dummes Elend, so eine indiskutable Touristenfalle. Und das Wasser - … bitte: Wohin gehen denn die ganzen Schaschliks und Tajines? In die Ringkanalisation? …. Nope. Das ach so kühle Wasser, klar und quellfrisch, … mein Arsch – der kühle Quell ist eine verdammte Kloake. Da mag baden wer will, ich halt da noch nichtmal meinen Fuss rein. Am ersten Wasserfall herrscht buntes Treiben – die Knaben-Jugend beeindruckt die Frauen mit spektakulären Köppern von Tümpelrand in das Belebtschlammbecken. Klärstufe 1!

 

 Aber von da ab wird es besser. Und es kommen immer mehr Menschen entgegen, die Besucher, die wir überholen werden seltener. Nur ab und zu stürmen ein paar Jugendliche an uns vorbei. Nach guten 2 Stunden sind wir an dem Wasserfall. Und es ist so sagenhaft, da ist eine Grotte ausgespült, das Wasser läuft an einem gigantischen Tropfstein entlang, der wir ein versteinerter Vorhang über 30 Meter herunterhängt. Teilweise ab- und aufgebrochen sieht man in die dahinterliegenden Höhlen, Vögel fliegen aus und ein – es ist Dschungel und Urwald und Farne und Moose tropfen, unten fällt das Wasser in eine Gumpe – und man kann schwimmen – seit einer Stunde habe ich kein Lagerfeuer mehr gesehen, ein paar versprengte Wanderer sitzen auf Steinen … hier oben ist eine letzte kleine Hütte mit dem letzten Aufgebot der marokkanischen Küche.

 

Im einsetzenden Abendlich geht es zurück, jetzt steht die Sonne tief und wir sind so alleine, das Licht und das Grün, die Kontraste, das Rot der Felsen, … in den Lichtungen ist eine Ruhe, dass man das Gluckern des Baches hört, in den Zweigen knackt es, ein paar Vögel springen von Ast zu Ast, die Äste biegen sich unter der Last der Vögel, es macht richtig Lärm – das müssen ein paar echt großkalibrige Vögel sein, die hier zu Besuch gelandet sind. Aber - es sind keine Vögel sondern die Affen, die ich schon ganz vergessen hatte. Lauter kleine Affen, und weiter unten im Bachbett machen es sich 3 alte und ausgewachene Tiere gemütlich. Ich bin ganz ehrfürchtig. Es ist schon wirklich sagenhaft – sinnlos das zu beschreiben – es ist das Licht, die Farben sind intensiver, so viele Schattierungen von Grün – ich glaube nicht, dass wir sowas aus Mitteleuropa kennen. Plötzlich ist das ein absolut perfekter Moment. Der damit endet, dass sich die 3 alten Tiere gemütlich erheben und über den Bach ins Dickicht verschwinden, mit Ihnen die lärmende Horde von Tieren, die oben in den Ästen toben und langsam aus unserem Sichtfeld verschwinden – dann wieder: Stille, der Bach, die Farben und das Rauschen des Windes in den krummen Kiefern, Eichen, Oleandern.

 

es war so viel schöner - vermutlich müsste ich jetzt noch big time Bildbearbeitung starten, das Grün nasser machen, die Kontraste stärker, die Berge plastischer. Und natürlich fehlt der Wind, das Rauschen der Blätter, die Waldgeräusche, die Gerüche, das Bachplätschern

 

Und dann noch ein Tag – ein Ausflug in die Berge hinter Chefchaouen. Wandern könnte man hier ewig – in den Bergen gibt es Quellen, Berberdörfer, die oben ihre Marihuana Plantagen unterhalten … aber 3 Tage sind irgendwie auch genug, obwohl der Ort so tranquillo ist. Und als nächstes kommt Fes – maximal un-tranquillo. Ein paar letzte Eindrücke bevor es tags drauf etwas belebter wird.

 

Blicke zurück auf das Bergdorf - gemeinsam mit Henry und Lola - mit denen ich hier eine sagenhaft schöne Zeit verbringe und mit denen ich ein paar Stionen reise. Ebenfalls sagenhaft: Mohn im Abendlicht. Sollten die beiden mal heiraten - das Photo für die Einladung zum Fest haben sie schon.

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Kommentare: 1
  • #1

    Lips (Dienstag, 17 Mai 2022 16:42)

    Viele tolle Fotos, Stef.
    Aber die blühenden Blumenwiesen sind einfach unglaublich!