Vom Delfin träumen und den Molch geben.

 

Chefchaouen nach Fes

 

Auf der Landkarte nehmen sich Distanzen gerne bezwingbar aus – so kann man sich problemlos eine attraktive Route zwischen Chefchaouen und Fes mit diversen Navigations-Programmen planen lassen. 120 km bis in ein kleines Nest an einem Stausee, von da aus nochmal 100km bis nach Fes. Aber dann klettern die Temperaturen täglich ein bisschen und es werden 40°C erwartet in der Ebene zwischen dem Rif-Gebirge und dem Atlas. Und bis runter nach Essaouira sind es 100te  von Kilometern.

 

Es gibt immer 1000 Gründe nicht zu radeln und die meisten sind schlecht, … faul und ängstlich, zu bequem … und sobald ich Bus sitze, das Rad und die Taschen im Bauch des Busses verstaut geht’s mir genauso: Draußen ziehen die Berge des Rifgebirges vorbei und ich erinnere mich an die schönen Tourenabschnitte auf dem Weg nach Chefchaouen. Die Berge bleiben grün, immer neue Gipfel tauchen auf, während auf dem Display neben der Uhrzeit angezeigten Außentemperaturen langsam steigen. Es ist noch nicht mal 11 Uhr morgens und das Thermometer klettert Richtung 35°C. Dann führt die Straße in ein paar malerischen Bögen aus den Bergen mit ihren Olivenhainen und kleinteiligen Feldern und Mäuerchen und die Herrlichkeit ist erstmal zu Ende. Stattdessen flirrende Hitze über verbrannter Erde. Wie es in diesen Bedingungen auch nur ein Grashalm schafft der staubigen Krume sein Leben abzutrotzen, weiß der Herr, aber der Blick auf das Außenthermometer lässt mich Frieden schließen mit meiner Entscheidung, hier auf einer der Bänke im Deluxe-Bus des Premium Anbieters CTM für ein paar Dirham nach Fes zu reisen. Später, da sind es nur noch knapp 100km nach Fes, aber bereits 3 Uhr nachmittags überholt der Bus zwei Radreisende. Gebeugt hinter ihre Lenker kämpfen sie sich die leichte Steigung gegen den Wind Richtung Fes – das sie wohl an diesem Tag nicht mehr erreichen werden.

 

Das wären sie vielleicht gewesen – die Fahrradreisenden, die ich hier suche, aber nicht finde, die Bikepacker, denen ich mich gerne anschließen würde, weil ich schon so lange alleine unterwegs bin und alles soviel leichter ist, wenn zumindest zu zweit.

 

Hier also überhole ich die ersten Radler, bepackt wie ich auch, aber tapferer, weniger kleinmütig, weniger sorgenvoll und bequem. Und wer weiß ob es die letzten sein werden. Gleichzeitig schaut das auch nicht wirklich Vergnügungssteuer-pflichtig aus und ich verdränge die unzufriedenen Gedanken. Eine Stunde später sind wir – Lola und ich – in Fes, mit dem Rad zumindest gelange ich vom CTM Busbahnhof an das blaue Tor, das die Medina von der neuen Stadt trennt.

 

Vor Fes wird gewarnt: Von Marokkanern.  Und Touristen und Reisenden – die allerdings warnen auch vor Marrakesch. Die Marokkaner warnen vor Kriminalität, die Touristen vor den Auswüchsen der Vermarktung des kulturellen Erbes des Landes: Berberteppiche, Gewürze, Lederwaren, gegerbt und gefärbt, Laternen und Töpferwaren, hier vor allem Tajinen – die allgegenwärtigen Tonpfannen mit getöpferten kegelförmigen Deckeln, die man einfach ins Feuer stellt, nachdem Diverses an Fleisch und Zwiebeln mit Gewürzen in der Tajine aufgestapelt wurde. Das ganze wird in die Glut gestellt, eine halbe Stunde später hat man Eintopf, moroc-style.

 

Medina in Fes. Größte autofreie Innenstadt. Es ist dies nur der älteste Stadtteil und das  alleine ist groß genug um in 3 Tagen nicht einmal außerhalb der historischen Stadtmauern auf Erkundungstour zu gehen.

 

Fes

 

Eine der 4 Königsstädte, neben Marrakesch, Meknes und Rabat. Fes gilt als kulturelle Hauptstadt Marokkos. Gegründet im 8. Jahrhundert wuchs die Stadt rasch – auch begünstigt von den sprudelnden Quellen und den fruchtbaren Böden. So gab es genug Rohstoffe für die grundlegenden Handwerke: Landwirtschaft, Holz und ausreichend Ton für die Herstellung von Tajinen. Im 9. Jh. stiftet die Tochter eines reichen Kaufmanns die erste religiöse Universität – und wenn ich als Frau in einem muslimischen Land mein Geld investieren wollte, dann vermutlich nicht in die Gründung von Koran -Schulen – aber die Uni gibt es bis heute. Fatima hieß die Dame, Fatima el Firyah, die Qarawiyin Universität ist einer der ältesten kontinuierlich genutzten Bildungseinrichtungen.

 

Außerdem etablierte sich Fes bald als wichtiger Kreuzungspunkt von Karawanenwegen zwischen dem Atlantik und den Oasenstädten im Osten und den Handelsstraßen, die aus Schwarzafrika in den Norden führten. Auch Juden siedeln hier – keine Stadt ohne ein historisches Judenviertel. Das erste Pogrom dann im 11. Jhd., dann werden die Juden umgesiedelt in die Nähe des Palastes, einem Ghetto, aber immerhin unter dem Schutz des Sultans. Eine Neustadt wird 1200 hochgezogen, Fes el Jedid, das neue Fes, neben Fes el Bali, dem alten Fes. 1400 erlebt Fes einen kulturellen Aufschwung und der Handel zwischen Fes und dem europäischen Süden blüht. So reich, wie die Stadt ist beginnen sich Stämme und Dynastien um Fes zu bekriegen, mit Zerstörung und Wiederaufbau. Bis 1800 wird Fes 10 ml von der Pest heimgesucht und wer nicht an der Pest stirbt, der verhungert, weil alles zusammenbricht – auch die Reichen werden nicht verschont. Fes war immer mal wieder Hauptstadt – neben Meknes und heute Rabat. Der König aber erhielt seine Palastanlagen auch in Fes und bis heute residiert er zeitweise in seinem Schloss.

 

Die Altstadt in Fes heute, die Medina mit Stadtmauern und berühmten Toren ist die weltweit größte autofreie Innenstadt mit weit über 100.000 Einwohnern. Mit dem Auto kommt man auch nicht weit – ein paar Mopeds dübeln durch die Gassen, ansonsten sind es Handkarren und Esel, die den Waren-Transport bewerkstelligen. So ist Fes fast ein bisschen modern.

 

Hotels und wirklich günstige Hostels haben sich in den Riads eingerichtet – das sind ehemalige Paläste und Villen der Reichen und Adeligen. Um einen Innenhof gebaut, in dem Orangenbäume wachsen und Brunnen sprudeln, manchmal ein kleiner Pool die Mittagshitze erträglich macht. „What?“, denke ich mir, wenn ich so ein Hostel betrete – da darf ich wohnen, 10 Euro mit Frühstück? Und Dachterrasse? Und WiFi … Diese Stadtvillen, die meisten sind historisch machen das Hostel-Leben unglaublich atmosphärisch. Fes ist quirlig und die Bewohner der Innenstadt haben sich dem Geschäft mit den Touristen verschrieben: Komplettes Programm: Berber Teppich, Gewürze, Lederwaren, Jelabas, das klassische Kleidungsstück für den traditionellen Mann, sieht aus wie diese Umkleide-Zelte, unter denen wir uns am Baggersee die Badehosen anziehen. Gewürzseifen, Töpferwaren, Schmuck und Schmiedeeisernes, Teppiche und mehr Teppiche. „Wellcome wellcome Sir – please come in and have Ment Tea - … only look Sir!“ As if.  „Only look“ ist so glaubwürdig wie das Heils-Versprechen von Sektenführern. Ohne Teppich oder handfesten Diskussionen kommst du aus so einem Laden nicht raus. So statte ich mich, widerwillig, mit einer kleinen Gefechtshärte aus. Ignorieren und Abwinken. Was soll ich auch kaufen – alles was ich kaufe muss ich mitschleppen und nichts will ich zusätzlich in meinen Taschen verstauen müssen. Der Rauch von 1000 Grills und 10.000 Kebab Spießen weht durch die Gassen, die Hühnerkäfige, Schlachtereien, ich sehe Kamelköpfe am Haken hängen und der Laden daneben bewirbt Camel Burger. Ich beschließe nur in Läden zu gehen, die mich ignorieren und entdecke einen Schmalznudelbäcker. Daneben gibt es einen Sandwich Menschen, der unter Weglassung von Köfte, Kebeb und Schawarma eine vegetarische Semmel zusammenstellt. Meine Fes Diät. Sobald man aber die Straßen verlassen hat und in den Innenhof des Hostels betreten hat, umfängt einen behagliche Ruhe, man ruht sich aus auf den Polstern, die in den Winkeln ausliegen, setzt sich an einen kleinen Bistro-Tisch und verpasst sich einen Minz-Tee, der wie Sirup im Hals klebt, vor lauter Zucker. Zuckerwürfel haben hier die Dimension von Schuhkartons.

 

Noch eine Medina, zu groß um sie an 3 Tagen abzulaufen, aber man findet leicht die Gerberei – weltberühmt. Hier wird mit der Hand und traditionell gegerbt – einfach der Nase nach. Das Viertel stinkt nach Tod, die engen Gassen werden durchzogen von einem Pesthauch, je näher man dem Quell dieser Verwesungsgerüche kommt, desto mehr Straßenhändler bieten Minze an – die man sich in die Nase schiebt, das hilft. In den Häusern um die Becken der Gerbereien und Färbereien sind die Lederhändler ansässig, die den Blick auf die vielfarbigen Becken versprechen, und den Besuch mit einem auffordernden Verkaufsgespräch begleiten. Widersprechen ist schwer, weil die Nase vollgestopft ist mit zusammengeknäulten Minzblättern. Ich schau gebannt auf die Männer, die hier mit bloßen Füssen und Armen in den Becken herumschaufeln, mit Messern Tierheute abschaben, Leder gegen Steine schlagen, Waschen, Färben - … das alles sei nicht giftig – alles „natural“ – Taubenscheisse, Kalk und Wasser, … und Naturfarben. Dazwischen taumeln Katzen wie betrunken durch die giftige Atmosphäre, so muss es auf der Urwelt gerochen haben, bevor uns die lieben Pflanzen mit Sauerstoff beschenkt haben. Ammoniak, Schwefel und Kadavergeruch. Aber ja – das ist schon auch toll, schaut großartig aus und so mache ich all die Photos die täglich Hunderte von anderen Touristen machen. Es dauert Stunden, bis einen der Geruch wieder loslässt.

 

mehr oder minder kunstvoller Besatz am Jelaba - dem vorherrschenden traditionellen Herren Gewand. Hat etwas Nachthemdiges, so als dünner Überwurf. Im Norden gibts das aus Wolle und es ist sagenhaftes Kleidungststück. Wenn man aussehen will wie Gimli, der Zwerg. Brillenauslage, Katzenauslage - Handwerk divers. Und Gerberei im Speziellen

 

Volubilis

 

Zwischen Fes und Meknes, etwas nördlich an den Ausläufer eines Bergrückens liegt die Ausgrabungsstätte Volubilis. Gegründet hat das Juba der Zweite, kurz vor Christi Geburt. Ganz interessant: Juba II ist der Sohn von Juba I und der wiederum hat gegen Julius Cäsar Krieg geführt, verloren und sich dann lieber mal schnell das Leben genommen. Sein Sohn wurde eingesackt und im Triumphzug Cäsars in Rom mitgeführt, und so wuchs Juba der Zweite in Rom auf, bekam später Bürgerrechte und eine anständige Erziehung und Ausbildung – als junger Erwachsener; dann durfte er zurück nach Mauretania Tignitana – Tignis – heutiges Tangier; Provinz des römischen Reiches und Juba II wurde der König von Mauretanien. Und der liess dann Volubilis erbauen. Die Stadt wurde schnell reich: Olivenöl, Getreide, wilde Tiere, Löwen und Bären, Leoparden, Elefanten für die Arena in Rom. Die Straße nach Tignis bildete die Hauptachse der Stadt. Bis zu 10.000 Menschen lebten dort, der Reichtum damals ist heute noch augenscheinlich. In vielen der Häuser, deren Grundriss und Böden freigelegt wurden sind aufwendige Mosaike erhalten. Und das alles liegt da so entspannt in der Gegend rum. Es gibt ein Zugangstor, einen staubigen Parkplatz für die wenigen Besucherbusse und eine Kasse, ein paar gelangweilte Aufpasser, die zwischen den Steintrümmern rumlungern und sich aus Kissen und ausgedienten Klamotten schattige Lagerstätten eingerichtet haben. Es lebt in den Ruinen!

 

Das ist bestimmt alles eindrucksvoll und historisch interessant – aber am eindringlichsten finde ich die Einbindung in die Landschaft, das Fehlen von Zäunen – wer will, kann über die Mosaike rüberspazieren, … ja, irgendwann geht das dann auch kaputt. Aber es ist kein Museum, es ist Ausgrabungsstätte – ein marokkanischer selbsternannter Führer und Kenner des Ortes erklärt, das erst die Hälfte ausgegraben ist – viel liegt noch unter den Äckern. Ich sehe ein Chamäleon an einem Baumstamm herumwackeln. Dann setze ich mich auf einen historischen Stein und schalte für 30 Minuten die Kamera aus und versuche mir das alles einzuprägen, die Blumen und die Bögen der Agora, die schnurgerade gezogen Via Tignis bis zu den Bögen des alten Stadttors, die wenigen erhaltenen Mauern, die Stufen, Triumphbögen, der Himmel, das Zirpen, ….

 

und so steht das in der Gegend rum, keine Beschriftung, keine Zäune. Kaum Menschen. Ewig könnte man zwischen Steinen rumturnen und wieder und wieder ein Mosaik entdecken.

das wohnte da - krasses Chamäleon.

 

El Jadida

 

Nach 3 Tagen will ich weiter, weg aus Fes, und mein Rad muss noch zwei Etappen Bus fahren. Die erste führt von Fes nach El Jadida. Kritiklose Reiseführer erwähnen lobend die portugiesische Hafenanlage. El Jadida allerdings verdient keine Erwähnung in egal welchem Reiseführer. Es gibt aber eine Vielzahl überraschend teurer Unterkünfte: 300€ pro Nacht? Das bleibt rätselhaft. El Jadida ist ein Nest. Und zwar ein armseliges. Nachdem ich für 10€ in einem historischen Palast geschlafen habe, 100 für egal was? Hallo? Billig und einigermaßen gut bewertet ist eine kleine Unterkunft in eben diesem portugisischen Viertel. Massimo aus Italien ist so um die 60 und irgendwann hat es ihn hier hin verschlagen – er betreibt dieses Hotelchen. Ein feuchtes zugiges Haus, in einem heruntergekommenen toten Ende einer Nebengasse. Die nackte Birne wirft blaues Licht auf die Stockflecken an der Wand, die Bettdecken sind klamm, das Meer ist keine 100 Meter entfernt, Köter lungern auf der Straße. Auch hier gibt es die obligatorische Dachterrasse, von oben betrachtet sieht man das Elend in seiner Umfänglichkeit – die Häuser verfallen, vor den Toren des portugisischen Viertels lebt es sich besser und moderner in hässlichen Neubauten. Dazwischen Markt und Garküchen, Gehupe und 100 kleine Kaffees, die Minz-Tee und Zuckerquader anbieten. Schneidezähne, die mehr sind als ein brauner Stumpf, sind in Marokko eher die Ausnahme.

 

Abends hören wir Strassenmusik und da findet auf dem Plätzchen neben unserer Unterkunft ein Ritual statt. Ein junger Mann trägt eine bestickte Mütze und einen feierliche Jalaba, er sitzt im Rauch eines kleinen Eimers mit Glut und Kohle auf einem Teppich, um ihn herum machen Musiker mit Trommeln und Tröten einen ohrenbetäubenden Lärm. Aber schon auch ziemlich kultig. Ausgefuchster Rhythmus – ziemlich unausgefuchste Melodie. Aber das hat schon Energie und Dezibel. Daneben spielen die Kinder Fussball, zwischendrin steht der Mann auf und vertritt sich die Beine, dann hockt er sich wieder auf seinen Teppich. Die wenigen Bewohner stehen herum und schauen sich das Spektakel an. Die alten Frauen sitzen in den Haustüren. Ein bisschen authentisches Straßenleben.

 

Was hat Massimo, Massimo aus Italien, nach El Jadida verschlagen? Ein touristische Fehleinschätzung? Dachte er irgendwann kämen hier die Touris hin, wenn mehr und mehr der Küste erschlossen wird? Aber hier macht der Tourismus einen Bogen. Lola fragt ihn, Lola meine junge Reisebegleitung, aller Sprachen mächtig, so auch Italienisch – und Massimo sagt: Steuern: Steuern Steuern, Steuern – egal was man in Italien macht, man zahlt Steuern, so rentiert sich das Leben nicht. Ob sich das Leben in El Jadida so rentiert, ist eine andere Frage. Abends liegt er auf dem Sofa und auf dem Fernseher läuft ein Mitschnitt eines Life Concerts von Led Zeppelin. Vermutlich von einer VHS Kassette. Und durch das Haus weht ein Nebel von Dope-Gerüchen. Der Joint, den sich Massimo da oben reinlässt, hat es in sich. Am nächsten Morgen bekommen wir das Frühstück von einer jüngeren Marokkanerin – sie macht und Kaffee und es gibt ein bisschen Honig und ein Ei und ein paar Baguettes vom Vortag. Eine Tochter wuselt herum, die sehr nach Massimo aussieht. Mein Gott, Massimo: Steuern! Das ist schon eine andere Geschichte, als nur Steuern. Hoffentlich war das keine komplette Sackgasse, dieses Leben, Aussteigen und Kiffen, weil es cool und billig war, damals als er noch jung war.

 

Verfall seitdem die Portugiesen weg sind. Meknes - eine Stadt im Landesinneren, eine der Königstädte, neben Fes und Marrakesch und Rabat, ist eine einzige Baustelle - da wird die gesamte Medina renoviert. In 5 Jahren bestimmt toll anzusehen. Ob sich in El Jadida jemand die Mühe macht?

 

Essaouira

 

Wenn der Tourismus um El Jadida eine Bogen macht, dann kommt er in Essaouira machtvoll zurück. Das Land schiebt sich hier ein bisschen in den Atlantik und der Wind pfeift ums Eck – an fast jedem tag im Jahr herrschen hier Windgeschwindigkeiten, dass der Sand an die Wadeln nadelt und die Klamotten von der Leine fliegen. Flacher Sandstrand – optimale Bedingungen um dem hochgradig coolen Trendsport des Kite Surfens nachzugehen – bzw hier die Kunst zu erlernen. Für mich die zweite Gelegenheit, nachdem mir Gülnaz großzügigst einen Kurs am Dars im Norden Deutschlands geschenkt hat. Hier allerdings weht der Wind weder beständig noch stark. Sondern selten, schwach und aus der falschen Richtung, mit dem Erfolg, dass man am Dars zwar gemütlich Rad fährt, aber über ein paar läppische Versuche nicht herauskommt. Dass ich somit an sich Vorkenntnisse habe verschweige ich meiner Kite-Schule, die sollen lieber davon ausgehen, dass ich blutigster Anfänger bin. Rückblickend ein schlauer Zug. Und so leicht ist das nicht.

 

Es gibt zwei Sorten von Kite-Surfern. Die einen können es. Wie Delphine auf Speed pfeilen sie über die Wellen, es hebt sie aus dem Wasser, artistische Einlage, Sprünge über viel Meter, hoch und weit. Dann landen sie federnd und schnellen weiter, wie Schwertfische. Das alles sieht aus wie jenseits von Schwerkraft.

 

Dann gibt’s die anderen. Sie treiben wie Froschlaich im Wasser, über ihnen tobt der Schirm, ab und zu rupft es den Armseligen unkontrolliert über das Brett, dann geht Schirm und Schüler krachend ins Wasser. Später schleppen sie sich wie ertrunkene Molche aus der Brandung. So fängt man an – aber dort will man hin – zu den Delfinen und Schwertfischen.

 

Wenn anständig Wind weht reicht dem Anfängerein Kite mit 6 bis 7qm. Der ist an 4 Leinen über einen Steuerbügel über 2 Achsen zu lenken – links rechts und über den Anstellwinkel noch vorne und hinten. Direkt über einem ist die Angriffsfläche des Windes minimal, da erzeugt der Schirm ein bisschen Auftrieb, zieht man den Schirm nach unten entwickeln diese 7 qm einen brutalen Zug. Da rupft es Dich sauber aus den Latschen und so schnell schaust Du nicht, da bist du gehüpft wie Spider-man oder würdelos über den Sand geschleift. Wie Worm-Man. Und es ist auch nicht so, dass diese Schirme immer so genau das machen was man will, stattdessen, torkeln die da 20 Meter über einem, und wehe du schaust mal eine Sekunde nicht auf das Segel, zack ist es irgendwo hingezappelt und kaum will man den Schirm retten, marschiert er in das was man „power Zone“ nennt – und dann gewinnt der Schirm. Das alles findet zunächst an Land statt. Und noch stelle ich mich gut an. Blöd werde ich sein und gestehen, dass ich mit Schirmen schon Erfahrung habe – lieber lasse ich mich ein bisschen loben: Bough Stef – you are ahead oft he game, ….😊

 

Nach 3 Stunden Schirm Kontrolle kommt Stufe 2: Body Drag. Im Wasser soll ich den Schirm durch die Powerzone wandern, und sobald der anfängt zu zerren mich hinterherziehen lassen – dabei eine 8 mit dem Kite an den Himmel zaubern, … klingt cool, ist aber eher eine krasse Mundspülung. Mund zu. Irgendwas sagt der Kitesurf Lehrer – aber da versteht man nix – weil mir das Wasser in die Kiemen schießt. Mich beutelt es gewaltig, hin und her reißt mich mein Kite – wo ist oben und wo unten? Wo ist der Schirm? Links, rechts links rechts, …. Soll das so? Aber so schlimm wars wohl nicht – die anderen machen es offenbar auch nicht besser. Not bad, Stef – ahead of  the game: Irgendwann sinkt der Schirm in einem Luftloch auf das Meer, eine Welle nimmt den Schirm mit, als er aus der Gischt auftaucht sind es zwei – also zwei halbe Schirme. Nur noch die Luft-Wurst an der Eintrittskante hält die beiden Teile zusammen. Schlecht. Kein Lob. Bedröpselte Gesichter.

 

Aber dass der Schirm wassert, das passiert ständig – auch bei den Pros, da ist immer mal wieder ein Schirm im Meer, die Welle läuft drüber weg, und irgendwie starten die das Ding wieder und fahren weiter. Das muss schon mega mürbe gewesen sein, dass so ein popel-Wellchen den Schirm zerrupft… Aber der Vorwurf liegt schon in der Luft wie ein Furz im Fahrstuhl: Du hast den Schirm geschrottet! Nix mehr: You are ahead of the game.

 

Und was die anderen Schüler mit ihren Schirmen anstellen? Die zimmern den volle Kanne auf den Sandboden, ich sehe bedauerliche Schüler wie sie an einem komplett berzerk wirbelnden Schirm durch den Sand ackern, mit jeder hysterischen Drehung schlägt die Anströmkante auf den Strand, … aber der Schirm hält das aus.

 

Tag 3: Water Start. Mit Schirm ins Wasser waten, auf den Rücken legen, nur die Nase ist an der Luft, … kurz mal, wenn nicht grad eine Welle. Jetzt das Board an die Füsse bringen, die Bindung ist so Adiletten Style, so wie Klapperl kann man da mit dem Fuß reinschlupfen, aber dabei spülen die Wellen über das Gesicht und wehe du lässt den Schirm aus den Augen, schon tanzt er davon wie ein ungezogener Dschinn, froh die Scheissflasche nach zweihundert Jahren zu verlassen – und anstelle Water Start eine weitere Runde Body Drag. … Es ist schwer – und das Wasser fließt in die Nasenlöcher, soviel kann kein Mensch gegen das Wasser ausatmen.  Dann! Endlich ist der Fuss in der Schlaufe, ich bin so alt und steif und irgendwie ist das sterisch unmöglich, noch eine Welle, Husten Rotzen, Kontrollverlust, Schirmdesaster, mich reisst es aus dem Wasser, Face-Dive. Der Schirm spastelt am Himmel und ich ziehe eine Schaumspur hinter mir her. Wieder und wieder, ….

 

Und dann irgendwann klappt es. Ich bin mit beiden Füssen in den Schlaufen, der Schirm ist über mir, ich sehe die Wellen kommen und halte die Luft an, es ist kurz ruhig, Knie angewinkelt, ich lasse den Schirm abtauchen und ziehe ihn wieder hoch, Knie durchdrücken und vom Schirm ziehen lassen – trara: ich stehe auf dem Brett, das Brett bewegt sich … 2 Sekunden Ruhm und Ehre. I am ahead of the game. I totally feel it. Das mache ich nochmal, aber nochmal will es nicht klappen. Die Wellen regen mich auf, das Brett wandert, der Lehrer sagt wirres Zeug - … und irgendwann metert es den Schirm ins Wasser. Nicht schlimm, aber so richtig habe ich es eh nicht gesehen, weil die Welle über mir gebrochen ist, mich hats mächtig gewirbelt, was weiss ich was ich falsch gemacht habe. Aber leider hats der Schirm nicht überlebt. Schlecht. Kein Lob. Bedröpselte Gesichter.

 

Am letzte Tag: Downwind Kiten. Aufs Brett kommen per water Start und sich ziehen lassen. Und das kann ich. Klappt ein paar mal. Ich bin euphorisch. Und mein Lehrer findets auch toll. Der Wind war ein bisschen schwächer, der Schirm ein bisschen größer, weniger Wellen, … mein Kurspartner spukt Salzwasser und Galle, schimpft und hasst das Leben. Sein Schirm bohrt sich wieder und wieder ins Wasser, es kracht bei jedem Aufschlag, das muss man hören über den ganzen langen Strand. Der Schirm aber hält das stoisch aus. So bleibt es dabei – ich kann zwar fahren, aber ich hab zwei Schirme zerstört. Und wer das zahlen soll, darüber lässt sich der Kite School Besitzer nur in vagen Andeutungen aus.

 

Zakharia ist ein sehr herzlicher Typ – offensichtlich kann der Kite Surfen wie ein Großmeister und sein Angebot für die 12 Stunden Unterricht war ziemlich großzügig. Aber meine Entschuldigung wegen den beiden Schirmen – das winkt er so ab, und schaut wie wenn ich sein Haus angezündet hätte. So richtig überzeugend klingt es nicht wenn er sagt: „No problem Stefan, this can happen“

 

Dann ist der Kurs zu Ende, versprochen war ein großes Fest zusammen, mit traditionellem Essen am Strand – davon ist natürlich keine Rede – wir sind ja auch nur zu Viert. 3 Schülerchen und 1 Lehrer. Wir bringen unsere Schirm, die Bretter, die Leinen in die Schule – ich jubel natürlich, weil das war ja auch echt super. Und ich kann das jetzt zumindest soweit, dass ich damit weitermachen kann. Und ich weiß, dass mir das Spass machen wird. Und Zakhira schaut mich eher uneuphorisch an und sagt: I can see you are very happy, man! (And I sure am! Sag ich ihm) Und er: But I am very unhappy  (Ich: große Augen, abwartendes: „OK…“) because I have lost 2 kites because of you (Aha… wusste ich es doch). Und dann muss ich es doch sagen: Ich hab meine Kites genau 2 x gecrasht und jeder andere 200 mal. Es war fucking nicht meine Schuld. Ich bin Anfänger und dafür ist es echt gut gegangen und wenn er mir seine morschigste Schrott Ausrüstung gibt, dann ist es nicht meine Schuld, wenn das Segel reißt, wenn ich was zahlen soll, dann sags, aber eier hier nicht so Scheisse rum. Aber nochmal und nochmal: das war echt nicht meine Schuld und das Tuch war mübe, erzähl mir nix! … in Wirklichkeit aber sage ich: The one wasn´t my fault – it was only a minor wave and the 2nd, well, maybe – what does it cost anyway?

 

80 Euro kostet es die beiden Schirm zu flicken – und ich zahle die Hälfte. Das ist für mich in Ordnung und für ihn offensichtlich auch. Umarmung, Good Man! Friendship, Great Kiting, ahead of game, …und ich denk mir: weisst du was?

 

Soweit das Kiten!

 

Desweiteren in Essaouira: Eine dem touristischen Bedarf angepasste Altstadt – Künstlerviertel, portugiesischer Hafen, Fischmarkt. Ich niste mich in ein Hostel am Strand ein und in der Nähe ist ein Laden, der illegal Bier verkauft. Ein Fast Food der die vegetarischen Bedürfnisse von Touris ernst nimmt. Ein paar nette Bekanntschaften. Lola fährt weiter mach Taghazout. Da soll es toll sein. Vor allem fürs Surfen. In Essaouira aber gibt es nichts Spektakuläres. Der Fischmarkt kann der Gerberei in Fes den Rang ablaufen. Und zwischen den Booten und Fischern ist authentisch. Da ist nichts für Touris gehübscht – da sind auch keine Touris. Da stinkts zu sehr. Die Katzen aalen sich Fischabfällen. Selbst der Wind reicht nicht diesen betäubenden Fischdunst wegzublasen. Die alte Stadtmauer bietet schöne Motive zum Fotografieren, der Wind bläst einem die Falten aus dem Gesicht. Und in der Medina haben sich die Läden auf die Top 10 der Touri-Artikel eingeschossen: Geknüpftes, Getöpfertes, Gewebtes, Metall und Malerei, Klamotten und mehr oder weniger nette Straßen-Cafes. Ein wenig ab vom Schuss haben Künstler ihre kleinen Ateliers. Man kanns hier schon gut haben.  Tatsächlich aber ist es langweilig – oder erholsam, man könnte auf der Dachterrasse abhängen. Abhängen ist nicht meine Stärke und am Tag nach meinem Kurs geht es weiter. Zurück aufs Rad und die Küste runter nach Süden: Sidi Kaouki, Imsouane, Taghazout

 

Keine Bilder vom Kiten - aus offensichtlichen Gründen.

 

Sidi Kaouki ist so wie man sich alles wünscht: ein paar Häuser, 3 Restaurants in denen die Einheimischen wenig Kompromisse machen. Die Unterkünfte liebevoll und einfach, der eine Surfshop eher stressfrei – so viel ist eben auch nicht los. Der Strand ist endlos und der Dunst und Nebel zieht über den Sand, in die Berge. Ein paar vereinsamte Kamele, eine Esel Familie, einsame glückliche Surfer und Wellen die endlos an den Strand rollen. In den angrenzenden Bergen wachsen die Argan Bäume, und aus den Früchten oder Kernen wird das Argan-Öl gepresst. Neben Tourismus im Allgemeinen und Surfen im Speziellen ist die Herstellung und der Vertreib von Arganöl und Folgeprodukten wie Seife und Parfüm, Cremes und Nahrungsmittelzusatz das absolute Ding hier. Die Bäume sind knorrig und wunderbar verwachsen, Ziegen lieben Argan auch und klettern in den Ästen rum. Arganöl wird überall verkauft, an Straßen und in Läden, in Kooperativen, direkt weg vom Hof mit eigener Presse, in den Touri-Meilen der Medinas … mit dem Versprechen nach ewiger Jugend, wallendem Haar, gesunder Darmflora, Kraft und Glück, Schönheit und biblischem Alter.

 

In Sidi versuche ichs mal Surfen und lass mir 3 Stunden Wasser durch den Kopf spülen. Bücke ich mich um zB einen Schuh zu binden läuft das Wasser aus dem Hirn durch die Nase auf den Boden… erstaunlich wieviel Wasser in so einen Kopf passt.

 

Am nächsten Tag fahre ich weiter nach Imsouane, das soll so ein Nest sein, kleines Dörfchen – wenig los. Es geht ziemlich rauf und runter auf dem Weg dahin, die Sonne brennt, es ist heiß und anstrengend. Die letzten 5 km schenkt mir das Gelände eine krasse Abfahrt bis runter ans Meer. Und hier ist echt was los. Alles was einen Camper hat und ein Surfbrett parkt zwischen den Häusern und dem Strand. Auf einer Klippe haben sich ein paar Surf Shacks und kleine Buden mit Kaffees und Restaurants und Lebensmittelläden um einen kleinen Platz zusammengewürfelt und auf dem Platz lässt es sich wunderbar sitzen und aufs Meer schauen. Hostels solle es auch geben, eines habe ich mir ausgesucht, aber die Jungs in dem Laden, die mir das Sprudelwasser verkauft haben wissen auch was Sagenhaftes, billig und unschlagbar lässig. Direkt am Strand – aber wo ist der Typ mit dem Schlüssel? An sich würde ich gerne duschen und ich such mir meine Unterkunft schon auch gerne selber, aber schon läuft der erste um die Schlüssel zu organisieren. Also sitze ich und warte und warte – dann kommt irgendwann jemand daher geschlappt – wir suchen das Hostel, der Schlüssel passt – es ist ein furchtbares Loch, fensterlos, winzige Zimmer, keine Küche, … und ob da was frei ist kann mir auch keiner sagen. Dafür hätte ich nicht warten müssen – ich suche jetzt doch die Adresse die ich mir rausgesucht hatte – da gibt es aber keine Klingel sondern nur Techno aus dem obersten Stock. Aber der Nachbar steckt den Kopf aus der Tür, bittet mich in sein frisch eröffnetes Hostel und 10 Minuten habe ich mein Rad in seine Garage geschoben, meine Taschen auf mein Dormbed geschmissen und stehe unter einer Top modernen Dusche in einem Top modernen Bad und das Zimmer hat 4 Betten und ein Riesenfenster, es gibt eine Küche und ein Dachterrasse. Mein Zimmernachbar ist ein sympathischer Studi aus Holland und wir gehen zusammen auf eine Klippe und schauen ein paar Vollprofis beim Surfen zu. Hier ist ein heimliches Eck – die Surfer, die hier herkommen meinen es ernst. Noch ist Imsouane ein keine feste Größe in den Reiseführern, aber die Häuser schießen aus dem Boden und die Touri Welle wird auch über diesen Ort rollen.

 

Weitere 80 km im Süden ist das so hochgelobte Taghazout. Ich fahre auf der Straße nach Agadir und finde es großartig – Hitze und Wind hin oder her – Das klingt schon nach Verheißung und Abenteuer: Agadir! Und über lange Zeit wenig Verkehr und toller Belag. Berge, immer mehr Wüste, immer armseligere Dörfer. Ein paar Bauernhäuser um eine Moschee – immerhin gibt es einen Wasserhahn und einen Laden mit Getränken. Dann biegt die Straße spektakulär Richtung Meer ab, es geht wieder herunter, Sanddünen gehen in Strand über – ein paar Büsche: Das wars. In den armseligsten Verschlägen hausen Menschen, die am Straßenrand Muscheln verkaufen – schon aus den Schalen gepult, in Plastiktüten – 40°C mindestens. Und gekühlt wird da nix … da stehe Kinder in Lumpen am Straßenrand und halten den vorbeifahrenden Autos die sonnenwarme Muschel-Brühe hin. Wer das isst stirbt automatisch und unverzüglich an schrecklicher Lebensmittelvergiftung.

 

Und es zieht sich – 30 km bis nach Taghazout, und immer häufiger fahre ich entlang an Strandabschnitten, mit Restaurants und Parkplätzen, Appartments, Hotels, Sonnenschirmen – das ganze Programm. Hier macht Marokko Sommerurlaub – es ist Sonntag und mächtig was los. Mit jedem Strand wird es enger auf den Parkplätzen, der Verkehr dichter, die Fahrerei anstrengend. Und dann endlich bin ich in Taghazout – und finde es furchtbar. Stressig, überlaufen, laut, Touri Horden, das Hostel wird von irgendwelchen Surf-Nomaden bewirtschaftet, die wenig Ehrgeiz entwickeln, das ganze sauber und am Laufen zu halten. Ich bin zu alt für sowas, ich kann nicht surfen und dem Vernehmen nach wird man hier krank wenn man Wasser schluckt – keine Ringkanalisation und keine Kläranlage sondern ein kurzes Rohr ins Meer, und jetzt abwassert der ganze aus den Fugen geratene Ort in die Bucht. Auf der Terrasse lungern sie rum – die Surfer - und kiffen. Außer der Bucht haben sie nichts gesehen von dem Land. Die ganze Stadt lebt vom Tourismus. Jeder 3te Laden verkauft Surfzeug. Zumindest Badeklamotten. Für Typen. Bikinis gibt es keine. Frauen gehen nicht ins Wasser. Einheimische Frauen können meistens gar nicht schwimmen. Das interessiert aber auch keinen der Surf-Nerds. Hier werde ich nicht bleiben und so fahre ich am nächsten Tag schon weiter nach Taroudant. 100 Kilometer im Landesinneren und von hier ab geht es über den Atlas nach Marrakesch.

 

 

 

An der Küste entlang nach Süden. Kein Bild von Taghazout, ... aber vom Weg zwischen den Städten und das war schon mindestnes so schön wie anstrengend. Und Fussball: Wenn irgendwo ein paar Jungs einen Ball haben, wird gekickt. So steinig kann ein Acker nicht sein, so schief und abschüssig das Feld, ... oder einfach die Linien in den Sand gezogen. Und die spielen super. Alle. barfuss. Die französische Liga ist von marokkanischen Spielern. Wikipedia listet berühmte Söhne des Landes. Das sind in den vergangenen 40 Jahren vor allem Fussballer. 

 

Taroudant – irgendein namenlosen Wüstenkaff denke ich mir, verbrannt und hässlich. So habe ich mir das vorgestellt: Diese roten Häuserklötze, die sie da überall hinstellen, halbfertig, halb kaputt bevor der Rest fertig gebaut ist. Wie Dachsbauten: An einer Stelle wird fleißig gebuddelt, an der anderen Seite ist seit Jahren keiner mehr ein und aus gegangen. In den Städten ein wildes Durcheinander von Stilverschnitten: orientalisch verspielt, westlich modern, funktioneller Beton – halb hohe Gebäudezeilen. So hab ich mir das vorgestellt und so kündigte es sich auch an: gesichtslose Vororte, vermüllt und staubig. Wilder Verkehr und Fliegen auf den Fleischtheken. Der aufgeräumteste Ort der Stadt ist die Tankstelle.

 

Und nach 100km Staub und architektonische Trübsal verdichten sich die Häuser zu einer kleinen Stadt und ein luftiges Cafe lädt ein, nochmal kurz Pause und frisch gepresster Orangensaft. Ein Milchkaffee, ein eisiges kaltes Wasser. Von hier aus sind es noch 750 Meter zur Unterkunft Riad Taroudant. Und dann stehe ich plötzlich vor einer alten Stadtmauer, aus Lehm und Zinnen oben drauf – dick und Sahara-mäßig. Die Mauern müssen meterdick sein, in die Mauer eingelassen das Tor, sandfarben, 3 flügelig und der Verkehr aus Pferdekutschen, motorisierten 3 Rädern, Fahrrädern, vor allem Fahrrädern und ein paar wenigen Pickups aus dem letzten Jahrhundert arbeitet sich durch die engen Straßen der Innenstadt. Die Medina ist nicht so schmuck, hier ist nichts rausgeputzt – das hier ist original und ungeschminkt authentisch. Die Läden sind kleiner, dunkler und unordentlicher. Die Armut sichtbar. Es gibt Verkäufer, die altes schimmliges Brot verkaufen – für wen?  Ich hab niemanden entdeckt, der die Brotecken wollte. Vielleicht für die Esel? Hoffentlich! Der Souk ist eng und wuselig – keiner zieht mich in seinen Laden. Touristen sind hier selten. Und auch wenn die marokkanische Tourismus Behörde Taroudant als „klein-Marrakesch“ branden will,  - hier steigen wenig Ausländer ab.  Auf dem Platz im Zentrum sitzen die Männer im Schatten der Bäume, in den Cafes. Frauen sieht man nicht, es sei denn beim Einkaufen. Ein Durcheinander, dazwischen Inseln der Behaglichkeit. Hitze die einem den Atem nimmt – und kühle Stunden am Morgen. Ich bin so froh, das zu sehen – das ist, außer vielleicht Tanger, der ehrlichste Ort, den ich besuche. Tanger gefiel mir auch deshalb so gut, weil es Leben jenseits des Tourismus hatte.

 

Mein Riad ist ein Traum, schön und gepflegt – ein paar Franzosen kennen den Besitzer, der hat das vor Jahren gekauft, ursprünglich kommt er aus dem Elsass. Jetzt sind sie zusammen hier. Das Riad ist eine Oase. Ich komme rein, es ist kühl, im Innenhof spiegelt der kleine Pool Lichtreflexe an den Wänden des Innhöfchens. Orangebäumchen und Kakteen. Alles blüht, die Balkönchen sind schattig, auf der Dachterrasse sonnt sich die Schildkröte, die der Besitzer von der Landstraße geklaubt hat.


Gestern abend hat sich eine Berber Kapelle eingestellt, die 4 Franzosen reisen ab. Letzter Tag! Der Besitzer fährt kurz auch nach Frankreich. Ich bin eingeladen mitzuessen. Es gibt Wein und für mich ein kleines Bier. Fleisch für die Franzosen, Avocados und Salat für mich. Das Berber-Orchester macht ordentlich Dampf. 4 Trommeln, eine Tröte, eine Blechschelle. Einer singt. Was die da auf arabisch singen weiß ich nicht, aber das Hotelpersonal lacht sich schlapp. Und das hat Energie, richtig sagenhaft und hypnotisch und ausgefuchst. Immer wieder kommt eine Frau aus der Küche raufgewieselt. Streift sich die Schürze ab, rückt das Kopftuch zurecht und tanzt ein paar Minuten. Der Koch ist eh schon voll dabei und flippt zwischen den Gästen und Musikern hin und her. Dann müssen wir auch tanzen – immer peinlich – aber in der Gruppe geht das schon: das ganze sieht aus wie Freistil und erinnert an eine simple Schrittfolge, die mein Annikind im zarten Alter von 2 Jahren geprägt hat. Da kann ich gerade noch mithalten. Man reicht sich die Hände und hopst. Also hopsen wir. Über uns der Sternenhimmel, um uns die Wüste.

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